Leitsatz (redaktionell)

Beginn der KVdR in den Fällen des RVO § 1300 (AVG § 79):

Sofern der Rentenversicherungsträger einen Rentenanspruch zunächst abgelehnt hat und später aufgrund einer Überprüfung von Amts wegen nach RVO § 1300 (AVG § 79) Rente für einen zurückliegenden Zeitraum zubilligt, beginnt die KVdR erst mit dem Tage, an dem die KK von dem die Rente gewährenden Bescheid Kenntnis erhält; für die zurückliegende Zeit kommt Versicherungspflicht in der KVdR nur insoweit in Betracht, als eine formale Mitgliedschaft durchgeführt worden ist.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1967-12-21, § 315a Abs. 2 S. 2 Fassung: 1967-12-21, § 381 Abs. 2 Fassung: 1967-12-21, § 1300 Fassung: 1957-02-23; AVG § 79 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 14.05.1975; Aktenzeichen L 4 Kr 30/74)

SG Bayreuth (Entscheidung vom 27.03.1974; Aktenzeichen S 2 Kr 45/73)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 1975 und das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 27. März 1974 teilweise aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für die Beigeladene für die Zeit vom 1. September 1969 bis 2. Mai 1973 verrechneten Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner zurückzuzahlen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR), die sie für die Beigeladene Berta S (Sch.) in Rechnung stellte und mit denen sie im Wege der Verrechnung die Klägerin belastete, an die Klägerin zurückzahlen muß.

Die am 3. Dezember 1968 aus der CSSR in die Bundesrepublik Deutschland ausgesiedelte Sch. beantragte am 23. Januar 1969 bei der Klägerin Hinterbliebenenrente aus der Arbeiterrentenversicherung nach ihrem am 2. September 1953 gestorbenen Ehemann. Am 6. Juni 1969 bat sie, die Versicherungsunterlagen von der "Versicherungsanstalt Prag" anzufordern. Mit Bescheid vom 7. Juli 1969 lehnte die Klägerin den Rentenantrag mangels Nachweises oder Glaubhaftmachung von Versicherungszeiten des Ehemannes ab, erklärte sich jedoch gleichzeitig bereit, einen neuen Bescheid zu erteilen, wenn sich nach Eingang der tschechischen Versicherungsunterlagen ergeben sollte, daß ein Rentenanspruch besteht. Am 18. August 1969 forderte die Klägerin die tschechischen Versicherungsunterlagen vom Staatsamt für Sozialversicherung in Prag an, die am 25. September 1972 eingingen. Daraufhin bewilligte sie der Beigeladenen mit Bescheid vom 16. April 1973 unter Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Juli 1969 die Witwenrente ab 3. Dezember 1968.

Die Beklagte, die von der Klägerin am 3. Mai 1973 einen Abdruck des Bewilligungsbescheides erhalten hatte, kündigte dieser am 14. Mai 1973 die Verrechnung von Beiträgen zur KVdR für die Beigeladene an und nahm im Juli 1973 die Verrechnung für die Zeit vom 23. Januar 1969 bis 31. Mai 1973 vor. Die Klägerin wandte sich mit ihrer am 20. Dezember 1973 erhobenen Klage gegen diese Verrechnung. Das Sozialgericht (SG) Bayreuth hat die Klage mit Urteil vom 27. März 1974 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ebenfalls erfolglos geblieben (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 14. Mai 1975). Das LSG hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe zu Recht für den noch im Streit stehenden Zeitraum vom 13. Juli 1969 bis 31. Mai 1973 Beiträge zur KVdR für die Beigeladene mit den von ihr für die Klägerin eingezogenen Beiträgen verrechnet. Mit der Bewilligung der Witwenrente ab 3. Dezember 1968 auf den Antrag vom 23. Januar 1969 sei die Beigeladene von diesem Zeitpunkt ab bei der Beklagten rentnerkrankenversichert, was die Beitragspflicht der Klägerin zur Folge gehabt habe. Es könne dahinstehen, ob es sich bei dem Bewilligungsbescheid vom 16. April 1973 um eine Neufeststellung nach § 1300 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. eine Neuprüfung nach § 1744 Abs. 1 Nr. 6 RVO gehandelt habe oder ob in dem Bescheid vom 7. Juli 1969 im Hinblick auf den darin enthaltenen Vorbehalt eine "endgültige" Ablehnung des Rentenantrags im Sinne des § 315 a Abs. 2 Satz 2 RVO zu sehen sei, der die Mitgliedschaft der Beigeladenen bei der Beklagten zwischenzeitlich beendet habe. Der Hinweis der Klägerin auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2. Juli 1970 (SozR Nr. 4 zu § 315 a RVO) sei nicht stichhaltig, da sich der vorliegende Fall von dem vom BSG entschiedenen wesentlich dadurch unterscheide, daß die Mitgliedschaft der Beigeladenen und die darauf beruhende Beitragspflicht der Klägerin nicht auf einem erst nachträglich - durch Gesetz - geschaffenen Tatbestand beruhe. Bei unveränderter Sach- und Rechtslage hätte für die Klägerin von Anfang an die Möglichkeit bestanden, einen Rentenanspruch zu erkennen, wenn sie dem ihr obliegenden Amtsermittlungsprinzip entsprochen hätte. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 165 Abs. 1 Nr. 3, 381 Abs. 2 und 3, 315 a RVO und meint, zwischen der Beklagten und der Beigeladenen habe ein formales Versicherungsverhältnis bestanden, das mit der Antragstellung am 23. Januar 1969 begonnen, jedoch am 31. August 1969 mit dem Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung endgültig geworden sei (§ 315 a Abs. 2 Satz 2 RVO), geendet habe. Da der Ablehnungsbescheid vom 7. Juli 1969 unangefochten geblieben sei, sei auch verbindlich festgestellt worden, daß die Beigeladene keinen KVdR-Anspruch besessen habe. Erst als sie - die Beklagte - von der nach § 1300 RVO erfolgten rückwirkenden Rentenbewilligung durch Bescheid vom 16. April 1973 Kenntnis erlangt habe, habe die KVdR-Mitgliedschaft von neuem begonnen. Erst von diesem Zeitpunkt an habe für die Beteiligten des Krankenversicherungsverhältnisses die Möglichkeit bestanden, ihre Rechte und Pflichten aus dem Verhältnis wahrzunehmen. Dies ergebe sich aus dem in § 315 a RVO niedergelegten Prinzip, wonach Krankenversicherungsverhältnisse stets nur vorausschauend beurteilt werden müßten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die für die Beigeladene für die Zeit vom 1. September 1969 bis 31. Mai 1973 einbehaltenen Versicherungsbeiträge in Höhe von DM 2.307,41 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Auffassung, der Rentenantrag vom 23. Januar 1969 sei durch den Bescheid vom 7. Juli 1969 nicht endgültig im Sinne des § 315 a Abs. 2 Satz 2 RVO abgelehnt worden. Demzufolge habe die Rentnerkrankenversicherung ununterbrochen weiterbestanden. Allein diese Betrachtungsweise sei gesetzmäßig und sachgerecht. Eine etwaige endgültige Ablehnung des Rentenantrags wäre nahezu willkürlich gewesen. Wenn die Sachverhaltsaufklärung noch nicht abgeschlossen sei und der Versicherungsträger weitere relevante Unterlagen angefordert habe, dürfe er den Rentenantrag noch nicht endgültig verbescheiden.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich auch zur Sache nicht geäußert.

Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet, soweit es den Zeitraum vom 1. September 1969 bis 2. Mai 1973 betrifft.

Die Beklagte hat für diesen Zeitraum KVdR-Beiträge für die Beigeladene von der Klägerin gefordert und im Wege der Verrechnung vereinnahmt, ohne hierzu berechtigt zu sein. Dies hat das LSG verkannt. Es hat darauf abgestellt, daß die Beigeladene, die durch ihren Rentenantrag vom 23. Januar 1969 von diesem Tage ab gem. § 315 a Abs. 1 und 2 Satz 1 RVO Mitglied der Beklagten geworden war, trotz des Ablehnungsbescheides vom 7. Juli 1969 weiterhin Mitglied geblieben sei, weil diesem Bescheid die Eigenschaft einer endgültigen Ablehnung des Rentenantrags im Sinne des § 315 a Abs. 2 Satz 2 RVO nicht zukomme. Den vom BSG in dem Urteil vom 2. Juli 1970 - 3 RK 114/69 - (SozR Nr. 4 zu § 315 a) ausgesprochenen Grundgedanken, wonach Krankenversicherungsverhältnisse vorausschauend beurteilbar sein müssen und daher spätere rechtliche oder tatsächliche Änderungen nicht auf einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt übertragen werden dürfen, hat das LSG mit dem Hinweis für nicht anwendbar angesehen, es habe sich hier nicht - wie bei dem vom BSG entschiedenen Fall - um einen erst nachträglich durch Gesetz geschaffenen Tatbestand gehandelt. Die Sach- und Rechtslage habe vielmehr von Anfang an unverändert bestanden. Wie jedoch das BSG in Weiterführung der o.a. Rechtsprechung mit Urteil vom 18. April 1975 - 3 RK 23/74 - (BSGE 39, 235 = SozR 2200 § 315 a Nr. 1) entschieden hat, beginnt die durch einen Neufeststellungsbescheid begründete Versicherungspflicht zur KVdR auch dann erst mit der Bekanntgabe des Bescheids, wenn der Rentenversicherungsträger nach vorausgegangener Rentenablehnung von Amts wegen eine Rente für einen zurückliegenden Zeitraum gemäß § 1300 RVO neu feststellt. In jenem Fall hatte der Rentenversicherungsträger nach rechtsverbindlicher Ablehnung einer Rente mangels Erfüllung der Wartezeit im Zuge eines späteren Beitragsverfahrens ermittelt, daß die Wartezeit doch erfüllt war, und daraufhin von Amts wegen rückwirkend die Rente bewilligt. Das BSG hat in dieser Rentenneufeststellung nach § 1300 RVO eine vom Rentenversicherungsträger nachträglich geschaffene neue tatsächliche und rechtliche Voraussetzung (für das Krankenversicherungsverhältnis) gesehen und nicht darauf abgestellt, daß die Voraussetzungen für den Rentenanspruch bereits - was ja bei einem Bescheid nach § 1300 RVO immer der Fall sein muß - von Anfang an gegeben waren. Dem schließt sich der erkennende Senat an, da auch nach seiner Auffassung die Rentenbewilligung als solche die Versicherungspflicht zur KVdR zur Entstehung bringt. Ist nun aber die Erteilung des Rentenbewilligungsbescheides als eine nachträglich geschaffene Voraussetzung für die Versicherungspflicht zur KVdR zu werten, dann könnte sie wegen des Prinzips der Vorausschaubarkeit allenfalls dann eine Rückwirkung auch für den Beginn der Versicherungspflicht zur KVdR haben, wenn das Bestehen des Rentenanspruchs von Anfang an nicht zweifelhaft gewesen wäre und die Beteiligten sich demgemäß auf ihre Rechte und Pflichten aus diesem Krankenversicherungsverhältnis hätten einrichten können. Das war aber vor Erlaß des Bescheides vom 16. April 1973 für die Beklagte und die Beigeladene nicht der Fall. Es könnte nämlich noch nicht mit hinreichender Sicherheit vorausgesehen werden, ob die von der Klägerin eingeleiteten Ermittlungen bei der tschechischen Versicherungsbehörde Erfolg haben würden. Die Beklagte hatte hierin keinen Einblick und auch die Beigeladene wußte nichts konkretes über versicherungspflichtige Beschäftigungen ihres verstorbenen Ehemannes. Die Beklagte ist im übrigen selbst davon ausgegangen, daß die Mitgliedschaft der Beigeladenen zur KVdR aufgrund des Ablehnungsbescheides vom 7. Juli 1969 mit Ablauf des Monats August 1969 gemäß § 315 a Abs. 2 Satz 2 RVO geendet hatte. Sie hat nämlich mit Schreiben vom 20. April 1970 von der Beigeladenen Beiträge lediglich für den Zeitraum vom 23. Januar 1969 bis 31. August 1969 erhoben. Wenn sie nunmehr geltend macht, die Klägerin hätte seinerzeit noch keinen Ablehnungsbescheid erlassen dürfen, weil die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren, so setzt sie sich insoweit in Gegensatz zu ihrem eigenen früheren Verhalten, denn sie hatte durch den ihr in Abschrift übersandten Bescheid vom 7. Juli 1969 selbst Kenntnis davon erlangt, daß die Anfrage an die tschechische Versicherungsbehörde noch nicht beantwortet war und daß für den Fall eines positiven Ergebnisses der Ermittlung eine neue Entscheidung zugesagt worden war. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin befugt war, den Ablehnungsbescheid zu erlassen, ohne das Ergebnis der noch laufenden Erhebungen abzuwarten. Der Bescheid vom 7. Juli 1969 ist von der Beigeladenen jedenfalls nicht angefochten worden und damit für die Beteiligten in der Sache bindend geworden. Ihm kommt daher schon deshalb die Rechtswirkung einer endgültigen Ablehnung im Sinne des § 315 a Abs. 2 Satz 2 RVO zu. Demgemäß wurde die Versicherungspflicht der Beigeladenen erst wieder - und zwar jetzt nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO - durch den Neufeststellungsbescheid vom 16. April 1973 begründet mit der Folge, daß die Pflicht der Klägerin zur Zahlung der Beiträge erst mit der Bekanntgabe dieses Bescheides am 3. Mai 1973 begann.

Die Beklagte hatte mithin für die Zeit vom 1. September 1969 bis 2. Mai 1973 gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Beiträge zur KVdR für die Beigeladene, so daß sie verpflichtet ist, der Klägerin die für diesen Zeitraum ohne Rechtsgrund verrechneten Beiträge zurückzuzahlen. Hierzu war sie unter Abänderung der Urteile des LSG und des SG dem Grunde nach zu verurteilen.

Hinsichtlich der Zeit vom 3. Mai 1973 bis 31. Mai 1973 besteht dagegen der Anspruch auf Beitragszahlung zu Recht. Insoweit war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650242

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