Leitsatz (amtlich)

1. Für die Klage, mit der eine Aufsichtsbehörde den Anspruch einer BKK gegen den Arbeitgeber wegen fehlerhafter Führung der laufenden Verwaltungsgeschäfte durch den Geschäftsführer in Prozeßstandschaft geltend macht (vgl RVO § 378), ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.

2. Die Haftung des Arbeitgebers für fehlerhaftes Verhalten der von ihm "für seine Rechnungs- und Kassenführung" bestellten Personen (RVO § 362 Abs 1 iVm § 378) ist mit Inkrafttreten des GSv gegenstandslos geworden.

Auch bei einer BKK haftet dem Versicherungsträger nur der Geschäftsführer für seine "getreue Geschäftsführung" (SVwG § 14).

 

Normenkette

SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 362 Abs. 1 Fassung: 1967-08-03, § 378 Fassung: 1911-07-19; SVwG § 14 Fassung: 1967-08-03, § 15 Fassung: 1967-08-03

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 1969 und des Sozialgerichts München vom 9. Mai 1968 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger macht als Aufsichtsbehörde einer Betriebskrankenkasse (BKK) Haftungsansprüche gegen den Arbeitgeber dieser Kasse geltend.

Der Kläger als oberste bayerische Aufsichtsbehörde für Sozialversicherung ließ durch das Landesprüfungsamt für Sozialversicherung bei der beigeladenen BKK eine Geschäftsprüfung durchführen. In dem Prüfbericht wurde festgestellt, daß die Geschäftsführerin der Beigeladenen auf Grund fehlerhaften Verhaltens der Kasse einen Schaden in Höhe von 7.493,67 DM zugefügt habe, und zwar durch unrechtmäßig gewährte Leistungen aus der Krankenversicherung (KrV) und nicht rechtzeitig erhobene Ersatzansprüche für Versicherungsleistungen gegen einen Träger der Versorgung. Die Vertreterversammlung der Beigeladenen beschloß, keine Regreßansprüche geltend zu machen und den Schaden auf die Kasse zu übernehmen.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht (SG) Klage erhoben und von der beklagten Arbeitgeberin gefordert, der BKK den entstandenen Schaden zu ersetzen. Das SG München hat den sozialgerichtlichen Rechtsweg bejaht und der Klage stattgegeben. Der Arbeitgeber müsse für jedes Verschulden des Geschäftsführers der Kasse einstehen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung nach Beiladung der BKK zurückgewiesen. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, der BKK die zur Führung der Geschäfte erforderlichen Personen zu bestellen; denn nur dadurch werde es ihr ermöglicht, ihre Aufgabe als öffentlich-rechtliche Körperschaft zu erfüllen.

Daraus resultiere der Ersatzanspruch. Er gehöre dem öffentlichen Recht an und falle demgemäß in die Zuständigkeit der Sozialgerichte. Da der Anspruch unverzichtbar sei, habe die Vertreterversammlung ihn nicht fallen lassen können. Die Beklagte müsse als Arbeitgeberin für den Schaden einstehen, den die Geschäftsführerin der BKK verursacht habe. Sie trage die Verantwortung für die Personen, die von ihr bestellt worden seien. Das Gesetz bestimme sie zum Garanten der Kasse.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision. Sie hält den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für gegeben, weil der Anspruch einer BKK gegen einen mit der Geschäftsführung beauftragten Angestellten wegen Verletzung seiner Dienstpflichten dem bürgerlichen Recht zugehöre. Der Arbeitgeber habe zwar die für die Geschäfte erforderlichen Personen zu bestellen und auch die Kosten dafür zu tragen. Damit sei jedoch sein Verantwortungsbereich abgegrenzt. Wähle er das Personal sorgfältig aus, so habe er seine Verpflichtungen erfüllt. Ungeachtet dessen könnten Haftungsansprüche nur aus schuldhafter Pflichtverletzung erwachsen. Zu dieser Frage seien jedoch bisher überhaupt keine Feststellungen getroffen worden. Schließlich sei die Vertreterversammlung berechtigt, auf die Verfolgung eines vielleicht zweifelhaften oder streitigen Anspruchs zu verzichten.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts München vom 9. Mai 1968 und des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene schließt sich diesem Antrag an. Der Kläger sei nach § 378 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur zur Prozeßführung wegen der Rechnungs- und Kassenführung des Arbeitgebers befugt. Er leite seine Forderungen jedoch aus der Durchführung der KrV her. Dies sei eine Angelegenheit der Selbstverwaltungsorgane und betreffe nicht den Arbeitgeber. Da der Geschäftsführer die laufende Verwaltung in eigener Zuständigkeit führe, könne der Arbeitgeber ihn insoweit nicht anweisen und deshalb auch nicht haften. Die Garantenstellung des Arbeitgebers lege ihm zwar gewisse Gewährleistungspflichten auf; bei den anderen Kassenarten bestünden jedoch vergleichbare Beziehungen, ohne daß jemals ähnliche Haftungsansprüche daraus abgeleitet worden seien.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, daß § 362 RVO eine zwingende Vorschrift des öffentlichen Rechts sei. Die BKK betätige sich nur dann auf privatrechtlichem Gebiet, wenn sie in der Lage sei, ihr Verhältnis zu Dritten inhaltlich frei durch Vertrag zu regeln. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei deshalb gegeben. Er sei als Aufsichtsbehörde auch legitimiert, den streitigen Anspruch geltend zu machen. § 378 RVO verleihe ihm diese Befugnis, weil der Arbeitgeber in den Organen der BKK eine überragende Stellung einnehme. Dessen Haftungsverpflichtung folge aus der Garantenstellung. Mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen könne mit anderen Kassenarten kein Vergleich angestellt werden. Die Haftung des Arbeitgebers beschränke sich nicht auf die ordnungsgemäße Auswahl bei der Bestellung, sie erstrecke sich vielmehr auf die gesamte Tätigkeit. Nur bei dieser Auslegung trage er die Verantwortung, die das Gesetz für ihn vorsehe. Da seine Haftung nicht eingeschränkt sei, komme es auch nicht darauf an, ob ihn oder den Geschäftsführer ein Verschulden treffe. Im übrigen stehe die fahrlässige Verursachung des Schadens außer Zweifel. Schließlich könne die Kasse auf ihre Forderungen nicht verzichten, weil es sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch handele.

II

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt § 362 Abs. 1 i. V. m. § 378 RVO.

Für den streitigen Anspruch ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Der Kläger stützt ihn unter Hinweis auf die §§ 362, 378 RVO darauf, daß die Beklagte als Arbeitgeberin die Verantwortung für das Handeln des Geschäftsführers der BKK trage. Dieser habe seine Verwaltungstätigkeit fehlerhaft ausgeübt und dadurch der Kasse einen Schaden zugefügt; dafür wiederum müsse die Beklagte einstehen. Entstehungsgrund des Anspruchs ist mithin die Führung laufender Verwaltungsgeschäfte durch den Geschäftsführer nach § 15 Abs. 4 des Gesetzes über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung idF des 7. Gesetzes zur Änderung des Selbstverwaltungsgesetzes vom 3. August 1967, BGBl I 918 (SVwG). Er hat dabei Aufgaben der sozialen KrV wahrgenommen, deren Erledigung der BKK in ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts obliegt (§§ 3, 4, 225, 245 ff RVO). Der Anspruch entsteht also auf Grund der Durchführung öffentlich-rechtlicher Aufgaben in der Sozialversicherung. Schon damit steht fest, daß es sich um einen Anspruch handelt, für den nach § 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Zuständigkeit der Sozialgerichte gegeben ist (vgl. BSG 33, 209 mit weiteren Hinweisen).

Der Anspruch ändert seine Rechtsnatur auch nicht dadurch, daß aus ihm die BKK berechtigt und die Arbeitgeberin verpflichtet wird. Die besonderen Rechtsbeziehungen zwischen der Beigeladenen und der Beklagten folgen aus den für die gegliederte soziale KrV einschließlich der BKK geltenden organisationsrechtlichen Normen, wie sie im SVwG und im 2. Buch der RVO, insbesondere in §§ 245 ff festgelegt sind. Auch diese Vorschriften sind öffentlich-rechtlicher Art.

Die Zweckbestimmung des Anspruchs, einen eingetretenen Schaden zu ersetzen, ist demgegenüber nicht geeignet, seine rechtliche Zuordnung zu ändern. Das ist für den Schadensersatzanspruch eines Versicherungsträgers gegen den Geschäftsführer wegen Verletzung seiner Pflichten bereits entschieden, und der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des 7. und 11. Senats an (BSG 33, 209; BSG, Urteil vom 10. Dezember 1971, 11 RLw 13/69, nicht veröffentlicht). Der hier streitige Anspruch beruht auf dem gleichen Rechtsgrund, auch wenn er nicht vom Versicherungsträger, sondern von der Aufsichtsbehörde geltend gemacht wird. Diese wird nur stellvertretend für die BKK tätig (§ 378 RVO).

Der streitige Anspruch unterscheidet sich auch wesentlich von der Haftung nach § 640 RVO. Diese erweitert nur die durch §§ 636, 637 RVO stark beschränkte Haftung, läßt aber den im bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzrecht (§§ 823 ff BGB) verankerten Haftungsgrund unberührt (BSG 33, 209, 213).

Zusammenfassend erweist sich somit der streitige Anspruch nach Grund und Richtung als ein öffentlich-rechtlicher Anspruch in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, ist im Streitfall die Entscheidung über diesen Anspruch den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen, § 51 Abs. 1 SGG (so auch Peters, Handbuch der KrV, 17. Aufl., § 378 RVO, Anm. 1; Schallen, Die Stellung der Geschäftsführer von Sozialversicherungsträgern, S. 79).

Der Kläger hat im vorliegenden Fall die Wahrnehmung der Prozeßstandschaft nach § 378 RVO an sich gezogen. Die genannte Vorschrift hat diese Aufgabe dem "Versicherungsamt" übertragen. Der Senat braucht jedoch Zweifeln an der Prozeßführungsbefugnis des Klägers nicht nachzugehen, da sich die Klage jedenfalls aus anderen Gründen als abweisungsreif erweist.

Der Kläger kann lediglich den Anspruch erheben, der seinem materiell-rechtlichen Inhalt nach dem Versicherungsträger zusteht. § 378 RVO bestimmt, daß es sich um Ansprüche der "Betriebskrankenkasse gegen den Arbeitgeber aus seiner Kassen- und Rechnungsführung" handeln muß. Diese Vorschrift steht in unmittelbarem Zusammenhang mit § 362 Abs. 1 RVO, wonach der Arbeitgeber auf seine Kosten und Verantwortung die für die Geschäfte erforderlichen Personen zu bestellen hat. Beide Normen sind nur aus der historischen Entwicklung zu verstehen. § 378 RVO stimmt inhaltlich mit § 66 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die KrV der Arbeiter vom 15. Juni 1883 (RGBl 73) - KVG - überein. In dieser Vorschrift wird bei der im Gesetzestext ebenfalls vorkommenden Rechnungs- und Kassenführung durch einen Klammerzusatz auf § 64 Nr. 4 KVG verwiesen. Diese Norm jedoch ist der Vorläufer des § 362 Abs. 1 RVO.

Bei der Schaffung der ersten reichsgesetzlichen Vorschrift zur KrV bestanden bereits zahlreiche Fabrikkrankenkassen. Das Gesetz trug diesem Sachverhalt dadurch Rechnung, daß es sich mit seiner Regelung eng an die vorhandenen Gegebenheiten anlehnte (vgl. Bültmann in BKK 1934 S. 459). Es übertrug die Errichtung der BKK primär dem Unternehmer (§ 60 Abs. 1 KVG). Dieser hatte das Kassenstatut zu errichten und war dabei lediglich gehalten, die Beschäftigten anzuhören (§ 64 Nr. 2 KVG). Durch das Statut konnte ihm oder seinem Vertreter der Vorsitz im Vorstand übertragen werden (§ 64 Nr. 3 KVG), und das als Beilage des KVG veröffentlichte Musterstatut einer BKK sah das in § 28 Abs. 1 a auch vor. Das Musterstatut übertrug dem Vorsitzenden die Vertretung des Vorstandes nach außen bei allen Rechtsgeschäften, mit Ausnahme von Verträgen (§ 29 Abs. 2). Da aber der Vorstand nach § 35 KVG sowohl die Vertretung der Kasse hatte wie auch die laufende Verwaltung führte, lagen die wesentlichen Befugnisse in der Hand des Arbeitgebers. Schließlich bestellte dieser auch den Rechnungs- und Kassenführer (§ 21 Musterstatut), und demgemäß schrieb § 64 Nr. 4 KVG vor, daß die Rechnungs- und Kassenführung unter Verantwortlichkeit und auf Kosten des Betriebsunternehmers durch einen von diesen zu bestellenden Rechnungs- und Kassenführer wahrzunehmen sei.

Dabei konnte sich der Arbeitgeber in dem Arbeitsvertrag mit diesem nicht nur unbeschränkt die Möglichkeit vorbehalten, dessen Tätigkeit zu kontrollieren (vgl. Hoffmann, Das Krankenversicherungsgesetz, 1908, § 64 Anm. 8); er hatte auch die aus dem Arbeitsvertrag fließende Befugnis zur Entlassung des Kassen- und Rechnungsführers (vgl. Hoffmann, BKK 1916, S. 25, 26). Die Haftung des Arbeitgebers ergab sich einmal, soweit er als Vorsitzender des Vorstandes Kassengeschäfte führte, aus § 42 KVG und erstreckte sich auf pflichtgemäße Verwaltung wie bei Vormündern gegenüber ihren Mündeln. Zum anderen hatte er die Kassen- und Rechnungsführung zu verantworten (§ 64 Nr. 4 KVG).

Nur in diesem Zusammenhang gewinnt die gesetzliche Regelung ihren Sinn. Sie zeigt, daß der Arbeitgeber zwar für die Kassen- und Rechnungsführung zu haften hatte, daß er andererseits jedoch in die Lage versetzt wurde, diese Tätigkeit zu kontrollieren und zu beeinflussen, in aller Regel sogar sie maßgebend zu leiten (vgl. Stier-Somlo, Deutsche Sozialgesetzgebung 1906 S. 215; Siebeck, Der Arbeitgeber 1967 S. 441). Berechtigungen und Verpflichtungen des Arbeitgebers entsprachen also einander.

Die RVO vom 19. Juli 1911 beließ es im wesentlichen bei der vorhandenen Regelung. Der Arbeitgeber errichtete die Satzung (§ 320 RVO aF), er führte den Vorsitz im Vorstand (§ 338 Abs. 3 RVO aF) und auch die laufende Verwaltung (§ 342 RVO aF). Eine Änderung der Rechtslage trat nur insoweit ein, als der Arbeitgeber nicht mehr bloß den Kassen- und Rechnungsführer, sondern alle zur Geschäftsführung erforderlichen Personen zu bestellen hatte. In der Begründung des Gesetzentwurfs (zu § 371 des Entwurfs) heißt es, daß es für die Angestellten der BKKen bei den Vorschriften des § 64 KVG bewende. Diese Personen seien nicht Angestellte der Kasse, sondern solche des Betriebsunternehmers, und ihr Verhältnis zu diesem beruhe auf privatrechtlicher Grundlage. Für die Personalkosten hatte mithin weiter der Arbeitgeber einzustehen, während die sächlichen Kosten der Geschäftsführung der Kasse zur Last fielen (vgl. Hoffmann-Kreil, RVO 9. Aufl. 1939 Anm. zu § 362; Bültmann aaO). Im allgemeinen wurde die Tätigkeit in der BKK mehr oder weniger als eine Nebentätigkeit bestimmter Betriebsangehöriger angesehen, die vom Arbeitgeber dazu ausdrücklich abgeordnet wurden, ihm aber auch allein verantwortlich waren (vgl. BKK 1916 S. 37, 38). Diese Regelung in ihrer Gesamtheit gesehen entspricht also der des KVG und enthielt ebenfalls ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten und Pflichten des Arbeitgebers.

Durch das Aufbaugesetz vom 5. Juli 1934, RGBl I S. 577, wurde dann die ehrenamtliche Selbstverwaltung beseitigt und die Stellung des Arbeitgebers sogar noch verstärkt (vgl. Hoffmann-Kreil aaO Anm. III zu § 327). Damit standen dem Arbeitgeber genügend Möglichkeiten zu Gebote, der ihm vom Gesetz auferlegten Haftung Rechnung zu tragen.

In einer gewandelten wirtschaftlichen und sozialen Ordnung (vgl. Weimann, BKK 1969 S. 149) hat das GSv vom 22. Februar 1951 (BGBl I S. 124) die ehrenamtliche Selbstverwaltung wieder hergestellt und eine neue Rechtslage geschaffen. Nunmehr sind die Organe der BKK zu gleichen Teilen aus Vertretern der Versicherten und dem Arbeitgeber oder dessen Vertreter zusammengesetzt (§§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 a und Abs. 2 SVwG). Die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 SVwG schließt ausdrücklich die Möglichkeit aus, daß der Arbeitgeber mit den ihm zustehenden Stimmen Abstimmungen für sich entscheidet. Die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung des Versicherungsträgers obliegt dem Vorstand, § 13 Abs. 1 SVwG.

Neu gegenüber den ursprünglichen Vorschriften des KVG und der RVO ist schließlich die Institution des Geschäftsführers mit eigenverantwortlicher Führung der laufenden Verwaltungsgeschäfte (§ 15 Abs. 4 SVwG). Die Bestellung des Geschäftsführers obliegt zwar noch dem Arbeitgeber. Sie bedarf jedoch der Zustimmung des Vorstandes (§ 15 Abs. 1 a Satz 2 SVwG i. V. m. § 362 Abs. 1 RVO), für den Kollisionsfall ist das Eingreifen der Aufsichtsbehörde vorgesehen. Da dem Geschäftsführer für seinen Geschäftsbereich auch die Vertretung des Versicherungsträgers zusteht, hat er insoweit die Stellung eines Organs des Versicherungsträgers (vgl. Schallen aaO S. 39), und ihn trifft auch die gleiche Haftung wie die Mitglieder der Organe (§ 14 Abs. 2 SVwG). Der Geschäftsführer ist von arbeitsrechtlicher Sicht her in seinem Geschäftsbereich weder dem Arbeitgeber unterstellt noch ihm verantwortlich. Dieser kann keinerlei Anweisungen erteilen und ist zu einer Einflußnahme auf die Verwaltung der Kasse lediglich auf dem Wege über die paritätisch besetzten Kassenorgane befugt (so LAG Bremen, Urteil vom 2. Dezember 1964 - 1 Sa 81/64 - in Betriebsberater 1965 S. 205). Der Arbeitgeber ist auch nicht in der Lage, den Geschäftsführer abzuberufen, denn er bedarf dazu ebenso wie zur Bestellung der Zustimmung des Vorstandes (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 1968 - 3 RK 10/65 - in SozR Nr. 5 zu § 8 GSv aF). Schließlich steht dem Arbeitgeber auch nicht das Recht zu, den Geschäftsführer bei der Führung der laufenden Verwaltungsgeschäfte zu kontrollieren oder im gegebenen Einzelfall anzuweisen. Damit zeigt sich, daß die Rechtsbeziehungen zwischen dem Geschäftsführer und dem Arbeitgeber nicht vergleichbar sind mit den früher durch KVG und RVO geregelten zwischen dem Arbeitgeber und dem von diesem bestellten Rechnungs- und Kassenführer. Insbesondere ist der jetzigen Rechtslage eine Rechnungs- und Kassenführung des Arbeitgebers völlig fremd.

Da der Arbeitgeber den Geschäftsführer der BKK bei der Führung der laufenden Verwaltung weder zu kontrollieren noch zu beeinflussen vermag und auch mit Hilfe des Arbeitsvertrages nicht auf diese Tätigkeit einwirken kann, kann ihm insoweit auch keine Haftung auferlegt werden. Das Haftenmüssen für die Tätigkeit eines Dritten setzt in der Regel voraus, daß dieser im Haftungsbereich unmittelbar oder mittelbar der Einflußnahme des Haftenden unterworfen ist. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Vorschrift des § 362 Abs. 1 RVO ist also dahin zu verstehen, daß der Arbeitgeber für diejenigen Angelegenheiten keine Verantwortung zu tragen hat, für die ihm keine äquivalenten Befugnisse der Einflußnahme zustehen, mithin für die Erledigung der laufenden Verwaltungsgeschäfte. Insoweit ist die Haftung erschöpfend in § 14 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 SVwG geregelt; in diesem Rahmen steht auch der Aufsichtsbehörde die Befugnis zur Geltendmachung von Haftungsansprüchen zu (§ 14 Abs. 1 Satz 3 SVwG).

Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß die in § 378 i. V. m. § 362 Abs. 1 RVO festgesetzte Haftung des Arbeitgebers für fehlerhaftes Verhalten der von ihm für "seine Rechnungs- und Kassenführung" bestellten Personen gegenstandslos geworden ist, weil eine solche Rechnungs- und Kassenführung nicht mehr besteht. Diese unterliegt vielmehr als ein Teilbereich der laufenden Verwaltungsgeschäfte der Verantwortung des Geschäftsführers - nur einschränkbar in den Grenzen des § 15 Abs. 4 Satz 2 SVwG -, der allein dem Versicherungsträger "für getreue Geschäftsführung" haftet (§ 14 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 SVwG). Insofern besteht für die Betriebskrankenkassen kein Sonderrecht mehr.

Diese Einbeziehung der Betriebskrankenkassen in die allgemeinen Grundsätze der Selbstverwaltung der gesetzlichen KrV berührt nicht die besondere Garantiefunktion des Arbeitgebers bei Betriebskrankenkassen, wie sie in § 296 Abs. 2 i. V. m. § 304 RVO sowie in § 390 Satz 2 RVO zum Ausdruck kommt. Diese wird von den Erwägungen über den Wegfall der speziellen Haftung des Arbeitgebers für die mit Rechnungs- und Kassenführung der Betriebskrankenkasse betrauten Personen nicht betroffen; denn der Grund dieser Haftung war kein Ausfluß der Gewährleistungsfunktion des Arbeitgebers, sondern ergab sich aus dessen Verantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung einer ihm ursprünglich obliegenden Aufgabe.

Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Ersatz des Schadens, den nach Meinung des Klägers die Geschäftsführerin der Beigeladenen durch fehlerhafte Führung der laufenden Verwaltungsgeschäfte zugefügt hat, ist somit nicht begründet. Dem Kläger muß es überlassen bleiben, sich an die Geschäftsführerin zu halten; das Gesetz räumt ihm die Möglichkeit dazu ein (§ 14 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 SVwG). Der Beschluß der Vertreterversammlung, keinen Regreß zu nehmen, hindert den Kläger daran jedenfalls nicht, denn dieser Verzicht hätte der ausdrücklichen Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedurft, um wirksam zu werden (§ 14 Abs. 1 Satz 2 SVwG).

Auf die Revision der Beklagten waren demgemäß die Urteile des Bayerischen LSG und des SG München aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 121

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen