Leitsatz (amtlich)

Die Abberufung des stellvertretenden Geschäftsführers der Bezirksverwaltung einer BKK bedarf nicht der Zustimmung des Vorstandes der Bezirksverwaltung.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Sozialrechtsweg (SGG § 51) ist auch eröffnet für die Streitfrage, ob die Abberufung eines leitenden Angestellten (stellvertretender Geschäftsführer) einer BKK (Selbstverwaltungsorgan) Rechtens ist, da es sich um eine Streitigkeit aus dem Gebiet der Sozialversicherung handelt.

 

Normenkette

RVO § 362 Fassung: 1911-07-19; SGG § 51 Fassung: 1953-09-03; SVwG § 8

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. November 1964 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage als unbegründet abgewiesen wird.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten sich über die Rechtmäßigkeit der Abberufung eines stellvertretenden Geschäftsführers der Bezirksverwaltung einer Betriebskrankenkasse (BKK) nach dem Selbstverwaltungsgesetz sowie darüber, welcher Rechtsweg für diese Streitigkeit gegeben ist.

Der Kläger ist Angestellter der Deutschen Bundespost. Nach Errichtung der Bezirksverwaltung N der Bundespost-BKK wurde er in den Geschäftsbereich dieser Bezirksverwaltung versetzt und mit dem Amt des Innen- und Außenprüfers betraut. Der Präsident der Oberpostdirektion N ernannte den Kläger durch Schreiben vom 14. Januar 1954 "auf Grund des § 8 Abs. 1 a des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung vom 13. August 1952 (BGBl I 427) iVm § 362 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als Stellvertreter des Geschäftsführers der Bundespostbetriebskrankenkasse, Bezirksverwaltung N". Der Bezirksvorstand der Bundespost-BKK, Bezirksverwaltung N, faßte am 6. Oktober 1959 den Beschluß, den Kläger als stellvertretenden Geschäftsführer "wegen fehlender Vertrauenswürdigkeit" mit Wirkung vom Tage der Zustellung an (dem 26. Oktober 1959) abzuberufen. Daraufhin erklärte der Präsident der Oberpostdirektion N dem Kläger mit Schreiben vom 7. November 1959, er werde ihn nicht mehr als Prüfer einsetzen; wegen der Verbindung des Prüfdienstes mit dem Amt des stellvertretenden Geschäftsführers in dem Geschäftsplan der Bundespost-BKK, Bezirksverwaltung N, enthebe er ihn zugleich "auf Grund des § 8 Abs. 1 a des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung iVm § 15 der Satzung der Bundespost-Betriebskrankenkasse" vom Amt des stellvertretenden Geschäftsführers.

Die Beschwerde des Klägers gegen diese Entscheidungen wies das beigeladene Bundesversicherungsamt am 2. April 1960 mit der Begründung zurück, die Geschäftsführer und deren Stellvertreter bei den Bezirksverwaltungen der Bundespost-BKK seien keine Geschäftsführer im Sinne des Gesetzes über die Selbstverwaltung (GSv). In dem darauf folgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hob der Hauptgeschäftsführer der beigeladenen Bundespost-BKK in der mündlichen Verhandlung am 1. Juli 1960 den Beschluß des Vorstandes der Bezirksverwaltung N vom 6. Oktober 1959 auf. Der Kläger nahm sodann die Klage zurück. Auf Weisung des Hauptvorstandes der Bundespost-BKK hob der Vorstand der Bezirksverwaltung N im Beschluß vom 21. Juli 1960 seinen Beschluß vom 6. Oktober 1959 auf. In der Sitzung vom 5./6. April 1961 stimmte er indessen der Abberufung des Klägers durch den Präsidenten der Oberpostdirektion N wieder zu und hob gleichzeitig seine Beschlüsse vom 6. Oktober 1959 und 21. Juli 1960 auf.

Gegen die Weigerung der beklagten Bundespost, ihn in seine frühere Dienststellung wieder einzusetzen, hat der Kläger Klage gegen die Deutsche Bundespost erhoben mit dem Antrag

festzustellen, daß er weiterhin stellvertretender Geschäftsführer der Bundespost-BKK, Bezirksverwaltung N ist.

Das SG hat auf die neuerliche Klage durch Urteil vom 23. November 1962 festgestellt, daß der Kläger noch stellvertretender Geschäftsführer sei.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 11. November 1964 die Klage abgewiesen: Sie sei unzulässig, da sie keine Angelegenheit der Sozialversicherung gemäß § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) betreffe. Die Abberufung von dem Amt als stellvertretender Geschäftsführer sei ausschließlich eine Maßnahme des Arbeitgebers im Rahmen des Arbeitsverhältnisses. Als Angelegenheit der Sozialversicherung stelle sie sich nicht dar, weil stellvertretende Geschäftsführer von Bezirksverwaltungen eines Versicherungsträgers keine stellvertretenden Geschäftsführer im Sinne des GSv seien, die dem Schutz des § 7 Abs. 4 und 5 GSv unterständen. Der Geschäftsführer im Sinne des GSv stelle nicht nur die büromäßige Spitze in den laufenden Geschäften des Versicherungsträgers dar, sondern er trage insoweit auch eigenständige Verantwortung. Seine gesetzlich umschriebene Machtposition beruhe unmittelbar auf dem Selbstverwaltungsrecht des Versicherungsträgers. Demgegenüber nehme der Geschäftsführer einer Bezirksverwaltung nicht eigenständig an der Selbstverwaltung des Versicherungsträgers teil.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.

Er führt aus, er sei als gemäß § 362 Abs. 1 RVO iVm § 8 Abs. 1 a GSv bestellter stellvertretender Geschäftsführer Organ der Bundespost-BKK, zumindest aber gelte für ihn der Schutz des § 7 Abs. 4 und 5 GSv aF vor Abberufungen durch den Arbeitgeber. Die Beklagte habe sich danach durch die Bestellung des Klägers zum stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer des Rechts begeben, den Kläger von seinem Amt abzuberufen. Dieses Recht sei ausschließlich auf den Vorstand der Bundespost-BKK übergegangen. An dieser zwingenden gesetzlichen Regelung könne auch das Satzungsrecht nichts ändern. Somit betreffe der Streit um die Abberufung eine Angelegenheit des Selbstverwaltungsrechts der Bundespost-BKK, also eine Angelegenheit der Sozialversicherung im Sinne des § 51 SGG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 11. November 1964 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 23. November 1962 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.

Die beigeladene Bundepost-BKK schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Die Revision ist im Ergebnis nicht begründet.

Allerdings ist - im Gegensatz zu der Ansicht des LSG - der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben, weil es sich im vorliegenden Fall um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der Sozialversicherung im Sinne von § 51 SGG handelt. Denn der Kläger macht nicht Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend, sondern berühmt sich - über seine arbeitsrechtliche Stellung hinaus -, daß die Vorschriften des Rechts über die Selbstverwaltung seiner Abberufung als stellvertretender Geschäftsführer entgegenstehen, indem er vorträgt, daß seine Abberufung nur mit Zustimmung des Vorstandes erfolgen dürfe. Für die Prüfung der wirklichen Rechtsnatur des im Klagevorbringen geltend gemachten Anspruchs kommt es nur darauf an, ob aus dem Klagevorbringen ein öffentlich-rechtlicher oder ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch, der Gegenstand des Rechtsstreits sein soll, abzuleiten ist (BSG 2, 23 ff, 26). Es ist dabei nicht entscheidend, ob die Vorschriften des GSv über die Rechtsstellung des Geschäftsführers und seines Stellvertreters bei richtiger Anwendung des Gesetzes auch auf das Amt des stellvertretenden Geschäftsführers einer BKK-Bezirksverwaltung anzuwenden sind. Maßgebend ist vielmehr der erhobene Klageanspruch.

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Da der Kläger die Feststellung begehrt, daß er nach wie vor stellvertretender Bezirksgeschäftsführer sei, richtet sich seine Klage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG auf die Feststellung des Bestehens des Rechtsverhältnisses zu der Bundespost-BKK, auf dem das Amt des stellvertretenden Bezirksgeschäftsführers beruht. Der Amtsinhaber und die Bundespost-BKK sind dabei die einzigen Träger des Rechtsverhältnisses. Die beklagte Bundespost kommt dagegen als Träger dieses Rechtsverhältnisses nicht in Betracht und ist daher für den erhobenen Anspruch nicht passiv legitimiert. Der Mangel der Passivlegitimation wird jedoch durch die Beiladung der passiv legitimierten Bundespost-BKK geheilt, die gemäß § 75 Abs. 5 SGG auch als Beigeladene verurteilt werden kann (vgl. BSG 9, 67 ff, 70; 14, 86 ff, 89 und hinsichtlich des Feststellungsurteils: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit Anm. 7 c zu § 75 SGG, Seite 258/8 - 36 -).

Durch die Abberufung der Beklagten ist der Kläger rechtsgültig seines Amts als stellvertretenden Geschäftsführers der Bundespost-BKK, Bezirksverwaltung N, enthoben worden. Nach § 362 RVO bestellt bei BKK'en der Arbeitgeber auf seine Kosten und Verantwortung die für die Geschäfteerforderlichen Personen. Daraus folgt, daß er sie auch abberuft. Dieses Recht ist nach § 8 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 GSv in der für den vorliegenden Fall noch maßgebenden Fassung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über die Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 13. August 1952 (BGBl I S. 427) und der Änderungsgesetze bis zum Vierten Gesetz zur Änderung des GSv vom 18. April 1958 (BGBl I S. 213) eingeschränkt: Hiernach bedarf bei BKK'en die Bestellung - und damit auch die Abberufung - des Geschäftsführers der Zustimmung des Vorstandes.

Diese Einschränkungen sind öffentlich-rechtlicher Natur. Sie finden ihren sachlichen Grund in der Rechtsstellung des Geschäftsführers nach dem GSv, dem danach aus eigenem Recht die Befugnis zusteht, hauptamtlich die laufenden Verwaltungsgeschäfte des Versicherungsträgers zu führen und im Rahmen dieser Zuständigkeit für den Versicherungsträger rechtsverbindlich zu handeln (§ 8 Abs. 4 aF = § 15 Abs. 4 nF GSv). Demgegenüber ist die Stellung des Geschäftsführers der Bezirksverwaltung und ihre mangelnde Rechtspersönlichkeit gekennzeichnet (vgl. BSG Urteil vom 30. Oktober 1963, SozR Nr. 36 zu § 537 RVO aF und Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: 15. Mai 1967, Bd. I S. 154 a). Das GSv trägt dieser Unselbständigkeit dadurch Rechnung, daß es den Vorständen von Bezirksverwaltungen ein wesentliches Recht, nämlich das Recht, den Versicherungsträger gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, ausdrücklich vorenthält (§ 6 Abs. 2 aF = § 13 Abs. 2 nF GSv).

An dieser rechtlichen Unselbständigkeit der Bezirksverwaltung des Versicherungsträgers ändert sich auch nichts dadurch, daß nach § 1 Abs. 2 Satz 2 GSv aF die Satzung des Versicherungsträgers für den Fall, daß eigene Organe der Bezirksverwaltungen gebildet werden (vgl. Satz 1 aaO), die Aufgaben und Befugnisse dieser Bezirksorgane gegenüber denen der Organe der Hauptverwaltung abzugrenzen hat. Damit kann für die Bezirksorgane ein Bereich eigenständiger Verantwortung festgelegt werden. Wie jedoch der enge Zusammenhang zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 1 GSv aF erkennen läßt, gilt diese Ermächtigung auch auf der bezirklichen Ebene nur für "Organe der Selbstverwaltung", d. h. Vertreterversammlung und Vorstand, Wie "der Geschäftsführer" (vgl. § 8 Abs. 1 Buchst. a GSv aF) ist auch der Bezirksgeschäftsführer und erst recht dessen Stellvertreter kein "Organ der Selbstverwaltung". Deshalb kann aus § 1 Abs. 2 Satz 2 GSv aF nicht die Ermächtigung abgeleitet werden, dem Bezirksgeschäftsführer satzungsrechtlich eine von Weisungen des Geschäftsführers unabhängige Stellung einzuräumen oder auf ihn die im GSv für den Geschäftsführer vorgesehenen Sicherungen seiner Stellung zu übertragen.

Vielmehr bestimmen sich beim Bezirksgeschäftsführer Aufgabenbereich und Voraussetzungen seiner Bestellung und Abberufung allein nach dem Gesetz. Dieses verlangt aber nur bei der Bestellung des Geschäftsführers die Zustimmung des Vorstands (§ 8 Abs. 1 Buchst. a Satz 2, 2. Halbsatz GSv aF) und läßt im übrigen ausdrücklich das Sonderrecht der Betriebskrankenkassen unberührt (vgl. § 362 RVO). Schon die Fassung des § 8 GSv aF, die deutlich zwischen "dem Geschäftsführer" und einer - unter bestimmten Voraussetzungen möglichen - mehrköpfigen "Geschäftsführung" unterscheidet (vgl. Abs. 1 Buchst. c und Abs. 5 aaO), läßt klar erkennen, daß es in der Krankenversicherung grundsätzlich nur "den Geschäftsführer" gibt. Er trägt die Verantwortung für die laufende Verwaltung des Versicherungsträgers (§ 8 Abs. 4 GSv aF). Wenn aber die eigenständigen, im Gesetz begründeten und sich unmittelbar aus dem Selbstverwaltungsrecht des Versicherungsträgers ergebenden Befugnisse des Geschäftsführers des Versicherungsträgers die sachliche Rechtfertigung für seine Sonderrechte im GSv bilden, dann stellt ein von der Hauptverwaltung abhängiger Bezirksgeschäftsführer ohne eigenständige Rechte keinen Geschäftsführer im Sinne des GSv dar. Dasselbe muß erst recht für einen stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer gelten.

Demnach ist bei den Geschäftsführern und stellvertretenden Geschäftsführern von Bezirksverwaltungen die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Buchst. a Satz 2, zweiter Halbsatz GSv aF nicht anzuwenden. Damit steht auch fest, daß § 15 Satz 2 der Satzung der Bundespost-BKK in der hier noch einschlägigen Fassung, wonach die Bestellung des Geschäftsführers der Bezirksverwaltung und seines Stellvertreters der Zustimmung des Vorstandes der Bezirksverwaltung bedarf, gegen zwingendes Recht verstößt und deshalb nichtig ist. Die Abberufung des Klägers bedurfte deshalb nicht der Zustimmung des Bezirksvorstandes.

Die Revision des Klägers muß daher mit der Maßgabe zurückgewiesen werden, daß die Klage als unbegründet abgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324343

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