Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung von der Versicherungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

Scheidet ein Referendar aus dem juristischen Vorbereitungsdienst ohne lebenslängliche Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen aus, so ist er für die Dauer dieses Dienstverhältnisses auch dann nachzuversichern, wenn er sich für ein vorangegangenes privates Beschäftigungsverhältnis von der Versicherungspflicht nach AnVNG Art 2 § 1 hatte befreien lassen; diese Befreiung ist für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Beamtenverhältnisses ohne Bedeutung.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Befreiung von der Versicherungspflicht auf Antrag des Beschäftigten ist der Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes nachgeordnet.

2. Tritt ein auf Antrag von der Versicherungspflicht befreiter Arbeitnehmer in ein Beschäftigungsverhältnis, aufgrund dessen er kraft Gesetzes versicherungsfrei ist, so ist für diese Beschäftigung die Befreiung von der Versicherungspflicht wirkungslos.

 

Normenkette

AVG § 9 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1232 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 20. Juni 1969 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der im Jahre 1917 geborene Beigeladene war bis zum 30. November 1957 als Assistent bei der Akademie für Gemeinwirtschaft in H beschäftigt gewesen. Seine dortige Tätigkeit war zuletzt bis Anfang 1957 wegen Überschreitung der damaligen Jahresarbeitsverdienstgrenze kraft Gesetzes versicherungsfrei gewesen. Nachdem er aufgrund der Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze durch das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23. Februar 1957 ab 1. März 1957 wieder versicherungspflichtig geworden war, ließ er sich gemäß Art. 2 § 1 AnVNG von der Versicherungspflicht befreien (Bescheid der Beklagten vom 15. August 1957). Vom 1. Dezember 1957 bis 21. September 1961 stand der Beigeladene bei der Klägerin als Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst. Diese hielt ihn aufgrund der erteilten Befreiung für nicht versicherungspflichtig. Sie gewährte ihm jedoch freiwillig den Arbeitgeberanteilen entsprechende Zuschüsse zu seiner Lebensversicherung im Gesamtbetrage von 1.876,26 DM.

Nach Beendigung der Referendarzeit schied der Beigeladene aus dem öffentlichen Dienst ohne beamtenrechtliche Versorgung aus. Im Hinblick auf den Ausgang des Verfahrens vor dem Bundessozialgericht (BSG) 3 RK 107/59 (Urteil vom 17. März 1964, BSG 20, 244), an dem die Klägerin beteiligt gewesen war, nahm diese nunmehr an, daß ein Fall der Nachversicherung nach § 9 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gegeben sei. Sie überwies deshalb im Februar 1965 der Beklagten an Nachversicherungsbeiträgen insgesamt 3.753,22 DM. Diese erteilte dem Beigeladenen hierüber am 15. April 1965 eine entsprechende Aufrechnungsbescheinigung.

Am 11. Mai 1967 beantragte die Klägerin die Rückerstattung dieses Betrages. Die Voraussetzungen für eine Nachversicherung hätten nicht vorgelegen. Der Beigeladene sei nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 oder nach § 8 Abs. 1 AVG versicherungsfrei gewesen, sondern aufgrund der erteilten Befreiung, die sich auch auf das Beamtenverhältnis erstreckt habe.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. Juni 1967 ab, weil die erteilte Befreiung für das spätere Beamtenverhältnis bedeutungslos sei.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die von der Klägerin erhobene Klage auf Erstattung der entrichteten Nachversicherungsbeiträge abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg zurückgewiesen. Die Vorinstanzen sind im wesentlichen übereinstimmend der Auffassung, der Beigeladene sei zu Recht nachversichert worden. Daß die Klägerin an den Beigeladenen Zuschüsse zur Lebensversicherung gezahlt habe, sei unerheblich. Dies beruhe allein auf einer unrichtigen Beurteilung des Sozialversicherungsverhältnisses. Der Verpflichtung zur Nachversicherung habe insbesondere nicht entgegengestanden, daß der Beigeladene vor der Übernahme in das Beamtenverhältnis auf seinen Antrag von der Versicherungspflicht befreit worden sei. Diese Befreiung wirke nicht in das Beamtenverhältnis hinein.

Das LSG hat in seinem Urteil vom 20. Juni 1969 die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Hamburg vom 22. Mai 1968 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14. Juni 1967 zu verurteilen, die für den Beigeladenen entrichteten Nachversicherungsbeiträge zu erstatten,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, sie, die Klägerin, nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Gerügt wird unrichtige Anwendung des § 9 AVG und des Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG. Der Klageanspruch sei begründet, wenn für den Beigeladenen die Nachversicherung in der Angestelltenversicherung (AnV) zu Unrecht durchgeführt worden sei. Das hänge von der Anwendbarkeit des § 9 AVG ab. Danach seien ua Personen nachzuversichern, die aus einer Beschäftigung, während der sie nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 versicherungsfrei waren, ausscheiden, ohne daß ihnen nach beamtenrechtlichen Vorschriften eine lebenslängliche Versorgung gewährt wird, und zwar für die Zeit, in der sie sonst in der Rentenversicherung der Angestellten versicherungspflichtig gewesen wären. Das angefochtene Urteil verkenne die Bedeutung des Wortes sonst in diesem letzten Halbsatz. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 17, 206) müsse hierbei nämlich darauf abgestellt werden, ob der Beigeladene ohne Beachtung des hier allein in Betracht kommenden § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG während der Dauer seines Beamtenverhältnisses auf Widerruf als Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst versicherungspflichtig oder versicherungsfrei gewesen sei. Es könne keinem Zweifel unterliegen, daß der Beigeladene alsdann, d.h. sonst im Sinne des § 9 Abs. 1 AVG, versicherungsfrei gewesen wäre, und zwar wegen des persönlichen Befreiungsgrundes des Art. 2 § 1 AnVNG, der wieder eingreife, wenn der gesetzliche Befreiungsgrund entsprechend der Rechtsprechung des BSG weggedacht werde. Dieses Ergebnis entspreche auch den Interessen der Betroffenen. Der Beigeladene habe von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht und auf die gesetzliche AnV zugunsten der Möglichkeit einer privaten Lebensversicherung verzichtet. Da er in einer anderen Tätigkeit nicht mehr angestelltenversicherungspflichtig sein könne, sei es ausgeschlossen, daß er aus einer Nachversicherung für einen Zeitraum von etwa 3 1/2 Jahren jemals Vorteile ziehe. Außerdem habe sie, die Klägerin, ihm Zuschüsse zu seinen Lebensversicherungsbeiträgen geleistet. Die von der Beklagten vorgebrachte Bindungswirkung ihres Bescheides vom 15. April 1965 stehe dem nicht entgegen. Die Klägerin greife nicht die Aufrechnungsbescheinigung nach § 124 Abs. 6 Satz 2 AVG an, sondern mache ihren Anspruch aus § 146 AVG geltend. Er bestehe unabhängig von einer etwaigen rechtlichen Bindung der Aufrechnungsbescheinigung.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen, da das angefochtene Urteil richtig sei.

Der Beigeladene, der sich im Verfahren vor dem SG und dem LSG den Anträgen der Klägerin angeschlossen hatte, hat sich im Revisionsverfahren nicht vertreten lassen und stellt keine Anträge.

II.

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Ihrer Rechtsauffassung kann nicht gefolgt werden.

Zutreffend ist das LSG von § 146 AVG ausgegangen. Danach können Beiträge, die zu Unrecht entrichtet worden sind, binnen zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Entrichtung zurückgefordert werden. Der Rückforderungsanspruch steht dem Arbeitgeber zu, soweit er, wie hier, die Beiträge getragen hat (Abs. 4 aaO).

Zur Geltendmachung dieses Rückforderungsanspruchs bedurfte es trotz der Vorschrift des § 80 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wegen der Sondervorschrift des § 81 Nr. 3 SGG nicht der Durchführung eines Vorverfahrens, wie das SG mit Recht ausgeführt hat.

Der Rückforderungsanspruch der Klägerin ist jedoch schon deshalb unbegründet, weil der Beigeladene auf Grund der Vorschrift des § 9 AVG zu Recht in der AnV nachversichert worden ist, nachdem er aus dem beamtenrechtlichen Dienstverhältnis ohne Versorgung ausgeschieden war.

Für die Zeit seines Vorbereitungsdienstes war die nach Art. 2 § 1 AnVNG ausgesprochene Befreiung ohne jede Bedeutung. Während der Referendarzeit galt allein der beamtenrechtliche Befreiungsgrund des § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG, er ging als Sonderregelung der Befreiung vor. Wer schon kraft Gesetzes versicherungsfrei ist, kann nicht noch zusätzlich von der Versicherungspflicht befreit werden (vgl. BSG 26, 280, 282). Denn für eine solche Maßnahme würde es an jedem vernünftigen Grund fehlen. Im übrigen ist es selbstverständlich, daß auch ein Befreiter noch kraft Gesetzes versicherungsfrei werden kann, wenn er sein bisheriges, von der Versicherungspflicht befreites Beschäftigungsverhältnis aufgibt und statt dessen ein anderes eingeht, das bereits auf Grund anderer Vorschrift nicht versicherungspflichtig ist. Die dem Beigeladenen für seine Assistenten-Tätigkeit erteilte Befreiung nach Art. 2 § 1 AnVNG und die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 für seine Referendar-Zeit standen deshalb anders als dies in BSG 17, 206 für das Verhältnis von § 172 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 1 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung idF der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (RGBl I 41) für den Fall der gleichzeitigen Versicherungsfreiheit eines einzigen Beschäftigungsverhältnisses nach mehreren Vorschriften ausgeführt ist, nicht selbständig nebeneinander. Vielmehr war ihre Rangfolge derart, daß die zunächst durch Verwaltungsakt ausgesprochene Befreiung durch die später kraft Gesetzes eintretende Versicherungsfreiheit für die Zeit des versicherungsfreien Beamtenverhältnisses wirkungslos wurde. Dies zeigt sich vor allem auch darin, daß nunmehr eine Befreiung auf Antrag überhaupt nicht mehr möglich gewesen wäre.

In einem solche Falle kann die Befreiung nach Art. 2 § 1 AnVNG in keiner Weise mehr in die Zeit der beamtenrechtlich begründeten Versicherungsfreiheit hineinwirken. Die Versicherungsfreiheit des Beigeladenen beruhte während seines Vorbereitungsdienstes vielmehr allein auf § 6 Abs.1 Nr. 2 AVG. Von der Wirkungslosigkeit der Befreiung für die Zeit des Vorbereitungsdienstes ist deshalb auch für die Beantwortung der Frage auszugehen, ob nach dem Hinwegdenken der beamtenrechtlichen Versicherungsfreiheit des § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG Versicherungspflicht bestanden hätte. Das wäre aber alsdann der Fall gewesen. Eine mindestens zeitweilig wirkungslos gewordene Befreiung kann auch nicht etwa dadurch wieder Bedeutung gewinnen, daß rückschauend die Frage gestellt wird, ob die versicherungsfreie Person sonst in einem anderen Beschäftigungsverhältnis versicherungspflichtig gewesen wäre. Ist vielmehr für die Frage der Anwendbarkeit des § 9 AVG davon auszugehen, daß die frühere Befreiung mindestens zeitweilig für die Dauer der Referendarzeit keine Wirkungen mehr zeigte, dann bedeutete dies, daß der Beigeladene nach dem Wegdenken der beamtenrechtlichen Versicherungsfreiheit eine "sonst versicherungspflichtige" Person war und somit für die Zeit seines juristischen Vorbereitungsdienstes nachversichert werden mußte.

Das von der Klägerin angestrebte gegenteilige Ergebnis läßt sich weder aus dem Gesetz herleiten noch etwa aus dem Sinn und Zweck der Nachversicherung, es würde im Gegenteil ihm widersprechen. Diese begründet eine Beitragspflicht des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn eigener Art, die dem Beschäftigten die Nachteile ausgleichen soll. die ihm dadurch entstehen können, daß eine bestimmte Zeit seiner Tätigkeit im öffentlichen Dienst versicherungsfrei war. Ohne sie würde nämlich nach Wegfall der beamtenrechtlichen Versorgung vielfach überhaupt keine Alterssicherung vorhanden sein. Die Verpflichtung zur Nachversicherung besteht deshalb jetzt auch unabhängig davon, ob der Jahresarbeitsverdienst die jeweils gültig gewesene Jahresarbeitsverdienstgrenze überschritten hat (vgl. Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 3 AnVNG sowie die Einfügung des Absatzes 7 in § 9 AVG durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965).

Wäre die Auffassung der Revision zutreffend, würde die Nachversicherung nach § 9 AVG stets entfallen und damit die Alterssicherung beeinträchtigt werden, wenn der ohne Versorgung ausscheidende Beamte vor seiner Berufung in das Beamtenverhältnis bereits irgendwann einmal antragsgemäß von der Versicherungspflicht befreit worden ist. Das würde selbst dann gelten, wenn er erst nach vielen Jahren oder gar Jahrzehnten ohne Versorgung aus dem Beamtenverhältnis ausscheiden würde. Allein die Auswirkung, daß er dann praktisch unversorgt wäre, falls er - wie es die Regel sein wird - seine Lebensversicherung nicht aufrechterhalten hat, zeigt, daß die Auffassung der Klägerin nicht richtig sein kann. Ebensowenig trifft es zu, daß der Beigeladene aus einer Nachversicherung für rund dreieinhalb Jahre keinerlei Vorteile habe. Zusammen mit etwaigen weiteren Versicherungszeiten kann die Nachversicherung für ihn durchaus von Wert sein. Abgesehen hiervon richtet sich die Versicherungspflicht nicht nach den Wünschen der Betroffenen, wie das LSG zutreffend ausweist.

Unter diesen Umständen erübrigte sich eine Erörterung der Frage, ob und inwieweit der erteilten Aufrechnungsbescheinigung vom 15. April 1965 eine Bindungswirkung nach § 77 SGG zukommt und bereits diese dem erhobenen Anspruch entgegensteht.

Somit ist die Revision in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen. Selbst der Hilfsantrag konnte keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669020

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