Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung der Arbeitnehmer bei Minderung des Beitragsanteils zur Krankenversicherung

 

Orientierungssatz

Einwendungen des Arbeitgebers, die sich gegen Grund oder Höhe seines Beitragsanteils richten, betreffen das Deckungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber iS des § 520 Abs 1 RVO dergestalt, daß die Entscheidung darüber sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer des Klägers sind dann als notwendig Beizuladende iS des § 75 Abs 2 SGG an dem Verfahren zu beteiligen.

 

Normenkette

RVO § 520 Abs 1 S 1; SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 01.10.1980; Aktenzeichen L 4 Kr 55/78)

SG Augsburg (Entscheidung vom 13.04.1978; Aktenzeichen S 7 Kr 47/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die Abführung des Arbeitgeberanteils an den Beiträgen seiner bei der beklagten Ersatzkasse versicherten Angestellten insoweit verweigern darf, als die Beklagte daraus Leistungen bei nicht medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen gewährt.

Der Kläger ist Arzt für Allgemeinmedizin. Er beschäftigt vier krankenversicherungspflichtige Angestellte, die Mitglieder der Beklagten sind. Der Kläger erhob im August 1976 "Beschwerde" dagegen, daß die Beklagte als Leistungen aus der Krankenversicherung auch die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche übernimmt, die nicht medizinisch indiziert sind. Die Beklagte verwies demgegenüber in einem - nicht in der Form eines Bescheides gehaltenen - Schreiben vom 19. Januar 1977 auf ihre gesetzliche Leistungspflicht nach §§ 200e ff der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Kläger erhob daraufhin eine Feststellungsklage, die er jedoch auf Anregung des Sozialgerichts -SG- (Az.: S 7 Kr 37/77) wieder zurücknahm, um zunächst ein Widerspruchsverfahren durchführen zu lassen. Nachdem die Beklagte die Klageschrift als Widerspruch behandelt und diesen mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 1977 zurückgewiesen hatte, machte der Kläger mit seiner dagegen erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage geltend, die Gewährung von Leistungen für einen nicht medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch (§ 218a des Strafgesetzbuches) nach Maßgabe der §§ 200e ff RVO verstoße gegen die Art 1, 2 und 6 des Grundgesetzes (GG), so daß auch die Krankenkassen an der Gewährung von Leistungen für die nicht medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüche gehindert und die Beitragspflichtigen insoweit zur Beitragsverweigerung berechtigt seien.

Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des SG vom 13. April 1978; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 1. Oktober 1980). Das LSG hat die Anfechtungsklage als zulässig angesehen, weil die Beklagte einen den Kläger formal belastenden Verwaltungsakt erlassen habe; dem stehe nicht entgegen, daß der Kläger mit der Behauptung der Verletzung eigener Rechte möglicherweise eine - unzulässige - Popularklage umgehe. Auch die Feststellungsklage sei zulässig, weil der Kläger ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse habe. Streitgegenstand sei die Verpflichtung des Klägers zur Abführung des Arbeitgeberanteils zur Krankenversicherung. Diesen Anteil habe er hier kraft einer stillschweigend getroffenen Vereinbarung der Beteiligten unmittelbar an die Beklagte abzuführen; deshalb sei eine Beiladung der Angestellten des Klägers nicht erforderlich. Die Klage sei aber sachlich unbegründet, weil dem Kläger das von ihm geltend gemachte Leistungsverweigerungsrecht nicht zustehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision. Der Kläger hält die Beiladung der von ihm beschäftigten Arbeitnehmer gemäß § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für erforderlich. In der Sache selbst wiederholt er seine im zweiten Rechtszug vorgetragene Rechtsansicht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts

vom 1. Oktober 1980 und das Urteil des Sozialgerichts

Augsburg vom 13. April 1978 aufzuheben,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung

an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision     des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil das Verfahren vor dem LSG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht behoben werden kann.

Das LSG ist in tatsächlicher Hinsicht unwidersprochen - und damit für den Senat bindend - von einer zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung ausgegangen, wonach der Kläger die Beiträge der bei ihm beschäftigten Mitglieder der Beklagten unmittelbar an die Beklagte abführt. Eine solche Vereinbarung ändert nichts an der Verpflichtung des Arbeitgebers, sich an der Aufbringung der Krankenversicherungsbeiträge zu beteiligen. Denn wie bei der Mitgliedschaft in einer Pflichtkasse (§ 381 RVO) werden auch im Falle der Mitgliedschaft eines krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmers in einer Ersatzkasse die Beiträge vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer gemeinsam "getragen".

In welchem Umfange sich der Arbeitgeber an der Aufbringung der Beiträge seiner bei einer Ersatzkasse versicherten versicherungspflichtigen Arbeitnehmer zu beteiligen hat, ergibt sich aus § 520 Abs 1 Satz 1 RVO. Wie der erkennende Senat dazu bereits in dem Urteil vom 17. März 1981 - 12 RK 27/80 - (SozR 2200 § 520 Nr 2) entschieden hat, folgt schon aus dem Wortlaut, aber auch aus Sinn und Entstehungsgeschichte der genannten Vorschrift, daß der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber den vollen Beitragsanteil erhalten soll, den dieser im Falle der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der Pflichtkasse aufzubringen hätte. In Höhe dieses, je nach dem Beitragssatz der zuständigen Pflichtkasse verschieden hohen Beitragsanteils des Arbeitgebers wird mithin der Arbeitnehmer gegenüber der Ersatzkasse von seiner Beitragsschuld entlastet. Mindert sich nun der Anteil des Arbeitgebers an dem Ersatzkassenbeitrag - eine solche Minderung wird hier vom Kläger verlangt -, so muß, da die Höhe des an die Ersatzkasse abzuführenden Beitrags durch Änderungen des Beitragsanteils des Arbeitgebers nicht berührt wird, der Beitragsanteil des Versicherten in gleichem Maße wachsen. Deshalb betreffen Einwendungen des Arbeitgebers, die sich gegen Grund oder Höhe seines Beitragsanteils richten, das Deckungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Sinne des § 520 Abs 1 RVO dergestalt, daß die Entscheidung darüber sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer des Klägers sind mithin als notwendig Beizuladende im Sinne des § 75 Abs 2 SGG an dem Verfahren zu beteiligen.

Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (erkennender Senat in ständiger Rechtsprechung, vgl Urteil vom 30. Januar 1980 - 12 RK 58/78 - SozR 1500 § 75 Nr 29 mit weiteren Nachweisen).

Nach Beiladung der Arbeitnehmer des Klägers wird das LSG im übrigen zu prüfen haben, ob die Klage in der bisher erhobenen Form - ohne daß zuvor durch einen Verwaltungsakt der Beklagten für bestimmte, namentlich bezeichnete Versicherte und für bestimmte Zeiträume eine genau umrissene Beitragsforderung festgestellt worden ist - zulässig ist (vgl dazu BSGE 45, 206 und Urteil des Senats vom heutigen Tage in der Sache 12 RK 62/80).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652771

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