Leitsatz (amtlich)

Zu einem Rechtsstreit über die Feststellung einer Familienhilfeberechtigung (RVO § 205), der zwischen einem Angehörigen des Versicherten und dessen Krankenkasse geführt wird, muß der Versicherte beigeladen werden (SGG § 75 Abs 2).

 

Normenkette

SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 6 Fassung: 1975-06-24, § 175 Nr. 3 Fassung: 1975-06-24, § 205

 

Verfahrensgang

SG Duisburg (Entscheidung vom 25.05.1977; Aktenzeichen S 21 Kr 85/76)

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin während eines vor Beginn des Studiums unentgeltlich ausgeübten Praktikums nach § 165 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung und deshalb Mitglied der B der Stadt D - Beklagte zu 2) - war oder ob für sie auch während dieser Zeit Anspruch auf Familienkrankenhilfe aus der Krankenversicherung ihres Vaters nach § 205 RVO bestand.

Die Klägerin absolvierte zur Vorbereitung ihres Studiums an den K Fachschule N -W , Fachrichtung Sozialwesen, in der Zeit vom 1. September 1976 bis 28. Februar 1977 ein Praktikum bei der Stadt D, das entsprechend dem Mustervertrag für Praktikanten tariffrei und vergütungsfrei war. Der bei der B kasse M AG - Beklagte zu 1) - versicherte Vater der Klägerin erhob am 23. September 1976 vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts (SG) Duisburg Klage mit dem Antrag, "festzustellen, welche der vorgenannten Krankenkassen verpflichtet ist, meine Tochter Elke, geb. 25.5.56 während der Praktikantentätigkeit bei der Stadt D zu versichern". Nach mündlicher Verhandlung, zu der die Klägerin geladen und erschienen war, stellte das SG mit Urteil vom 25. Mai 1977 fest, "daß die Beklagte zu 1) für die Klägerin in der Zeit vom 1. September 1976 bis 28. Februar 1977 während deren Praktikantenzeit bei der Stadt D die zuständige Krankenkasse war". Das SG hat ein berechtigtes Interesse der Klägerin für die Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bejaht. Es hat angenommen, daß die Klägerin zum Kreis der nach § 165 Abs 1 Nr 6 RVO versicherungspflichtigen Personen gehöre, die eine in Studienordnungen oder Prüfungsordnungen vorgeschriebene berufspraktische Tätigkeit verrichten, daß sie jedoch nach § 175 Nr 3 RVO wegen des bestehenden Anspruchs auf Familienkrankenpflege von der Versicherungspflicht befreit sei.

Mit der - vom SG im Urteil zugelassenen - Sprungrevision vertritt die Beklagte zu 1) die Auffassung, daß § 165 Abs 2 RVO nicht nur für Ausbildungsverhältnisse (Lehrverhältnisse), sondern auch für Praktikantenverhältnisse gelten müsse. Daß während des Praktikums keine Vergütung gewährt worden sei, stehe daher der Versicherungspflicht nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO nicht entgegen.

Die Beklagte zu 1) beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und über die Versicherungspflicht zu entscheiden, dh sinngemäß: festzustellen, daß die Beklagte zu 2) in der Zeit vom 1. September 1976 bis 28. Februar 1977 der für die Klägerin zuständige Krankenversicherungsträger war.

Die im Revisionsverfahren nicht vertretene Klägerin hat sich zur Sache nicht geäußert.

Die Beklagte zu 2) hat keinen Antrag gestellt. Sie sieht keinen Anlaß, das Urteil des SG aufzuheben.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten zu 1) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG.

Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil das Verfahren vor dem SG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. Das SG hat nicht beachtet, daß die beantragte Feststellung der für die Klägerin zuständigen Krankenkasse (§ 55 Abs 1 Nr 2 SGG) zugleich ein Rechtsverhältnis betrifft, an dem der Vater der Klägerin derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2, 1. Fall SGG). Soweit die Zuständigkeit der Beklagten zu 2) in Betracht kommt, ist allerdings nur die Klägerin selbst betroffen; wäre sie nämlich als Praktikantin nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO (Angestellte) versichert gewesen, hätte das Versicherungsverhältnis (Mitgliedschaft) lediglich zwischen ihr und der Beklagten zu 2) bestanden. Soweit dagegen die Zuständigkeit der Beklagten zu 1) - als Familienhilfekasse des Vaters der Klägerin - in Betracht kommt, war ein Versicherungsverhältnis allein in seiner Person begründet; er allein war Inhaber des Anspruchs auf Familienkrankenpflege für die Klägerin (vgl § 205 Abs 1 Satz 1 RVO: "Versicherte erhalten für ..."). Familienangehörige, für die die Krankenkasse Familienkrankenpflege zu gewähren hat, können zwar, wenn sie ein eigenes Feststellungsinteresse haben (§ 55 Abs 1 SGG), ebenfalls eine Feststellung der insoweit bestehenden Ansprüche des Versicherten und der entsprechenden Leistungszuständigkeit der Familienhilfekasse betreiben; denn das Rechtsverhältnis, auf dessen Feststellung geklagt wird, kann auch ein Rechtsverhältnis sein, das zwischen Dritten besteht (vgl Meyer-Ladewig SGG § 55 Anm 7). Zu einem solchen Feststellungsstreit muß jedoch der Versicherte, da er an dem festzustellenden Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt ist, notwendig beigeladen werden, sofern es das Gericht nicht für sachgemäßer hält, daß die Rolle des Klägers von ihm selbst und nicht von einem Familienangehörigen übernommen wird. In jedem Fall kann, soweit es sich um die Familienhilfeberechtigung eines Angehörigen handelt, auf die Beteiligung des Versicherten am Rechtsstreit nicht verzichtet werden. Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensfehler (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1; Meyer-Ladewig SGG § 163 Anm 5).

Das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des SG muß demnach aufgehoben werden, ohne daß-mangels Beteiligung aller vom Verfahren Betroffenen - der Senat Ausführungen zur materiell-rechtlichen Seite des Rechtsstreits machen kann. Die Zurückverweisung der Sache an das SG zu neuer Verhandlung und Entscheidung unter Einbeziehung des Vaters der Klägerin ist deshalb geboten (§ 170 Abs 2 und 4 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Breith. 1980, 717

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