Entscheidungsstichwort (Thema)

Status der Witwe

 

Leitsatz (amtlich)

Ist nach deutschem Recht keine gültige Ehe (Nichtehe) zustandegekommen, so besteht auch dann kein Anspruch auf Witwenrente, wenn es sich nach ausländischem Recht um eine gültige Ehe mit daraus resultierenden Unterhaltsansprüchen gehandelt hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

Dem Begriff der Witwe ist im versicherungsrecht kein anderer Sinngehalt beizulegen als in den übrigen Rechtsgebieten, die auf den familienrechtlichen Status abstellen.

 

Orientierungssatz

1. Die Hervorhebung des familienrechtlichen Status der Witwe in § 1264 RVO entspricht dem Grundgedanken des besonderen Schutzes von Ehe und Familie (Art 6 GG).

2. Die Ausdehnung der Witwenrente auf eheähnliche Gemeinschaften läßt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn der Witwenrente des § 1264 RVO ableiten. Es ist nicht davon auszugehen, daß der Gesetzgeber diese Möglichkeit ins Auge gefaßt und auch gebilligt hätte (vgl BSG 1967-08-15 10 RV 306/65 = BSGE 27, 96, 100).

 

Normenkette

RVO § 1264 Fassung: 1957-02-23; BGBEG Art. 13; EheG § 11 Fassung: 1946-06-20; GG Art. 6 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.05.1978; Aktenzeichen S 13 J 201/75)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente nach § 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Klägerin schloß mit dem Versicherten J W - britischer Staatsangehöriger - im November 1947 in der britischen Militärkaserne in H eine nach englischem Recht gültige Ehe und erwarb die britische Staatsangehörigkeit. Eine Eheschließung vor einem deutschen Standesbeamten erfolgte nicht. Die Ehe wurde auch nicht in ein deutsches Familienbuch eingetragen. Im Anschluß an die Eheschließung zog die Klägerin mit dem Versicherten nach Großbritannien. Später verlegten beide ihren Wohnsitz wieder in die Bundesrepublik. Aus der Ehe ist ein Kind hervorgegangen. Die Geburt wurde vom zuständigen deutschen Standesamt registriert. In der Geburtsurkunde wurde der Versicherte als Ehemann der Klägerin bezeichnet. Der Versicherte verstarb im September 1975; im Sterbebuch wurde der Familienstand der Versicherten als "unbekannt" angegeben.

Den Antrag der Klägerin auf Witwenrente hat die Beklagte mit Bescheid vom 17. Oktober 1975 abgelehnt mit der Begründung, die Klägerin sei nicht die Witwe des Versicherten, weil sie im Zeitpunkt seines Todes mit ihm nicht in einer nach deutschem Recht gültigen Ehe gelebt habe.

Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf durch Urteil vom 30. Mai 1978 stattgegeben: Zwar sei eine gültige Ehe nach den zwingenden Vorschriften des deutschen Eherechts (§ 11 Ehegesetz -EheG-) nicht zustandegekommen, doch sei dieser Formmangel durch das fast 28 Jahre währende Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten in eheähnlicher Gemeinschaft geheilt. Insoweit sei § 17 Abs 2 EheG entsprechend anzuwenden.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom SG zugelassenen Revision. Sie vertritt die Auffassung, daß der Begriff der rechtsgültigen Ehe in der Rentenversicherung keine andere Bedeutung habe als in den übrigen Rechtsgebieten. Der Formmangel bei der Eheschließung sei nicht durch das anschließende "eheliche" Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten geheilt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom

30. Mai 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, die Versagung der Witwenrente sei schon deswegen unbillig, weil sie nach englischem Recht gültig verheiratet gewesen sei. Im übrigen habe sie auf die Gültigkeit der Ehe in der Bundesrepublik Deutschland vertrauen können und auch vertraut. Insoweit sei die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) fortbildungsbedürftig.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente; sie war mit dem Versicherten nicht nach deutschem Recht rechtsgültig verheiratet und ist deshalb nicht Witwe iSd § 1264 RVO. Nach den zwingenden Vorschriften des EheG ist keine nach deutschem Recht rechtswirksame Ehe zustandegekommen. Nach § 11 EheG iVm Art 13 Abs 1 und 3 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) konnte die Ehe in Deutschland nur zustandekommen, wenn sie vor einem Standesbeamten geschlossen wurde. Dies war hier nicht der Fall.

Der Formmangel ist auch nicht nach § 17 Abs 2 EheG durch langjähriges Zusammenleben heilbar. Diese Vorschrift bezieht sich ausschließlich auf nichtige Ehen. Die Nichtigkeitsgründe für eine Ehe sind in den §§ 17 bis 22 EheG abschließend aufgezählt (vgl § 16 EheG). Hierunter fällt nicht die fehlende Mitwirkung eines Standesbeamten für eine in Deutschland geschlossene Ehe. Ohne dessen Mitwirkung ist die Ehe nicht etwa nichtig, vielmehr kommt überhaupt keine Ehe zustande. Dieser Mangel ist auch nicht heilbar, selbst wenn die Eheschließung nach ausländischem Recht gültig sein soll (sogenannte "hinkende Ehe"). Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl Urteile

vom 28. April 1959 - 1 RA 4/58 = BSGE 10, 1;

vom 15. August 1967 - 10 RV 306/65 = BSGE 27, 96;

vom 12. März 1968 - 9 RV 338/66 = SozR Nr 18 zu § 38 BVG;

vom 23. März 1972 - 2 RU 42/70 -

vom 30. Januar 1975 - 2 RU 137/74 - Mitt LVA Berlin 1975,

S 235-237 USK 7506)

wie auch des Reichsversicherungsamtes -RVA- (vgl Entscheidung Nr 4701 vom 11. Oktober 1933, AN IV S 456) ist die Witweneigenschaft und damit der Anspruch auf Witwenrente nach § 1264 RVO ausschließlich nach dem familienrechtlichen Status der Witwe zu beurteilen, der sich aus der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften ergibt. In allen diesen Entscheidungen sowie auch in den Urteilen des Senats vom 24. November 1971 - 4 RJ 215/70 = BSGE 33, 219 = SozR Nr 5 zu § 1264 RVO und vom 30. November 1977 - 4 RJ 7/77 = BSGE 45, 180 = SozR 2200 § 1264 Nr 1 wird für den Anspruch auf Witwenrente ausnahmslos darauf abgestellt, daß eine nach deutschem Recht gültige Eheschließung erfolgt ist. Diese Voraussetzung ist zu verneinen, wenn nach § 11 EheG kein Standesbeamter mitgewirkt hat, mag die Form der Eheschließung auch einem ausländischen Recht, insbesondere dem Heimatrecht eines Ehegatten, entsprochen haben und die Ehe im Ausland als gültig anerkannt gewesen sein. Eine Ausnahme wurde nur dann gemacht, wenn die Ehe in das Familienbuch eines deutschen Standesamtes eingetragen war (BSGE 46, 104 = SozR 2200 § 1264 Nr 2). Dieser Ausnahmefall ist indessen hier nicht gegeben, weil nicht die Ehe selbst, sondern nur die Geburt eines Kindes in Deutschland standesamtlich registriert wurde.

Gegen die Rechtsprechung des BSG wurde im Schrifttum mehrfach Kritik erhoben, so insbesondere: Staudinger-Gamillscheg, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), 10./11. Aufl 1973, Rz 245 vor Art 13 EGBGB, der für eine eigenständige Auslegung des Ehebegriffs im Bereich der Sozialversicherung und Versorgung eintritt; Münchener Kommentar zum BGB, 1978 - Müller- Gindulis , § 11 EheG RdNr 18, der für den Bereich des Sozialrechts auf die Gültigkeit der Ehe nach dem Heimatrecht der Eheleute abstellt; Neuhaus, Heilung von Nichtehen in Festschrift für Fritz Schwind, 1978, S 223, 236, der den faktischen Bestand der Ehe, die als solche zB durch die Namensgleichheit der Ehegatten öffentliche Anerkennung gefunden hat, in den Vordergrund stellt; v Maydell, Zur Anwendung zivilrechtlicher Begriffe in Sozialrechtsnormen mit Auslandsbeziehung in Festschrift für F W Bosch, 1976, S 645, 653 f sowie in SGb 1979 S 518, der der Unterhaltspflicht und dem Unterhaltsersatz durch eine Witwenrente besondere Bedeutung beilegt, wobei die nationale Rechtsordnung wegen des Gebots einer international offenen Wertung nicht isoliert gesehen werden dürfe. Diese Kritik erscheint jedenfalls aus der Sicht des vorliegenden Falles nicht unbeachtlich, denn der Versicherte und die Klägerin waren nach englischem Recht gültig verheiratet. Die Klägerin hat durch die Eheschließung die britische Staatsangehörigkeit erworben. Ob sie, wie in der Klageschrift vorgetragen, "mit dem Zeitpunkt der Eheschließung die deutsche Staatsangehörigkeit verloren" hat, oder ob, was rechtlich näher liegt (vgl BSGE 27, 96, 101 = SozR Nr 16 zu § 38 Bundesversorgungsgesetz -BVG-), ein solcher Verlust jedenfalls nicht durch die Eheschließung, sondern allenfalls durch den auf ihren Antrag durch Einbürgerung erfolgten Erwerb der britischen Staatsangehörigkeit eingetreten ist, hat das SG nicht festgestellt; es kommt darauf auch nicht entscheidend an.

Diese Kritik stellt insbesondere den Gesichtspunkt sozialen Schutzzwecks der Witwenrente in den Vordergrund. Dennoch reicht sie nicht aus, die bisherige Rechtsprechung aufzugeben. Ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung liefe im Ergebnis darauf hinaus, der Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente den Vorrang gegenüber dem familienrechtlichen Status der Witwe einzuräumen. Ausgangspunkt für die Gewährung der Witwenrente wäre weniger der familienrechtliche Status der Witwe als der wirtschaftliche Ersatz des durch den Tod des Versicherten entfallenen Beitrages zum Lebensunterhalt. Ein solcher durch die Witwenrente zu ersetzender Unterhaltsanspruch kann jedoch uU in jedem Falle eines eheähnlichen Zusammenlebens bestehen. Vor allem kann er dann gegeben sein, wenn ein eheähnliches Zusammenleben nach ausländischem Recht als "Ehe" anerkannt wird und deshalb einen Unterhaltsanspruch nach diesem Recht auslöst, mag diese Tatsache auch den Zusammenlebenden nicht bewußt sein. Zumindest aus der Sicht des Unterhaltsersatzes ist ein Unterschied zwischen einer nach ausländischem Recht gültigen Ehe (hinkenden Ehe) und einem bloßen eheähnlichen Zusammenleben kaum zu rechtfertigen. Die Ausdehnung der Witwenrente auf eheähnliche Gemeinschaften läßt sich jedoch weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn der Witwenrente des § 1264 RVO ableiten. Es ist nicht davon auszugehen, daß der Gesetzgeber diese Möglichkeit ins Auge gefaßt und auch gebilligt hätte (vgl dazu BSGE 27, 96, 100).

Andererseits würde die strikte Anknüpfung der Witwenrente an den Unterhaltsersatz die Frage aufwerfen, ob einer Witwe die Witwenrente auch dann zu gewähren wäre, wenn ein Unterhaltsanspruch eindeutig nicht bestand und daher nicht wegfallen konnte. Bei dieser Betrachtungsweise müßten Hinterbliebene mit und ohne Unterhaltsanspruch ungleich behandelt werden mit der Folge, daß die Gewährung der Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau des Versicherten in Einzelfällen entfallen würde. Auch unter Beachtung dieser Gesichtspunkte erscheint es nicht gerechtfertigt, dem Begriff der Witwe im Sozialversicherungsrecht einen anderen Sinngehalt beizulegen als in den übrigen Rechtsgebieten, die eindeutig auf den familienrechtlichen Status abstellen. Dies gilt übrigens auch für das Recht der Europäischen Gemeinschaft (EG), das keinen eigenen Witwenbegriff enthält, sondern auf das nationale Leistungsrecht verweist (Art 1g der EWGVO 1408/71).

Schließlich entspricht die Hervorhebung des familienrechtlichen Status der Witwe in § 1264 RVO auch dem Grundgedanken des besonderen Schutzes von Ehe und Familie (Art 6 Grundgesetz -GG-). Anknüpfungspunkt dieses besonderen staatlichen Schutzes ist nicht etwa jede eheähnliche Lebensgemeinschaft, sondern die nach der geltenden Rechtsordnung rechtsgültig geschlossene Ehe (vgl Leibholz-Rinck, GG 5. Aufl, Köln 1975, § 6 RdNr 2). Im Hinblick auf die Rechtseinheit und auch die Möglichkeit zur klaren Abgrenzung familienrechtlicher Statusverhältnisse kann eine Ausnahme nach Billigkeitsgrundsätzen allenfalls dann in Betracht gezogen werden, wenn das Gesetz eine ausdrückliche Regelung für Härtefälle enthält (so zB in § 89 BVG). Das Sozialversicherungsrecht kennt solche Ausnahmen (Härteklauseln) für Fälle wie den vorliegenden nicht. Deswegen können die besonderen Umstände des vorliegenden Falles nicht zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt werden.

Das SG hat zur Begründung seiner Entscheidung wesentlich darauf abgestellt, daß im vorliegenden Falle ein unbilliges Ergebnis einträte, wenn die Klägerin nicht als Witwe des Versicherten angesehen würde. Mit dieser Erwägung läßt sich jedoch die Entscheidung nicht begründen, denn der familienrechtliche Status einer Person kann nicht davon abhängig gemacht werden, zu welchem wirtschaftlichen Ergebnis die Rechtsanwendung in einem speziellen Fall führt. Gerade die in BSGE 10, 1 und BSGE 27, 96 entschiedenen Fälle zeigen, daß die dem SG entgegenstehende Rechtsauffassung - also die Nichtanerkennung der hinkenden Ehe - zu einem für die Witwe günstigen wirtschaftlichen Ergebnis führte. Schließlich vermag auch der Gedanke des Vertrauensschutzes keine andere Lösung zu rechtfertigen. Im Bereich der Bundesrepublik Deutschland ist es eine allgemeinkundige Tatsache, daß eine wirksame Ehe nur vor dem Standesbeamten geschlossen werden kann. Wer eine Lebensgemeinschaft mit einem Ausländer eingeht, ohne diese Form einzuhalten, nimmt somit in Kauf, keine Ehe nach deutschem Recht zu schließen; er kann deshalb späterhin sich auch nicht auf irgendwelche Rechtswirkungen der Ehe berufen.

Nach alledem erweist sich die Revision der Beklagten als begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

NJW 1981, 2655

Breith. 1982, 38

IPRspr. 1981, 46

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