Leitsatz (amtlich)

Wieder verheiratet im Sinne von RVO § 1287 aF ist eine Witwe - jedenfalls solange sie im Geltungsbereich des deutschen Rechts wohnt - nur dann, wenn eine nach deutschem Recht anerkannte Eheschließung vorliegt. Eine in Kiel nur von einem Geistlichen der anglikanischen Kirche vollzogene Trauung einer Deutschen mit einem Engländer ist keine nach deutschem Recht wirksame Eheschließung.

 

Normenkette

RVO § 1287 Fassung: 1945-03-17, § 1291 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; BGBEG Art. 13

 

Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. Oktober 1957 und des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Juni 1955 sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. April 1954 werden aufgehoben. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die Witwenrente über den Monat Februar 1948 hinaus weiterzugewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Schleswig-Holstein, die damals für ihren Bezirk die Aufgaben der Rentenversicherung der Angestellten (AV.) mit wahrnahm, bewilligte der Klägerin vom 1. Februar 1948 an die Witwenrente aus der AV. ihres 1945 gestorbenen Ehemannes F... B... (Bescheid vom 1. März 1948). Die Klägerin ließ sich im Februar 1948 in der Kieler Garnisonkirche nach dem Recht der anglikanischen Kirche mit dem britischen Staatsangehörigen S... H... trauen. Eine Eheschließung vor einem deutschen Standesbeamten fand nicht statt. Die LVA., der die Klägerin ihre kirchliche Trauung mitgeteilt hatte, stellte daraufhin die Zahlung der Witwenrente ein und verrechnete die bereits eingetretene Überzahlung bis einschließlich März 1948. Sie teilte dies der Klägerin formlos mit. Die Beklagte, die inzwischen an die Stelle der LVA. getreten war, bestätigte die Entscheidung der LVA. durch einen förmlichen Bescheid vom 9. April 1954. Das Sozialgericht (SG.) Hamburg wies die Klage auf Weiterzahlung der Witwenrente ab (Urteil vom 21.6.1955), das Landessozialgericht (LSG.) Hamburg die Berufung zurück: Die Witwenrente falle bei einer Wiederheirat der Berechtigten weg. Eine nach deutschem Recht gültige Ehe liege allerdings nicht vor, weil bei der Trauung, die im Inland vorgenommen worden sei, kein Standesbeamter mitgewirkt habe. Die militärische Besetzung Deutschlands nach der Kapitulation habe Kiel nicht zum englischen Staatsgebiet gemacht. Die Kieler Garnisonkirche sei auch nicht exterritorial gewesen. Es liege indessen eine nach englischem Recht gültige Ehe und demnach eine "hinkende Ehe" im Sinne des zwischenstaatlichen Privatrechts vor. Die Eingehung einer solchen Ehe lasse den Anspruch auf Witwenrente entfallen (Urteil vom 25.10.1957).

Das LSG. ließ die Revision zu. Die Klägerin legte gegen das ihr am 9. Dezember 1957 zugestellte Urteil am 8. Januar 1958 Revision ein mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Witwenrente vom 1. März 1948 an weiterzugewähren. Sie begründete die Revision am 7. Februar 1958: Ihre Ehe werde zwar vom englischen Recht als gültig anerkannt, doch könne unter einer "Wiederheirat" im Sinne des Sozialrechts nur das Eingehen einer nach deutschem Recht gültigen Ehe verstanden werden. Sie, die Klägerin, könne nicht, wenn es um die Gewährung von Witwenrente gehe, als verheiratet, in allen anderen Fällen aber als in einer Nichtehe lebend angesehen werden.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Die Frage, ob die Witwenrente der Klägerin wegen Wiederheirat mit dem Ablauf des Monats Februar 1948 weggefallen ist oder nicht, ist nach dem Recht, das vor dem Inkrafttreten (1.1.1957) des "Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten" vom 23. Februar 1957 - AnVNG - gegolten hat, zu beurteilen, mithin nach § 41 AVG a.F. in Verbindung mit § 1287 RVO a.F.. Der - im übrigen insoweit wortgleiche - § 68 Abs. 1 AVG n.F. (Art. 2 § 25 Abs. 1 AnVNG) findet auf Rechtsstreitigkeiten, die wie der vorliegende beim Inkrafttreten des AnVNG bereits vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit schwebten, keine Anwendung (Art. 2 § 43 AnVNG; vgl. BSG., Sozialrecht, § 1293 RVO a.F. Bl. Aa Nr. 4).

Nach § 1287 RVO a.F. fällt die Witwenrente mit dem Ablauf des Monats weg, in dem die Berechtigte wieder heiratet. Das Wort "heiraten", das das Ehegesetz (EheG) selbst nicht verwendet, bedeutet "die Ehe schließen". Die Übereinstimmung der beiden Begriffe ergibt sich aus dem dahingehenden festen Sprachgebrauch und daraus, daß jede Eheschließung im "Heiratsbuch" zu beurkunden, also eine Heirat ist (§§ 2, 9 Personenstandsgesetz). Die Witwenrente fällt also weg, wenn eine wirksame Eheschließung vorliegt. Die kirchliche Trauung der Klägerin in der Garnisonkirche in Kiel im Februar 1948 war keine Eheschließung in diesem Sinn. Eine Eheschließung, die im Inland vorgenommen wird, muß sich hinsichtlich der Form nach den deutschen Gesetzen richten (Art. 13 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum BGB - EGBGB -). Diese schreiben die Mitwirkung eines Standesbeamten zwingend vor; sie kennen, falls auch nur einer der Verlobten deutscher Staatsangehöriger ist, keine Ausnahme von diesem Grundsatz (§§ 11, 13, 15a EheG). Der Verzicht auf die Mitwirkung eines Standesbeamten führt im Bereich des deutschen Rechts zu einer Nichtehe. Der Mangel ist nicht heilbar, auch nicht durch ein fünfjähriges Miteinanderleben (§ 17 Abs. 2 EheG), es sei denn, nur für die Zukunft durch ein Nachholen der standesamtlichen Trauung. Auf die Unwirksamkeit einer solchen Eheschließung kann sich jeder, also auch ein beteiligter Partner, zu jeder Zeit berufen. Die Trauung der Klägerin wird allerdings nur für ihre Person als rechtlich unwirksam angesehen. Die Eingehung der Ehe ist für ihren Partner nach den Gesetzen seines Heimatstaates zu beurteilen (Art. 13 Abs. 1 EGBGB). Falls das englische Recht die in Kiel nur kirchlich geschlossene Ehe anerkennt, hat der Trauungsakt zwar eine auf den Bereich dieses Rechts beschränkte Ehe - im Schrifttum als "hinkende Ehe" bezeichnet - geschaffen, im Bereich des deutschen Rechts für die Klägerin jedoch zu einer Nichtehe geführt (ebenso: Raape, MDR 1948 S. 98). Das ist auch für das Recht der Rentenversicherung entscheidend.

Bei der Anwendung des § 1287 RVO a.F. ist die Frage, ob eine gültige Eheschließung vorliegt, eine Vorfrage. Diese ist nach dem Familien- und Personenstandsrecht zu beurteilen (ebenso: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 5. Aufl., S. 693) und innerhalb des deutschen Rechts grundsätzlich einheitlich zu beantworten. Alles staatliche Recht bildet insgesamt eine Einheit. Innerhalb seines Geltungsbereichs werden Rechtsbegriffe regelmäßig im gleichen Sinn gebraucht und verstanden, es sei denn, daß das Gesetz selbst Abweichungen bestimmt oder daß sich aus den Umständen deutlich etwas anderes ergibt. Das ist hier nicht der Fall. Es findet sich kein Anhaltspunkt dafür, diese bürgerlich-rechtliche Vorfrage ausnahmsweise einmal nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beantworten. Die Reichsversicherungsordnung knüpft, soweit sie bei der Regelung von familienrechtlichen Tatbeständen ausgeht, allgemein an deutsches Recht an. Deshalb kommt dem Begriff der Heirat in der Rentenversicherung der gleiche Inhalt zu wie dem Begriff der Eheschließung in den übrigen Rechtsgebieten. Die hinsichtlich des deutschen Rechts "hinkende Ehe" ist ebenfalls im Sozialrecht wie eine Nichtehe zu werten. Das führt auch zu dem erstrebenswerten Ergebnis, daß jemand hier wie dort entweder nur als verheiratet oder als unverheiratet behandelt wird. Folglich muß die Klägerin auch von dem Recht der Rentenversicherung her als nicht wieder verheiratet angesehen werden. Sie darf sich - wie jedermann - auf die Nichtehe berufen. Sie ist rechtlich die Witwe ihres verstorbenen Ehemanns F... B... geblieben. Die Zahlung der Witwenrente durfte deshalb nicht eingestellt werden. Wenn nach dem damaligen Recht sogar bei einer nur nichtigen zweiten Ehe nach deren gerichtlichen Nichtigkeitserklärung, auch wenn diese im Heimatstaat des Mannes nicht anerkannt worden sein sollte, die zunächst weggefallene Witwenrente aus der ersten Ehe wieder auflebte und nach- und weiterzuzahlen war (vgl. Brackmann a.a.O. S. 721; Kommentar des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger zum 4. und 5. Buch der RVO, 5. Aufl., § 1287 Anm. 3), so muß gleiches erst recht beim Vorliegen einer Nichtehe gelten.

Die Erwägung des LSG., daß die Witwenrente die Witwe nach dem Verlust ihres Ernährers wirtschaftlich sicherstellen solle und diese Aufgabe entfalle, wenn der wirtschaftliche Schutz durch Anerkennung der neuen Ehe in einem anderen Staat gegeben sei, rechtfertigt keine andere Lösung. Es ist richtig, daß der Witwenrente ein Versorgungsgedanke zugrunde liegt. Die Gewährung und der Wegfall der Witwenrente sind jedoch von bestimmten Voraussetzungen abhängig. Diese müssen erfüllt sein, wenn die Rechtsfolge eintreten soll. Sind die Voraussetzungen nicht gegeben, so wird dieser Mangel nicht durch einen Hinweis auf die Motive der gesetzlichen Regelung behoben. Die Motive allein können nicht dazu führen, dem Begriff der Heirat einen anderen Sinn als im Familienrecht zu geben, zumal auch sonst im deutschen Recht eine neue wirtschaftliche Versorgung einer Witwe ohne gültige Eheschließung nicht den Wegfall von Witwenbezügen zur Folge hat (vergl. auch: Plog-Wiedow, Bundesbeamtengesetz, § 164 Anm. 4). Die Klägerin mißbraucht ihre Rechtsstellung auch nicht. Die Nichtanerkennung ihrer zweiten Ehe im Bereich des deutschen Rechts bringt ihr wesentliche Nachteile ein, so insbesondere auf den Gebieten des Unterhalts-, Kindschafts- und Erbrechts. Es ist deshalb kein Mißbrauch, den Vorteil zu nutzen, den das Rentenrecht bietet.

Die Witwenrente der Klägerin ist vom Versicherungsträger beim Einstellen der Zahlung bis März 1948 verrechnet worden; folglich ist sie von diesem Monat an nachzuzahlen.

Die Klägerin wohnt zur Zeit in Hamburg. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob die Gewährung der Witwenrente auch dann berechtigt bleibt, wenn die Klägerin in einen Staat ziehen sollte, der ihre zweite Trauung rechtlich billigt. Ebenso erübrigt sich in diesem Rechtsstreit eine Stellungnahme zu der Namensführung der Klägerin; im Rubrum des Urteils ist deshalb der Name H... unter dem das Verfahren bisher geführt wurde, beibehalten worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324849

BSGE, 1

MDR 1959, 700

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