Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 23.04.1986)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 1986 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beigeladenen deren außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Höhe des dem Kläger zustehenden Altersruhegeldes (ARG).

Die am 24. Dezember 1947 geschlossene Ehe des Klägers mit der am 31. Dezember 1928 geborenen Beigeladenen wurde durch Endurteil des Amtsgerichts (Familiengerichts) Kulmbach vom 12. Dezember 1984, rechtskräftig seit dem 26. März 1985, geschieden. Von dem bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) geführten Versicherungskonto des Klägers wurden auf das ebenfalls bei der Beklagten bestehende Versicherungskonto der Beigeladenen Rentenanwartschaften in Höhe von 717,17 DM monatlich, bezogen auf das Ende der Ehezeit am 31. Mai 1984, übertragen. Die Beigeladene schloß im August 1985 eine neue Ehe.

Mit Bescheid vom 8. August 1985 bewilligte die Beklagte dem Kläger wegen eines am 15. Oktober 1985 eintretenden Versicherungsfalles für die Zeit ab 1. November 1985 vorzeitiges ARG wegen einjähriger Arbeitslosigkeit (§ 25 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-). Dessen Jahresbetrag errechnete sich auf 24.171,17 DM. Gemäß § 83a Abs 1 AVG ermittelte die Beklagte aus der übertragenen Rentenanwartschaft von 717,17 DM monatlich 2.254,81 Werteinheiten und hieraus gemäß § 83a Abs 4 AVG auf der Basis der für das Jahr 1985 geltenden allgemeinen Bemessungsgrundlage eine Minderung des Jahresbetrages des ARG um 9.165,46 DM. Daraus ergab sich (ohne Berücksichtigung des Beitragszuschusses zur Krankenversicherung und des an die Krankenversicherung abzuführenden Beitrags) ein Jahresbetrag des an den Kläger zu leistenden ARG von 15.005,71 DM entsprechend einem monatlichen Betrag von 1.250,50 DM.

Mit seiner Klage wegen des Bescheides vom 8. August 1985 hat der Kläger begehrt, ihm bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres der Beigeladenen das volle ARG ohne Berücksichtigung der durch den Versorgungsausgleich (VersorgAusgl) auf das Versicherungskonto der Beigeladenen übertragenen Rentenanwartschaften zu zahlen. Das Sozialgericht (SG) Bayreuth hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. November 1985) und das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen (Urteil vom 23. April 1986):

Einer Sachentscheidung stehe nicht entgegen, daß gemäß § 9 Abs 1 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich vom 21. Februar 1983 (BGBl I S 105; = VAHRG) über den Rückausgleich nach § 5 VAHRG nur auf Antrag entschieden werde und deswegen grundsätzlich ein Verwaltungsakt vorliegen müsse. Dessen bedürfe es dann nicht, wenn der Ausgleichspflichtige erstmals die Zahlung einer Rente beantrage und auf diesen Antrag festgestellt werde, daß die Rente gemindert um den übertragenen VersorgAusgl gezahlt werde. Eine Nachzahlung des vollen ARG an sich könne der Kläger im Hinblick auf § 6 VAHRG nicht verlangen. Auch ein Begehren auf Erhöhung und Auszahlung je zur Hälfte an sich und die Beigeladene könne keinen Erfolg haben. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Anrechnung der auf das Beitragskonto der Beigeladenen übertragenen Rentenanwartschaften nicht zu. Die Beklagte habe das ARG nach den gesetzlichen Bestimmungen berechnet. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liege nicht vor. Mit dem rechtskräftigen Vollzug des VersorgAusgl gingen die Rentenanwartschaften des Klägers und der Beigeladenen eigene Wege. Das sei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257 = SozR 7610 § 1587 Nr 1) mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Den Erwägungen des BVerfG, daß unter bestimmten Voraussetzungen die Trennung beider Rentenversicherungsverhältnisse bei nachträglich eintretenden Umständen zu mit dem GG nicht vereinbaren Ergebnissen führen könne, habe der Gesetzgeber durch § 5 VAHRG Rechnung getragen. Dessen Voraussetzungen seien jedoch beim Kläger nicht erfüllt. Die Beigeladene habe gegen ihn seit ihrer Wiederheirat nicht mehr einen Anspruch auf Unterhalt. Daß der Gesetzgeber die Regelung der Auswirkungen des VersorgAusgl auf diesen vom BVerfG beanstandeten Härtefall und auf die Fälle des § 4 VAHRG beschränkt habe, verstoße nicht gegen das GG. Angesichts des dem Gesetzgeber belassenen Spielraums sei nicht jede vom Ausgleichsverpflichteten als Härte empfundene Kürzung seines Rentenanspruchs verfassungswidrig. In Fällen der vorliegenden Art bestehe ein angemessener selbständiger Versicherungsschutz des Berechtigten, weil er eine Anwartschaft für den Fall des Eintritts eines Versicherungsfalles erworben habe oder eine bereits bestehende Anwartschaft sich angemessen erhöhe. Insoweit treffe die Versichertengemeinschaft nach durchgeführtem VersorgAusgl ein Versicherungsrisiko, welches beim Vorversterben des Ausgleichsberechtigten nicht bestehe. Die Rentenanwartschaften geschiedener Eheleute seien nach rechtskräftig vollzogenem VersorgAusgl eigenständig. Der Ausgleichsverpflichtete könne aus den übertragenen Anwartschaften nur noch in besonders gelagerten Fällen Rechte ableiten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 14 Abs 1 GG. Ihm werde dadurch, daß ihm auch vor dem Zeitpunkt, an welchem die Beigeladene das 65. Lebensjahr vollendet haben werde, lediglich die gekürzte Rente ausgezahlt werde, ein unzumutbares Vermögensopfer aufgezwungen. Nach dem Urteil des BVerfG vom 28. Februar 1980 komme es zu einem verfassungswidrigen Zustand, wenn beim Ausgleichsverpflichteten vor dem Ausgleichsberechtigten ein Versicherungsfall eintrete, und entfalle eine Rechtfertigung des VersorgAusgl durch Art 6 Abs 1 und Art 3 Abs 2 GG dann, wenn beim Verpflichteten eine spürbare Kürzung der Rentenansprüche erfolge, ohne daß sich der Erwerb eines selbständigen Versicherungsschutzes angemessen für den Berechtigten auswirke. Ein solcher Fall sei auch hier gegeben. Die Vorschriften des VAHRG trügen dem Urteil des BVerfG nicht Rechnung, weil sie weiterhin das Entstehen von Härten zuließen, die derart gravierend seien, daß sie über eine zumutbare Härte hinaus das Eigentumsrecht verletzten und einen verfassungswidrigen Zustand bewirkten. Auch wenn die Vorinstanzen aufgrund der bestehenden gesetzlichen Regelungen kaum die Möglichkeit gehabt hätten, ihm (Kläger) den geltend gemachten Anspruch zuzusprechen, so halte doch das angefochtene Urteil einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Es sei nicht einsehbar, warum die Versorgung nur dann nicht gekürzt werden solle, wenn und solange der Ausgleichsberechtigte aus dem im VersorgAusgl erworbenen Anrecht noch keine Rente erhalte und gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt habe oder nur deshalb nicht habe, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem VersorgAusgl beruhenden Kürzung seiner Versorgung außerstande sei. Der Verpflichtete habe nahezu keinen Einfluß auf das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs, und der Berechtigte könne nach seinem Willen die Nichtkürzung oder, zB durch Heirat, die Kürzung der Versorgung des Verpflichteten steuern. Ihm (Kläger) entstünden durch den Altersunterschied zur Beigeladenen Nachteile, die er selbst nicht mehr ausgleichen könne, während die Beigeladene die Möglichkeit habe, nach der Scheidung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles durch eine versicherungspflichtige Tätigkeit ihre Anwartschaften zu erhöhen und während ihrer neuen Ehe entweder Ansprüche auf Hinterbliebenenrente oder bei einer etwaigen Scheidung zusätzliche Rentenanwartschaften im Rahmen des VersorgAusgl zu erwerben.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 1986 und des Sozialgerichts Bayreuth vom 15. November 1985 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 8. August 1985 zu verurteilen, ihm bis zum Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres der Beigeladenen das ungekürzte Altersruhegeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG habe zu Recht unter Hinweis auf das Urteil des BVerfG vom 28. Februar 1980 ausgeführt, daß mit dem rechtskräftig vollzogenen VersorgAusgl die Rentenanwartschaften des Ausgleichspflichtigen und des Ausgleichsberechtigten getrennte Wege gingen und beide darüber Klarheit haben sollten, auf welcher Grundlage sie bereits vorhandene Versorgungsanwartschaften aufbauen könnten. Diesem mit dem GG im Einklang stehenden Grundsatz würde es widersprechen, wenn außer in krassen Ausnahmefällen in einem Stadium nach Scheidung zugunsten des Ausgleichsverpflichteten auf die ungeteilten Rentenanwartschaften zurückgegriffen werden dürfte. Im Hinblick auf eine Verletzung der Art 6 Abs 1 und Art 3 Abs 2 GG habe das BVerfG offenbar nicht an jedes beliebige Mißverhältnis gedacht, welches sich zwangsläufig aus einem unterschiedlichen Leistungsbeginn aufgrund der nunmehr getrennten Rentenanwartschaften ergebe. Vielmehr liege das Schwergewicht der verfassungsrechtlichen Betrachtungen zum Gebot einer Neuregelung bei Fällen, in denen durch das Vorversterben des Ausgleichsberechtigten keine oder nur kurze Rentenzeiten entstünden oder in denen der Versicherungsfall zuerst beim Ausgleichspflichtigen eintrete und dieser außerdem noch mit Unterhaltsansprüchen des Ausgleichsberechtigten belastet sei. Für die vorliegend gegebene Fallkonstellation habe weder für den Gesetzgeber aufgrund des Urteils des BVerfG ein Zwang zur gesetzlichen Neuregelung noch für das LSG Veranlassung bestanden, die Regelungen des VAHRG im Wege verfassungskonformer Auslegung auf den vorliegenden Fall auszudehnen.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Kläger kann eine Berechnung und Auszahlung des ihm zustehenden ARG unter zusätzlicher Berücksichtigung der vom Familiengericht auf das Versicherungskonto der Beigeladenen übertragenen Rentenanwartschaften nicht beanspruchen.

Sofern ein VersorgAusgl durch Übertragung von Rentenanwartschaften „Splitting”, vgl § 1587b Abs 1 Satz 1 iVm § 1587a Abs 2 Nr 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-) durchgeführt worden und somit – worüber ausschließlich das Familiengericht zu entscheiden hat und im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zu befinden ist nicht, insbesondere nicht aus Billigkeitsgründen (§ 1587c BGB), ausgeschlossen gewesen ist, hat der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung kraft zwingenden Rechts (§ 83a Abs 4 Satz 1 AVG) nach Eintritt eines Versicherungsfalles in der Person des Ausgleichsverpflichteten oder des Ausgleichsberechtigten die dann zu gewährende Rente um den nach näherer Maßgabe des § 83a Abs 4 Satz 1 iVm Abs 1 bis 3 AVG zu ermittelnden Betrag zu mindern oder zu erhöhen. Die Beklagte hat im Einklang mit diesen Vorschriften das dem Kläger als Ausgleichsverpflichteten ab 1. November 1985 zustehende ARG um den aus den vom Familiengericht übertragenen Rentenanwartschaften ermittelten Betrag gemindert und dabei den Minderungsbetrag zutreffend berechnet. Das ist unter den Beteiligten nicht streitig.

Eine Minderung der Rente des Ausgleichsverpflichteten nach Durchführung des VersorgAusgl im Wege der Übertragung von Rentenanwartschaften ist ausdrücklich nur in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen zeitweilig ausgeschlossen oder rückgängig zu machen. Eine „Suspendierung” der Minderung der Rente des Ausgleichsverpflichteten ist zunächst für den Fall vorgeschrieben, daß bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den VersorgAusgl ein Anspruch auf eine Rente besteht. In diesem Falle erfolgt eine Minderung der Rente des Ausgleichsverpflichteten erst, wenn für ihn eine Rente aus einem späteren Versicherungsfall oder aus der Versicherung des Berechtigten eine Rente zu gewähren ist „Rentnerprivileg”, vgl § 83a Abs 4 Satz 2 AVG; zur Dauer dieses Rentnerprivilegs, zum Zeitpunkt des Beginns der Minderung der Rente des Ausgleichsverpflichteten und zu den verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen an die Rentenminderung vgl BSGE 58, 59, 62 = SozR 2600 § 96a Nr 1 S 3; BSGE 61, 230, 231 ff = SozR 2200 § 1304a Nr 10 S 14 ff; BSG SozR 1300 § 48 Nr 36 S 108 f). Zum anderen wird die Versorgung des Verpflichteten nicht aufgrund des VersorgAusgl gekürzt, solange der Berechtigte aus dem im VersorgAusgl erworbenen Anrecht keine Rente erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat oder nur deshalb nicht hat, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem VersorgAusgl beruhenden Kürzung seiner Versorgung außerstande ist (§ 5 VAHRG). Schließlich sind nach Durchführung des VersorgAusgl durch Übertragung oder Begründung von Rentenanwartschaften (§ 1587b Abs 1 und 2 BGB) die Versorgung des Verpflichteten oder seiner Hinterbliebenen nicht zu kürzen bzw – ggf unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen – die Kürzung rückgängig zu machen, wenn der Berechtigte verstorben ist, ohne zuvor überhaupt oder über einen bestimmten Betrag hinaus Leistungen aus dem im VersorgAusgl erworbenen Anrecht erhalten zu haben (§ 4 VAHRG; bezüglich des Beginns der ungekürzten Versorgung des Verpflichteten vgl BSG SozR 1300 § 48 Nr 36 S 109 ff; Urteile des Bundessozialgerichts -BSG- vom 29. September 1987 – 5b RJ 70/86 – und vom 1. September 1988 – 4/11a RA 38/87 –).

Keine dieser Ausnahmeregelungen trifft auf den vorliegenden Sachverhalt zu. Das Rentnerprivileg des § 83a Abs 4 Satz 2 AVG kann dem Kläger nicht zugutekommen, weil er noch nicht bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den VersorgAusgl am 26. März 1985, sondern erst ab 1. November 1985 einen Anspruch auf Rente gehabt hat. Die Voraussetzungen des § 5 VAHRG sind ebenfalls nicht erfüllt. Zwar sind dem Urteil des LSG keine Feststellungen zu der Frage zu entnehmen, ob die Beigeladene nach Eintritt des entsprechenden Versicherungsfalles lediglich ein ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres wird beanspruchen können (§ 25 Abs 5 AVG) oder auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen geminderter Erwerbsfähigkeit (§ 23 Abs 2a, § 24 Abs 2a AVG) oder eines flexiblen oder vorzeitigen ARG (§ 25 Abs 1 bis 3 AVG) erfüllt. Das Berufungsgericht hat dies jedoch zutreffend nicht näher erörtert. Denn jedenfalls hat in der Zeit der Gewährung des ARG und dessen Kürzung aufgrund des VersorgAusgl ab 1. November 1985 die Beigeladene keinen Anspruch auf Unterhalt gegen den Kläger gehabt. Das Fehlen eines solchen Unterhaltsanspruchs hat nicht darauf beruht, daß der Kläger wegen der auf dem VersorgAusgl beruhenden Kürzung seiner Versorgung zur Unterhaltsleistung nicht imstande wäre, sondern darauf, daß bereits zuvor ein etwaiger Unterhaltsanspruch der Beigeladenen wegen ihrer Wiederheirat im August 1985 erloschen ist (§ 1586 Abs 1 BGB). Daß die Voraussetzungen des § 4 VAHRG nicht erfüllt sind, bedarf keiner weiteren Begründung.

Der erkennende Senat sieht weder Möglichkeit noch Anlaß, die vorstehend genannten Ausnahmevorschriften im Wege der ergänzenden Lückenfüllung entsprechend einem Gesamtplan des Gesetzgebers oder im Wege der verfassungskonformen Auslegung auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden.

Ein Plan des Gesetzgebers, für alle denkbaren Fallgestaltungen nach Durchführung des VersorgAusgl durch Übertragung von Rentenanwartschaften eine Kürzung der dem Ausgleichsverpflichteten zu gewährenden Rente solange auszuschließen, wie der Ausgleichsberechtigte noch nicht einen Rentenanspruch hat oder eine Rente bezieht, ist nicht zu erkennen. Nach Einführung des VersorgAusgl durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1421) hat zunächst lediglich das sogen Rentnerprivileg des § 83a Abs 4 Satz 2 AVG bestanden. Dieses hat zum einen auf dem Gedanken des Besitzstandes des Ausgleichspflichtigen beruht und zum anderen auch den Interessen des Ausgleichsberechtigten insofern dienen sollen, als dieser ggf einen höheren Unterhaltsanspruch gegen den Ausgleichspflichtigen geltend machen kann (vgl Kommentar zur Reichsversicherungsordnung -RVO-, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger – Verbandskommentar –, Band III, Stand 1. Juli 1987, § 1304a RVO/§ 83a AVG, Anm 6.2. unter Hinweis auf BT-Drucks 7/4361, S 56; ferner Maier/Michaelis, Versorgungsausgleich in der Rentenversicherung, 3. Aufl 1987, § 83a AVG, Anm 9, S 314; zum Ausnahmecharakter der Regelung vgl BSGE 58, 59, 60 f = SozR 2600 § 96a Nr 1 S 2).

Mit Urteil vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257, 288 ff = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 2 ff; im folgenden zitiert allein nach BVerfGE) hat das BVerfG ua § 1587b Abs 1 und 2 iVm § 1587a Abs 2 Nrn 1 und 2 BGB mit der Maßgabe als mit dem GG vereinbar erklärt, daß der Gesetzgeber eine ergänzende Regelung für bestimmte Härtefälle zu treffen hat, die nach Durchführung des VersorgAusgl eintreten können und zu einem mit dem GG unvereinbaren Ergebnis führen. Zur Begründung hat das BVerfG ua dargelegt, die den Fall des Splittings betreffende Regelung des § 1587b Abs 1 iVm § 1587a Abs 2 Nr 2 BGB sei mit Art 14 Abs 1 Satz 1 GG mit der Maßgabe vereinbar, daß durch eine ergänzende Regelung die Möglichkeit geschaffen werden müsse, nachträglich eintretenden grundrechtswidrigen Auswirkungen des VersorgAusgl zu begegnen (aaO, S 300). Über die durch § 83a Abs 4 Satz 2 AVG angeordnete Stornierung der Auswirkungen des VersorgAusgl auf die Rente des Ausgleichspflichtigen hinaus könne der rechtskräftig vollzogene VersorgAusgl mit der Folge zweier getrennter Rentenversicherungsverhältnisse auch durch nachträglich eintretende Umstände zu mit dem GG nicht vereinbaren Ergebnissen führen. So entfalle die Rechtfertigung des VersorgAusgl durch Art 6 Abs 1 und Art 3 Abs 2 GG dann, wenn einerseits beim Verpflichteten eine spürbare Kürzung der Rentenansprüche erfolge, ohne daß sich andererseits der Erwerb eines selbständigen Versicherungsschutzes angemessen für den Berechtigten auswirke. Weiterhin seien Fälle, die nach rechtskräftigem Vollzug des VersorgAusgl grundgesetzwidrig sein könnten, im Zusammenhang mit dem Vorversterben des ausgleichsberechtigten vor dem ausgleichsverpflichteten Ehegatten denkbar. Sie könnten dann gegeben sein, wenn die abgesplitteten Werteinheiten beim Berechtigten keine Rentenleistung ausgelöst hätten, den Verpflichteten hingegen wegen ihres Umfanges spürbar belasteten. Ferner sei möglich, daß wegen der Kürze der Rentenleistungen an den ausgleichsberechtigten Ehegatten im Verhältnis zur Höhe der übertragenen Werteinheiten und unter Würdigung der Lage des überlebenden Ausgleichsverpflichteten der VersorgAusgl verfassungswidrige Auswirkungen haben könne. Schließlich könne es zu einem verfassungswidrigen Zustand kommen, wenn beim Ausgleichspflichtigen vor dem Ausgleichsberechtigten ein Versicherungsfall eintrete, wobei das Schwergewicht bei den Fällen liege, in denen der ausgleichsberechtigte Teil, dem die übertragenen Werteinheiten mangels Vorliegens eines Versicherungsfalles noch nicht zugute kämen, auf Unterhaltsleistungen des Ausgleichsverpflichteten angewiesen sei. Der Rechtslage, daß erst die Entwicklung der Verhältnisse nach durchgeführtem VersorgAusgl zu einem verfassungswidrigen Zustand führen könne, entspreche es, daß nicht die bestehenden Vorschriften verfassungsrechtlich zu beanstanden seien, sondern daß es einer ergänzenden Regelung bedürfe (aaO, S 302 ff).

Mit dem VAHRG ist diesem vom BVerfG ausgesprochenen Gebot einer ergänzenden Regelung Rechnung getragen worden. Zunächst hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den VersorgAusgl (BT-Drucks 9/34) eingebracht, nach welchem durch Einfügung weiterer Vorschriften in das BGB ua Regelungen über die vom BVerfG angesprochenen Fälle des Vorversterbens des Ausgleichsberechtigten und der ihm gegenüber bestehenden Unterhaltspflicht haben getroffen werden sollen (aaO, S 6). Dementgegen hat die Fraktion der CDU/CSU die Auffassung vertreten, die Ergänzungsregelungen über den VersorgAusgl seien nicht in das BGB einzustellen, sondern in einem Sondergesetz niederzulegen, und deswegen mit dem Ziel einer Milderung der nach dem Urteil des BVerfG vom 28. Februar 1980 möglichen grundrechtswidrigen Auswirkungen des VersorgAusgl den Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Verbesserung des VersorgAusgl vorgelegt (BT-Drucks 9/562). Ein von den Fraktionen der SPD und der FDP erstellter Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den VersorgAusgl (BT-Drucks 9/1981) wiederum hat die im Urteil des BVerfG vom 28. Februar 1980 angesprochenen Fälle durch in das BGB neu einzufügende Ausgleichsformen berücksichtigen wollen. Anläßlich der Beratung der drei Gesetzentwürfe hat sich der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages dafür ausgesprochen, die Änderungen im Recht des VersorgAusgl in ein besonderes Gesetz einzustellen und nicht in das BGB einzufügen (BT-Drucks 9/2296, S 10). Entsprechend dem vom Rechtsausschuß erstellten Entwurf hat der Deutsche Bundestag das VAHRG verabschiedet (Deutscher Bundestag, 9. Wahlperiode, 140. Sitzung am 16. Dezember 1982, Niederschrift S 8825 ff, 8832).

Diese Entstehungsgeschichte des VAHRG erweist, daß der Gesetzgeber zwar einerseits die Möglichkeiten einer nachträglichen Suspendierung des durch Übertragung von Rentenanwartschaften durchgeführten VersorgAusgl nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über das Rentnerprivileg des § 83a Abs 4 Satz 2 AVG hinaus hat erweitern, andererseits aber diese Erweiterung ausdrücklich auf die im Urteil des BVerfG vom 28. Februar 1980 aufgezählten Fälle, in denen der VersorgAusgl nachträglich grundrechtswidrige Auswirkungen haben kann, hat beschränken und nicht etwa für alle denkbaren Fälle einer Belastung des Ausgleichsverpflichteten, der eine entsprechende Begünstigung des Ausgleichsberechtigten nicht oder noch nicht gegenübersteht, eine allgemein geltende Billigkeitsregelung hat einführen wollen. Letzteres ist umso weniger anzunehmen, als Billigkeitserwägungen schon bei der Frage, ob überhaupt ein VersorgAusgl durchzuführen ist, zu berücksichtigen sind (vgl § 1587c BGB) und somit für ihre Berücksichtigung erst bei der rentenrechtlichen Umsetzung des VersorgAusgl kein Raum mehr ist. Das wiederum wird bestätigt durch die durch das Gesetz über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des VersorgAusgl vom 8. Dezember 1986 (BGBl I S 2317) eingefügte Regelung des § 10a VAHRG, wonach unter den dort genannten Voraussetzungen lediglich das Familiengericht auf Antrag zur nachträglichen Abänderung seiner Entscheidungen über den VersorgAusgl befugt ist, nicht aber spätere Änderungen der für diese Entscheidungen maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse beim rentenrechtlichen Vollzug eines rechtskräftig durchgeführten Splittings Berücksichtigung finden können.

Daß der Kläger weder aufgrund des Rentnerprivilegs (§ 83a Abs 4 Satz 2 AVG) noch aufgrund des § 5 VAHRG von einer Kürzung seines ARG bis zur Gewährung einer Rente an die Beigeladene verschont bleibt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nicht feststellbar ist zunächst eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG. Das Rentnerprivileg beruht, wie bereits ausgeführt, einmal auf dem Gedanken des Besitzstandsschutzes zugunsten desjenigen Ausgleichsverpflichteten, dem bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den VersorgAusgl bereits ein Anspruch auf Rente zusteht, und zum anderen darauf, daß der Ausgleichsberechtigte ggf einen höheren Unterhaltsanspruch gegen den Ausgleichsverpflichteten geltend machen kann. Davon unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt in wesentlicher und eine Ungleichbehandlung rechtfertigender Weise. Der Kläger hat bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den VersorgAusgl einen Rentenanspruch noch nicht gehabt und ist überdies wegen der Wiederverheiratung der Beigeladenen auch einem Unterhaltsanspruch nicht ausgesetzt. Letzteres rechtfertigt zugleich die Nichteinbeziehung des Klägers in die Regelung des § 5 VAHRG. Bereits der 5a-Senat des BSG hat entschieden, daß ein Verstoß gegen Art 3 GG ausscheidet, wenn eine Kürzung der Rente des Ausgleichsverpflichteten deswegen nicht in Betracht kommt, weil im Unterschied zu den von § 5 VAHRG erfaßten Fällen eine zusätzliche Unterhaltsverpflichtung des Ausgleichsverpflichteten infolge einer Wiederheirat des Berechtigten nicht besteht (BSGE 59, 246, 249 = SozR 5795 § 5 Nr 1 S 4). Der erkennende Senat teilt diese Auffassung.

Der Kläger ist durch die Kürzung seines ARG auch nicht in seinem Grundrecht aus Art 14 Abs 1 GG verletzt worden. Zwar unterliegen Ansprüche auf Versichertenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Anwartschaftsrechte auf diese Ansprüche dem Schutz der Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 Satz 1 GG. Die konkrete Reichweite dieses Schutzes ergibt sich jedoch erst aus der Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums, die nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist (BVerfGE 53, 257, 289 ff = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 2 ff). Im Falle des Klägers beruht die Kürzung seines ARG darauf, daß die vom Familiengericht angeordnete Übertragung von Rentenanwartschaften auf das Versicherungskonto der Beigeladenen ohne Rücksicht darauf, ob und ab wann diese eine Rente beziehen kann, bereits mit der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts wirksam geworden und einer der vom BVerfG aufgezeigten Ausnahmefälle, in denen der rechtskräftig vollzogene VersorgAusgl durch nachträgliche Umstände zu mit dem GG nicht vereinbaren Ergebnissen führt, nicht gegeben ist. Ob über diese Ausnahmefälle hinaus weitere Fälle denkbar sind, in denen verfassungsrechtliche Gründe die nachträgliche Korrektur oder Suspendierung des rechtskräftig vollzogenen VersorgAusgl zwingend gebieten, braucht der Senat nicht zu beantworten und kann schwerlich im voraus für alle denkbaren Fälle beantwortet werden. Der vorliegende Fall gehört jedenfalls nicht dazu. Daß der Beigeladenen aus den übertragenen Rentenanwartschaften voraussichtlich erst mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres eine Rente gewährt werden kann, steht der Annahme einer „angemessenen” Auswirkung des Erwerbs eines selbständigen Versicherungsschutzes (BVerfGE aaO, S 302) nicht entgegen. Eine „Angemessenheit” im Verhältnis zur Kürzung des Rentenanspruchs des Ausgleichsverpflichteten kann nicht allein danach beurteilt werden, für welchen Zeitraum vor dem Beginn der Rente des Ausgleichsberechtigten diese Kürzung voraussichtlich durchgeführt werden wird. Zu berücksichtigen ist ua auch die voraussichtliche Dauer des Rentenbezuges des Ausgleichsberechtigten auf der Grundlage der dafür statistisch ermittelten Werte. Unter Berücksichtigung dessen bestehen selbst für den Fall, daß die Beigeladene aus den übertragenen Rentenanwartschaften eine Rente erst ab Vollendung des 65. Lebensjahres beziehen könnte, keine ausreichenden Anhaltspunkt dafür, daß eine derartige Auswirkung des durchgeführten VersorgAusgl im Verhältnis zu der damit für den Kläger verbundenen Belastung nicht angemessen ist.

Die Revision des Klägers ist nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173343

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