Leitsatz (amtlich)

Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, daß § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG auch bei Frühgeburten an die Geburt und nicht an den Beginn der Lebens- und Erziehungsfähigkeit anknüpft.

 

Normenkette

BErzGG § 1 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1985-12-06; GG Art 3 Abs 1; BGB § 1

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 03.03.1987; Aktenzeichen L 3 Eg 1/86)

SG Osnabrück (Entscheidung vom 17.10.1986; Aktenzeichen S 1 Eg 1/86)

 

Gründe

Die Klägerin wurde am 30. Dezember 1985 von einer Frühgeburt entbunden. Der voraussichtliche Entbindungstermin war der 6. März 1986. Das Kind wurde über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) am 1. Januar 1986 hinaus in einem Brutkasten aufgezogen, bevor es aus eigener Kraft lebensfähig war. Die Ablehnung des beantragten Erziehungsgeldes wurde in beiden Vorinstanzen bestätigt.

Die Klägerin macht zu Unrecht geltend, das Landessozialgericht (LSG) habe die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zulassen müssen, da die Rechtsfrage klärungsbedürftig sei, ob bei verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG als Zeitpunkt der Geburt der Beginn der Lebens- und Erziehungsfähigkeit gemeint sei. Diese Frage ist indes nicht klärungsbedürftig, da sie nach dem eindeutigen Inhalt der maßgebenden Vorschriften ohne weiteres zu verneinen ist. Anspruch auf Erziehungsgeld besteht nach § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG nur für ein nach dem 31. Dezember 1985 geborenes Kind. Nach § 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt. Das Kind muß bei der Vollendung der Geburt leben, mag auch gleich danach der Tod eintreten. Die Vollendung der Geburt erfordert nicht, daß das Kind aus eigener Kraft lebensfähig ist. Das ist allgemeine Meinung (vgl Palandt, BGB, 45. Aufl, 1986, Anm 1, A zu § 1). Die Vollendung der Geburt und der Entbindung stimmen im Zeitpunkt überein. Wenn in den Vorschriften der Krankenversicherung zur Mutterschaftshilfe mehrfach an die "Entbindung" und nicht an die Geburt angeknüpft wird, so läßt das nicht den Rückschluß zu, daß im Sozialversicherungsrecht der Zeitpunkt der Geburt und der der Entbindung auseinanderfielen. Während Geburt iS des § 1 BGB nur die Lebendgeburt ist, umfaßt der Begriff der Entbindung auch die Totgeburt, aber nicht die Fehlgeburt (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd II, Stand März 1986, S 414f/g) und betrifft damit Unterscheidungen, die für den Zeitpunkt der Vollendung der Geburt unerheblich sind.

Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), daß der Gesetzgeber in § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG an die Geburt in diesem Sinne und nicht an den Beginn der Lebens- oder Erziehungsfähigkeit anknüpft. Das BErzGG stellt sowohl in der fraglichen Vorschrift zu der für den zeitlichen Geltungsbereich geltenden Stichtagsregelung als auch in § 4 für den Beginn des Anspruchs auf den Tag der Geburt ab. Da der Tag der Geburt in aller Regel mit dem Beginn der Lebens- und Erziehungsfähigkeit zusammenfällt und weitaus sicherer und einfacherer zu ermitteln ist, ist dies als eine durch Art 3 Abs 1 GG nicht ausgeschlossene Typisierung hinzunehmen (BVerfGE 27, 220, 230). Das gilt nicht nur für den Beginn des Anspruchs, sondern auch für den Beginn der Stichtagsregelung.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663279

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