Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsgeld. Erziehungsgeldgesetz. Geburt. Entbindung. Vollendung der Geburt. Frühgeburt. Brutkasten. Mutterschaftsgeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff der „Geburt” in § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 4 Abs. 1 BErzGG entspricht dem der „Vollendung der Geburt” in § 1 BGB.

2. Die Geburt eines Frühgeborenen, die vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin künstlich eingeleitet worden ist, ist mit der Entbindung vollendet und nicht erst im Zeitpunkt des Verlassens des sogenannten Brutkasten.

 

Normenkette

BErzGG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1; BGB § 1; PersStGV § 29 Abs. 1; RVO § 200 Abs. 3

 

Verfahrensgang

SG Osnabrück (Entscheidung vom 17.10.1986; Aktenzeichen S 1 Eg 1/86)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Erziehungsgeld nach dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BundeserziehungsgeldgesetzBErzGG –) von 6. Dezember 1985 (BGBl I S 2154).

Die Klägerin wurde am 30. Dezember 1985 von einen 1.570 g schweren männlichen Frühgeborenen in der 31. Schwangerschaftswoche entbunden. Der voraussichtliche Entbindungstermin war der 6. März 1986. Das frühgeborene Kind … wurde über den Zeltpunkt des Inkrafttretens des BErzGG am 1. Januar 1986 hinaus in einem sogenannten Brutkasten aufgezogen, bevor es aus eigener Kraft lebensfähig war.

Die Klägerin beantragte für das Kind … die Gewährung von Erziehungsgeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid des Arbeitsamtes Osnabrück vom 17. Februar 1986, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 1986, ab, weil der Sohn nicht nach dem 31. Dezember 1985 geboren worden war.

Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihren Anspruch weiterverfolgt und unter Wiederholung des Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren geltend gemacht, ihr dürfe durch die eingeleitete Frühgeburt kein Nachteil entstehen.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 17. Oktober 1986 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen des Urteils, auf dessen Inhalt wegen aller weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, ist u.a. ausgeführt worden, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BErzGG seien nicht erfüllt, weil der Sohn … der Klägerin kein nach dem 31. Dezember 1985 geborenes Kind sei. Die „Stichtagsregelung” des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG widerspreche auch nicht grundgesetzlichen Normen.

Gegen das ihr am 30. Oktober 1986 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26. November 1986 Berufung eingelegt.

Sie räumt ein, daß die Stichtagsregelung zwar nicht grundgesetzwidrig sei, ist aber der Meinung, das SG habe den Begriff der Geburt unzutreffend ausgelegt. Die Krankenkassen zählten die Zeit bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Kind außerhalb des Brutkastens fähig sei, allein zu atmen, zum Geburtsvorgang. Das Kind habe erst nach dem 31. Dezember 1985 aus eigener Kraft atmen können.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. Oktober 1986 sowie die Bescheide der Beklagten vom 17. Februar und 20. Mai 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Erziehungsgeld für den Sohn … zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält Ihre Bescheide und das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozeßakten verwiesen. Öle die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sind beigezogen und zum Gegenstand der Entscheidung gewacht worden. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin einen Anspruch auf Erziehungsgeld für Ihren Söhn …, von dem sie an 30. Dezember 1985 entbunden worden ist, gemäß § 1 Abs. 1 BErzGG nicht hat.

Das am 1. Januar 1986 in Kraft getretene BErzGG (§ 41 S 1) bestimmt in § 1 Abs. 1 Nr. 2, daß Anspruch auf Erziehungsgeld nur Personen mit einem „nach dem 31. Dezember 1985 geborenen Kind” zusteht. Nach § 4 Abs. 1 BErzGG wird das Erziehungsgeld in der Regel vom „Tag der Geburt” an gezahlt.

Das SG hat den Begriff des „geborenen Kindes” bzw der „Geburt” in den genannten Vorschriften richtig an den Zeltpunkt der Entbindung geknüpft und somit hier die Geburt zutreffend auf den 30. Dezember 1985 festgelegt.

Die Geburt eines Kindes ist nicht nur nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mit der Entbindung, das heißt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleibe, identisch. Die Entbindung ist auch nach der zentralen Begriffsbestimmung des rechtsfähigen „Menschen” in unserer Rechtsordnung, wie er in § 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) definiert ist, maßgebend für die Beurteilung, wann nach § 1 BGB die „Vollendung der Geburt” als Voraussetzung für die Rechtsfähigkeit des Menschen eingetreten Ist. Nach allgemeiner Meinung ist die Geburt eines lebenden Kindes iS des § 1 BGB mit dem vollen Austritt der Leibesfrucht aus dem Mutterleib vollendet, wenn Mindestanzeichen des menschlichen Lebens erkennbar sind, ohne daß Lebensfähigkei...

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