Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 18.11.1986; Aktenzeichen 1 BvL 29/83, 1 BvL 30/83, 1 BvL 33/83, 1 BvL 34/83, 1 BvL 36/83)

 

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 118 a Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

 

Tatbestand

I

In dem vor dem Bundessozialgericht (BSG) anhängigen Revisionsverfahren kommt es streitentscheidend darauf an, ob der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) gemäß § 118 a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG (5. AFG-ÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) ruht.

Die 1950 geborene, seit 1973 mit einem Studenten verheiratete Klägerin erwarb nach entsprechendem Universitätsstudium (ab 1969) 1975 das Sozialwirte-Diplom. Anschließend war sie – abgesehen von einer Aushilfstätigkeit bei der Bundespost und einer Tätigkeit als Kassiererin (November 1976 bis März 1977) – arbeitslos. Im April 1977 nahm sie ein Studium der Medizin auf. Bis Juli 1979 besuchte sie die erforderlichen Lehrveranstaltungen für vorklinische Semester. Nachdem sie die ärztliche Vorprüfung (Physikum) im August 1979 nicht bestanden hatte, blieb sie eingeschrieben und belegte fakultative Lehrveranstaltungen; die Wiederholungsprüfung legte die Klägerin im August 1981 ab. Während des Studiums arbeitete die Klägerin vollschichtig als Verwaltungsangestellte bei verschiedenen Stellen (1. April bis 31. Oktober 1977; 8. Mai bis 31. August 1978; 1. Juli 1979 bis 30. Juni 1980). In der Zwischenzeit bezog sie Alg, Arbeitslosenhilfe (Alhi) und anläßlich der Geburt ihres Kindes vom 29. September 1978 bis 5. Januar 1979 Mutterschaftsgeld.

Nach Ablauf des letztgenannten befristeten Arbeitsverhältnisses beantragte die Klägerin Alg ab 1. Juli 1980. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 8. August 1980, Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1980). Das Sozialgericht (SG) hat die ergangenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Juli 1980 Alg für 156 Tage zu gewähren (Urteil vom 26. November 1981); die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 14. September 1982).

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Voraussetzungen für den Bezug von Alg nach § 100 Abs. 1 AFG seien erfüllt. Ihr Kind habe die Klägerin durch ihre Schwiegermutter betreuen lassen können, wie das schon vor dem 1. Juli 1980 der Fall gewesen sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten ruhe der Anspruch nicht nach § 118 a Abs. 1 AFG. Zwar lasse diese Vorschrift, die darauf abstelle, ob die Ausbildung die Arbeitskraft eines Schülers oder Studenten im allgemeinen voll in Anspruch nehme, nicht mehr zu, bei der Frage, ob ein Student der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe, die individuellen bzw. subjektiven Verhältnisse des Antragstellers zu berücksichtigen. Doch lasse das Gesetz Ausnahmefälle zu, auch wenn formal ein Studienverhältnis bestehe (Beurlaubung, Gasthörer). Ein solcher liege hier vor. Ganz allgemein weiche nämlich für alle Medizinstudenten, die das Physikum wiederholen müßten, der bis zum Bestehen der Wiederholungsprüfung reichende Abschnitt von dem bisherigen Studiengang ab. Es bestehe kein Pflicht, Lehrveranstaltungen zu besuchen oder eingeschrieben zu bleiben. Bleibe der Student eingeschrieben, um sich die studentischen Vergünstigungen zu erhalten und nach der Wiederholungsprüfung das Studium fortsetzen zu können, müsse er allerdings Lehrveranstaltungen belegen. Auch könne der Student, wie dies die Klägerin getan habe, den zeitlichen Abstand zwischen den Prüfungen strecken. Der Studienabschnitt, in welchem sich die Klägerin 1980 befunden habe, unterscheide sich somit objektiv vom regelmäßigen Medizinstudium. Für ihn ergebe sich keine Regel, nach der die Ausbildung im allgemeinen den Studenten in seiner Arbeitskraft voll in Anspruch nehme.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 118 a Abs. 1 AFG. Das Urteil des LSG stehe in klarem Widerspruch zum Wortlaut dieser Vorschrift, der die bisherige Regelung des § 118 Abs. 2 AFG in erweiterter Form übernommen habe. Entscheidendes Kriterium für das Ruhen des Anspruchs nach § 118 a Abs. 1 AFG sei, ob die Ausbildung die Arbeitskraft eines Schülers oder Studenten im allgemeinen voll in Anspruch nehme. Maßgeblich sei die Stundenzahl, die ein „normaler” Student entsprechend der Ausgestaltung des jeweiligen Ausbildungsganges in Ansatz bringen müsse. Bei einem Hochschulstudium sei stets davon auszugehen, daß die Arbeitskraft voll in Anspruch genommen werde, insbesondere wenn Vorlesungsveranstaltungen in der für Arbeitnehmer üblichen Arbeitszeit lägen. Wie sich zwingend aus den Worten „im allgemeinen” ergebe, müßten die besonderen Fähigkeiten oder bereits erworbene Qualifikationen, die es dem Studenten erlaubten, den Besuch von Unterrichtsveranstaltungen bzw. Vor- und Nacharbeit einzuschränken, außer Betracht bleiben. Von diesem üblichen Studienablauf seien allerdings Unterrichtsgänge zu unterscheiden, die typischerweise berufsbegleitend durchgeführt würden und hinsichtlich der Unterrichtsveranstaltungen von vornherein auf die übliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer Rücksicht nähmen. Das LSG versuche, eine weitere Kategorie von Studenten von § 118 a Abs. 1 AFG auszunehmen, nämlich diejenigen, die sich auf die Wiederholungsprüfung vorbereiteten. Das sei nicht gerechtfertigt. Auch die Wiederholung einer Prüfung gehöre zum normalen Studienablauf. Habe der Wiederholer kein besonderes Ausbildungsprogramm zu absolvieren, richte sich sein Studium nach den jeweiligen persönlichen Gegebenheiten, so daß aufgrund des weiteren Ablaufs des Studiums bis zur Wiederholungsprüfung nicht von einer abstrakten Gruppe gesprochen werden könne. Auch im konkreten Falle gebe es keine Gruppe mit einem übereinstimmenden Studienablauf. Den Studenten sei es lediglich freigestellt, sich auf die bisher erworbenen Vorlesungs- und Übungsscheine zu beschränken. Die tatsächliche Ausgestaltung sei jedoch von den individuellen Fähigkeiten abhängig. Dabei dürfe nicht übersehen werden, daß der Leistungsdruck nach einer nicht bestandenen Prüfung steige, zumal da die Gefahr bestehe, eine dritte Prüfung nicht mehr ablegen zu dürfen. Schließlich führe auch das Hinauszögern der Wiederholungsprüfung nicht zu einer Verringerung des Arbeitsaufwandes, da der Zeitablauf zur Folge habe, daß früher erlerntes Wissen zwischenzeitlich vergessen werde und neue wissenschaftliche Erkenntnisse als prüfungsrelevant erlernt werden müßten. Ob der Wiederholer sich die notwendige Wissensmehrung oder Wissensauffrischung durch Lehrveranstaltungen oder Eigenstudium verschaffe, sei für die Anwendung des § 118 a Abs. 1 AFG unmaßgeblich, da die Vorschrift nicht auf die Inanspruchnahme durch den Besuch von Ausbildungsveranstaltungen der Hochschule, sondern auf die Belastung durch die Ausbildung als solche abstelle, wozu auch die Vorbereitung auf die Prüfung gehöre. Da letztlich der tatsächliche Studienablauf auch bei Wiederholern von Intelligenz, Begabung, Arbeitsweise oder dergleichen abhängig sei, ergebe sich zwingend der Schluß, daß auch für diese Personen ein Ruhen des Anspruchs nach § 118 a Abs. 1 AFG gewollt sei. Das angefochtene Urteil lasse sich nur dann aufrechterhalten, wenn § 118 a Abs. 1 AFG wegen des Ausschlusses bestimmter Personenkreise vom Alg-Bezug für nichtig erklärt werde; für eine verfassungskonforme Auslegung sei im Hinblick auf den klaren Gesetzeswortlaut und den der Vorschrift zugrundeliegenden Gesetzeswillen kein Raum.

Die Beklagte beantragt,

die ergangenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat sich zur Sache nicht geäußert.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).

 

Entscheidungsgründe

II

1. Der Senat hat nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen, weil er die Vorschrift des § 118 a Abs. 1 AFG i.d.F. des 5. AFG-ÄndG für verfassungswidrig hält und es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Gültigkeit der Vorschrift ankommt.

Wie das LSG festgestellt hat und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist, erfüllt die Klägerin ab 1. Juli 1980 dem Grunde nach die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg nach § 100 Abs. 1 AFG. Sie war arbeitslos, stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, hatte die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt (§§ 101, 103, 104, 105 AFG). Insbesondere bestehen an der Verfügbarkeit der Klägerin nach § 103 AFG keine rechtlichen Zweifel, da sie bereit und in der Lage war, eine vollschichtige Arbeit auszuüben.

Der Revision der Beklagten wäre gleichwohl stattzugeben, wenn § 118 a Abs. 1 AFG geltendes Recht ist. Nach dieser Vorschrift ruht der Anspruch auf Alg während der Zeit, in der der Arbeitslose Schüler oder Student einer Schule, Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte ist, wenn die Ausbildung die Arbeitskraft eines Schülers oder Studenten im allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Die Klägerin war in der Zeit ab 1. Juli 1980 Studentin der Medizin; das von ihr eingeschlagene Studium der Medizin nimmt die Arbeitskraft eines Studenten im allgemeinen voll in Anspruch.

2. Die Entscheidung über die Gültigkeit des § 118 a Abs. 1 AFG ist nicht deshalb entbehrlich, weil die darin angeordnete Rechtsfolge des Ruhens eines Anspruchs durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift für Sachverhalte wie dem des vorliegenden Falles vermieden werden könnte.

Der § 118 a AFG ist mit Wirkung ab 1. August 1979 durch das 5. AFG-ÄndG in das Gesetz eingefügt worden. Er hat den seit 1. Oktober 1975 geltenden § 118 Abs. 2 AFG ersetzt, der das Ruhen eines Anspruchs auf Alg während der Zeit anordnete, in welcher der Arbeitslose als ordentlicher Studierender eine Hochschule oder eine sonstige der wissenschaftlichen oder fachlichen Ausbildung dienende Schule besucht (vgl. § 5 Nr. 2 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Studenten –KVSG– vom 24. Juni 1975 – BGBl I 1536). Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung den § 118 Abs. 2 AFG i.d.F. des KVSG dahin ausgelegt, daß er die gesetzliche Vermutung dafür aufstelle, ein ordentlich Studierender stehe durch den damit verbundenen Besuch der Hochschule der Arbeitsvermittlung nach § 103 AFG nicht zur Verfügung, der einzelne Antragsteller könne diese Vermutung jedoch widerlegen (BSGE 46, 89 = SozR 4100 § 118 Nr. 5; BSG vom 10. Oktober 1978 – 7 RAr 6/78 = SozSich 1979, 22; BSG vom 7. August 1979 – 7 RAr 28/78).

Der Senat sieht sich nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift nicht in der Lage, dem § 118 a AFG eine entsprechende Auslegung zu geben. Der Wortlaut stellt für den Eintritt der Rechtsfolge einerseits auf die Eigenschaft des Antragstellers ab, Student oder Schüler einer der genannten Ausbildungsstätten zu sein, andererseits darauf, ob eine derartige Ausbildung die Arbeitskraft von Schülern oder Studenten regelmäßig voll in Anspruch zu nehmen pflegt. Dies kommt in der Formulierung des 2. Halbsatzes von § 118 a Abs. 1 AFG zum Ausdruck, wenn danach Bedingung ist, daß die Arbeitskraft eines Schülers oder Studenten im allgemeinen voll in Anspruch genommen ist. Die individuelle Ausbildungssituation des jeweiligen Antragstellers scheidet demnach für die rechtliche Beurteilung grundsätzlich aus. Nicht der Umfang seiner zeitlichen Belastung durch seine jeweilige konkrete Ausbildungssituation soll maßgebend sein, sondern eine auf generelle Erfahrungssätze abgestellte Beurteilung des Zeit- und Arbeitsaufwandes, den ein „Normal”-Schüler oder -Student für einen erfolgreichen, regelmäßigen Besuch der Ausbildungsstätte benötigt.

Dieser schon nach dem Wortlaut deutliche Inhalt des § 118 a Abs. 1 AFG wird durch die verlautbarten Motive bestätigt. Im Regierungsentwurf eines 5. AFG-ÄndG heißt es hierzu (BT-Drucks 8/2624 S. 28): „Die Vorschrift übernimmt die bisherige Regelung des § 118 Abs. 2 AFG in geänderter und erweiterter Fassung. Sie stellt klar, daß Schüler und Studierende in einer schulischen Ausbildung, die ihre Arbeitskraft im allgemeinen voll in Anspruch nimmt, während dieser Zeit nicht zum Kreise der durch die Arbeitslosenversicherung geschützten Arbeitnehmer gehören und deshalb kein Arbeitslosengeld erhalten. Die Arbeitskraft eines Schülers oder Studenten wird durch die Ausbildung voll in Anspruch genommen, wenn nach den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen oder der allgemeinen Erfahrung die Ausbildung einschließlich der Vorbereitungszeit 40 Wochenstunden erfordert. Unerheblich ist, ob der Schüler oder Student in der Lage ist, daneben noch eine Arbeitnehmertätigkeit von mehr als kurzzeitiger Dauer auszuüben, etwa weil er wegen seiner besonderen Fähigkeiten nur eine überdurchschnittliche kurze Vorbereitungszeit benötigt oder weil er die Ferien nicht für die Ausbildung oder für die Erholung nutzen will.”

Folge dieses Inhalts des § 118 a Abs. 1 AFG ist es, daß bei seiner Gültigkeit ein dem Grunde nach bestehender Anspruch eines Studenten auf Alg unabhängig von seiner individuellen Ausbildungssituation ruht. Student ist, wer an einer Hochschule immatrikuliert ist. Die Ruhenswirkung tritt zwar möglicherweise nicht bei jeder Art von Studiengang ein; denkbar wäre etwas anderes z.B. für Ergänzungs-, Aufbau- und ähnliche Studiengänge. Auch mag ein Unterschied gelten zwischen ordentlich Studierenden und Gasthörern. Bei Vollstudiengängen, wie hier dem der Medizin, muß jedenfalls davon ausgegangen werden, daß durch sie die Arbeitskraft eines ordentlich Studierenden im Sinne des § 118 a AFG voll in Anspruch genommen wird. Dies entspricht nicht nur allgemeinen Erfahrungssätzen, sondern auch der Regelung im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), dessen § 2 Abs. 5 Satz 1 der § 118 a Abs. 1 AFG nachgebildet worden ist.

3. Aufgrund dieser Rechtslage erscheint es dem Senat ferner nicht möglich, ordentlich Studierende eines Vollstudienganges hinsichtlich der Auswirkungen des § 118 a AFG danach unterschiedlich zu beurteilen, wie sie ihr Studium gestalten, weil individuelle Besonderheiten des einzelnen Falles ohnehin ausscheiden. Davon geprägte Sachverhalte entziehen sich aber auch einer Typisierung. Es läßt sich nämlich für sie, wenn sie innerhalb eines auf den regelmäßigen Abschluß, zumeist in Form der Prüfung, gerichteten Vollstudienganges liegen, nicht die Regel aufstellen, daß gerade in dieser Zeit die Arbeitskraft eines „Normal”-Studenten im allgemeinen nicht voll in Anspruch genommen wird. Aus diesen Gründen kann es auch keine Rolle spielen, in welchem Abschnitt des Studienganges (Anfangssemester, Prüfungssemester, Wiederholungssemester u.ä.) der Student sich befindet. Dem entspricht der Wortlaut der Vorschrift, der nicht auf die Inanspruchnahme durch einen bestimmten Abschnitt der Ausbildung, sondern auf die Inanspruchnahme durch die schulische Ausbildung als solche abstellt. Eine Differenzierung nach Studienabschnitten widerspräche außerdem dem gesetzgeberischen Anliegen, Schüler und Studenten während einer schulischen Ausbildung, die ihre Arbeitskraft im allgemeinen voll in Anspruch nimmt, generell während dieser Zeit aus dem Kreis der durch die Arbeitslosenversicherung geschützten Arbeitnehmer auszuschließen. Entsprechend entfällt die Ruhenswirkung, wie schon die Begründung des Regierungsentwurfs deutlich gemacht hat, nicht in veranstaltungsfreien Zeiten, die wie Semester- und Schulferien in den Lauf der Ausbildung zweckgerichtet eingebettet sind.

Es ist daher für die Rechtsfolge aus § 118 a Abs. 1 AFG unmaßgeblich, daß die Klägerin Alg für eine Zeit begehrt, in der sie sich auf die Wiederholung des Physikums vorbereitet hat und wegen bestehender Studienverpflichtungen möglicherweise nicht gehindert war, zumindest eine marktübliche Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen. Die Ruhenswirkung entfällt auch nicht deshalb, weil das Medizinstudium zwischen dem Nichtbestehen und der Wiederholung des Physikums die Arbeitskraft eines Studenten im allgemeinen nicht voll in Anspruch nimmt, wie das LSG angenommen hat.

Der § 118 a Abs. 1 AFG schließt den Arbeitslosen somit immer dann und grundsätzlich ohne Ausnahme vom Alg-Bezug aus, wenn und solange er ordentlicher Student einer Hochschule ist, und der eingeschlagene Studiengang nicht abgebrochen oder planmäßig, d.h. in der Regel mit dem Bestehen der Abschlußprüfung, beendet ist. Bei Gültigkeit der Vorschrift trifft diese Rechtsfolge deshalb auch die Klägerin.

4. Aus dieser Rechtswirkung des § 118 a AFG ergibt sich seine Unvereinbarkeit mit Art. 3 GG.

a) Art. 3 GG verbietet u.a., wesentlich Gleiches willkürlich ungleich zu behandeln. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einem anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 55, 72, 88; 60, 123, 133 ff). Ob und in welchem Ausmaß der Gleichheitssatz bei der Ordnung bestimmter Materien dem Gesetzgeber Differenzierungen erlaubt, hängt dabei wesentlich von der Natur des jeweils infrage stehenden Sachbereichs ab (BVerfGE 29, 402, 411). Auch bei der im Rahmen der gewährenden Verwaltung bestehenden weiteren Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers als bei staatlichen Eingriffen wird deren verfassungsrechtliche Grenze überschritten, wenn sich für die Differenzierung ein vernünftiger, der Natur der Sache entsprechender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht mehr finden läßt (BVerfGE 49, 260, 271; 280, 283).

b) § 118 a AFG wird diesen Anforderungen inhaltlich nicht gerecht. Die Ungleichbehandlung als solche liegt auf der Hand. Bei keiner anderen Gruppe als bei Studenten (und Schülern) wird die Erfüllung eines dem Grunde nach bestehenden Alg-Anspruchs von der Nichtzugehörigkeit zu einer allein vom Status her bestimmten Gruppe abhängig gemacht. Soweit es das Merkmal der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung (§ 103 AFG) anbelangt, kommt es ausschließlich auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles an. Tatsächliche und rechtliche Bindungen schließen ganz allgemein den Anspruch nicht aus, wenn daneben noch eine marktübliche Beschäftigung ausgeübt werden kann (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AFG). Dabei braucht die Dauer der Arbeitszeit nicht einmal den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes zu entsprechen. Lediglich hinsichtlich Lage und Verteilung einer vom üblichen abweichenden Arbeitszeit (die allerdings mehr als kurzzeitig sein muß, § 102 AFG), auf die sich ein Arbeitsloser erlaubt beschränken darf, muß er sich im Rahmen marktüblicher Arbeitszeiten halten (vgl. Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand: Juni 1982, Anm. 5 zu § 103 m.w.N.). Die Frage der Verfügbarkeit richtet sich systematisch mithin weitgehend nach den Verhältnissen des einzelnen Falles. Daß dabei besonderen Lebenslagen ebenso Rechnung getragen wird (vgl. § 103 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AFG) wie sozialpolitischen Anliegen zur (zeitweisen) Ausdehnung des Versicherungsschutzes selbst auf Personen, die objektiv nicht mehr vermittelbar sind (vgl. § 105 a AFG), macht deutlich, daß dem Gesetz für diese Anspruchsvoraussetzung sowohl eine generalisierende wie eine gruppenspezifische Betrachtungsweise fremd ist.

Die dem AFG innewohnende Systematik der Abhängigkeit des Leistungsanspruchs von der individuellen Sachlage des einzelnen Antragstellers wird auch im Rahmen der Ruhensvorschriften nicht durchbrochen. So ruht der Anspruch nach § 116 AFG nur, wenn die Arbeitslosigkeit des Antragstellers durch Beteiligung an einem Arbeitskampf eingetreten ist oder wenn sich von dem Arbeitskampf mittelbar Auswirkungen auf die für ihn geltenden Arbeitsbedingungen ergeben können, bzw. die Gewährung von Leistungen an ihn Rückwirkungen auf den Arbeitskampf auslösen würden. Selbst wenn man diese Rechtsfolge hier als Wirkung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Arbeitslosen ansehen wollte und nicht nur als die gleichartige Beurteilung von für mehrere gleichzeitig vorliegenden Individualverhältnissen, fände dieses seine sachliche Berechtigung in dem der Beklagten auferlegten Neutralitätsgebot (§ 116 AFG; vgl. BSGE 40, 190 ff). – Nach § 117 AFG hängt das Ruhen des Anspruchs vom Zufließen oder Zustehen von Lohnleistungen oder Abfindungen im Einzelfall ab. Das hier tragende Prinzip der Vermeidung von Doppelleistungen an den jeweils einzelnen Arbeitslosen wird in § 118 Abs. 1 AFG fortgeführt, wenn dort die Ruhenswirkung davon abhängt, daß dem Arbeitslosen ein anderweitiger Anspruch auf bestimmte andere Lohnersatzleistungen zuerkannt ist.

§ 118 a Abs. 1 AFG weicht von diesen Prinzipien, insbesondere dem letztgenannten, dem er aber gerade nachgebildet worden ist, ab. Er verneint im Ergebnis die Verfügbarkeit von Studenten für die Arbeitsvermittlung. Zwar enthält auch § 118 Abs. 1 AFG Elemente eines vermuteten Fehlens oder jedenfalls einer vermuteten Beeinträchtigung der Verfügbarkeit des arbeitslosen Antragstellers (vgl. BSGE 46, 89, 94 = SozR 4100 § 118 Nr. 5 m.w.N.). Der Hauptzweck dieser Vorschrift ist aber die Verhinderung von doppeltem Leistungsbezug; deshalb ruht der Anspruch auf Alg nach § 118 Abs. 1 AFG nur, wenn andere den Unterhalt sicherstellende Leistungen zur Auszahlung zuerkannt sind (vgl. BSG SozR 1100 § 118 Nr. 10). Der § 118 a Abs. 1 AFG hat diese Funktion nicht. Er ist in diesem Sinne keine Ruhensvorschrift, sondern eine (falsch formulierte) den Anspruch ausschließende Gesetzesnorm. Bei der Schaffung des § 118 Abs. 2 AFG a.F. durch das KVSG schwebte die eigentliche Funktion des § 118 AFG dem Gesetzgeber noch vor. Denn in der Begründung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Entwurf eines KVSG wird ausgeführt, daß der Lebensunterhalt von Studenten durch die Leistungen nach dem BAföG gesichert werden solle (BT-Drucks 7/3640 S. 8). Diese Absicht hatte sich schon im Gesetzestext des § 118 Abs. 2 AFG a.F. nicht niedergeschlagen, sie wurde mit dem 5. AFG-ÄndG vollends aufgegeben; denn die Neuregelung sollte klarstellen, daß die von der Vorschrift erfaßten Schüler und Studenten nicht (mehr) zum Kreis der durch die Arbeitslosenversicherung geschützten Arbeitnehmer gehören (können).

Die dargestellte Systematik des AFG könnte unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG allenfalls eine Ruhensregelung rechtfertigen, die vom tatsächlichen Bezug von BAföG-Leistungen abhängt. Das ist aber und sollte wohl auch nicht geschehen. Abgesehen davon, daß der Gesetzgeber für den Fall der Konkurrenz von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit und wegen Ausbildung gerade die ersteren für vorrangig einzusetzen erklärt hat (vgl. § 21 Abs. 3 Nr. 4 BAföG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Einkommensverordnung vom 21. August 1974 – BGBl I 2078 – i.d.F. der Verordnung vom 16. Juli 1975 – BGBl I 1924 –), stehen BAföG-Leistungen ohnedies nicht allen Studierenden zu (vgl. z.B. § 10 Abs. 3 BAföG).

c) Hinsichtlich des Erwerbs von Anwartschaften auf Alg sind Studenten grundsätzlich nicht in einer anderen Lage als andere Personen, wenn sie eine beitragspflichtige Beschäftigung ausüben. Ein Student hat das Recht zu studieren, aber keine diesbezügliche Pflicht, er ist grundsätzlich frei in der Gestaltung seines Studiums (akademische Freiheit). Das bedeutet, daß er sein Studium mit verschiedener Intensität betreiben darf. Für einen Studenten besteht kein Beschäftigungsverbot. Die Tatsache der Immatrikulation an einer Hochschule allein steht der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen (vgl. BSGE 44, 164, 167 = SozR 4100 § 134 Nr. 3); auch während des Studiums kann eine abhängige, entgeltliche Beschäftigung ausgeübt werden, die unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 168 AFG beitragspflichtig ist. Vielfach sind Beschäftigungen von Studenten zwar versicherungsfrei (vgl. dazu BSGE 50, 25); daraus ergeben sich dann aber auch keine Folgerungen im Verhältnis zur Beklagten, denn der beitragsfrei beschäftigte Student erwirbt keinen Alg-Anspruch (§ 104 Abs. 1 AFG). Jedenfalls läßt sich für die Lebenswirklichkeit nicht der Grundsatz rechtfertigen, daß durch die Immatrikulation und die Aufnahme eines Studiums, welches im allgemeinen die Arbeitskraft eines Studenten voll in Anspruch nimmt, die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg ausnahmslos entfallen, insbesondere die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung i.S. des § 103 AFG beeinträchtigt wird oder gar stets in Wegfall gerät.

d) Die objektive Ungleichbehandlung von Studenten mit einem Grundanspruch auf Alg gegenüber allen sonstigen Antragstellern in Form des unterschiedslosen Ruhens des Anspruchs läßt sich nicht durch ausreichende Sacherwägungen rechtfertigen. Zum einen kann es sich bei dem Kreis von Anspruchsinhabern im Verhältnis zur Gesamtzahl von Studenten nur um eine verhältnismäßig kleine Zahl handeln. Immerhin setzt der Anspruch auf Alg eine nicht unbeachtliche Zeit beitragspflichtiger Beschäftigung voraus (§ 104 AFG). Zum anderen ist es aber gerade für diesen Kreis von Anspruchsinhabern typisch, daß er vor oder während des Studiums wegen besonderer Lebenslage auf Arbeitseinkommen angewiesen war, wie der Senat der Vielzahl der bei ihm wegen der Anwendung des § 118 a AFG anhängigen Verfahren entnimmt. Solchen Anspruchsinhabern die dem Grunde nach zustehende Lohnersatzleistung Alg trotz Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung nur wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe „Student” vollständig vorzuenthalten, ist auch mit dem Sozialstaatsprinzip schwerlich vereinbar. Wenn jedenfalls die Gründe, die für die ungleiche Behandlung sprechen, nicht so bedeutsam sind, den völligen Ausschluß dieser Arbeitnehmer im Bereich der Arbeitslosenversicherung zu rechtfertigen und gerade das Sozialstaatsprinzip für eine Gleichbehandlung spricht, wird das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen überschritten. Denn ein Abweichen von der vom Gesetz selbst gewählten Sachgesetzlichkeit kann vor dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG nur dann Bestand haben, wenn das Gewicht der für die Abweichung sprechenden Gründe der Intensität der getroffenen Ausnahmeregelung entspricht (BVerfGE 13, 331, 340; 15, 313, 318). Das BVerfG hat deshalb auch schon den vollständigen Ausschluß der bei ihren Eltern beschäftigten Arbeitnehmer vom Schutz der Arbeitslosenversicherung als mit Art. 3 GG unvereinbar erklärt (BVerfGE 18, 366, 372).

Dasselbe gilt für § 118 a AFG. Um eine sachlich ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung durch eingeschriebene Studenten zu vermeiden, bedurfte es nicht der in dieser Vorschrift enthaltenen generellen Sanktion gegenüber der gesamten Gruppe der Studenten. § 118 Abs. 2 AFG i.d.F. des KVSG trug dem in der vom Senat gefundenen Auslegung hinreichend Rechnung. Der dabei die Beklagte treffende Verwaltungsaufwand kann schon deshalb kein ausreichendes Sachargument für die in § 118 a AFG enthaltene Ungleichbehandlung ergeben, weil es ohnedies zu den Sachaufgaben der Arbeitsämter gehört, die Verfügbarkeit jedes Antragstellers für die Arbeitsvermittlung zu prüfen, bevor sie Alg bewilligt. Im übrigen wird dieser Aufwand durch die Auslegung des § 118 Abs. 2 AFG a.F. durch den Senat sogar noch verringert, da sich für den Studenten im Ergebnis hinsichtlich der Abwendung einer Ruhenswirkung danach die Darlegungs- und Beweislast umkehrt.

Der absolute Ausschluß von Studenten vom Schutz der Arbeitslosenversicherung erscheint auch aus anderen Gründen sachlich schwer verständlich. Daß Studenten bei bestimmten Gestaltungen von Beschäftigungsverhältnissen während des Studiums als versicherungs- und beitragspflichtig in allen Zweigen der Sozialversicherung erachtet und ihnen demgemäß trotz Studiums die Eigenschaft von Arbeitnehmern zuerkannt wird, wurde bereits unter Hinweis auf BSGE 50, 25 erwähnt (vgl. dazu auch die Zusammenstellung der Besprechungsergebnisse der Versicherungsträger zur Anwendung der §§ 172 Abs. 1 Nr. 5, 1228 Abs. 1 Nr. 3 RVO, § 4 Abs. 1 Nr. 1 AVG, abgedruckt bei Beuster, Die Versicherungspflicht, 2. Auflage, S. 163 ff). Ihnen sodann bei unveränderter Bereitschaft und feststellbarer Fähigkeit, derartige Beschäftigungen weiter auszuüben, im Ergebnis diese Eigenschaft abzusprechen, wenn es um die Leistungsgewährung geht, kann ungeachtet des weitergehenden Zweckes der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung umso weniger überzeugen, als es sich die Beklagte andererseits durch Einrichtung spezieller Job-Vermittlungsstellen für Schüler und Studenten zur Aufgabe gemacht hat, deren offenbar auch als marktgerecht erkannte persönliche Bedürfnisse nach Arbeitsmöglichkeiten jeglicher Art sachgerecht zu befriedigen. Der Senat vermag aber keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, daß die Beklagte sich bei dieser Tätigkeit etwa nur auf die Vermittlung beitragsfreier Beschäftigungen beschränkt.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1600585

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen