Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für den Widerruf einer Schenkung

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Wenn gegenläufiges Handeln für den Beschenkten sittlich geboten ist, kann auch bei einer schweren Verfehlung eines Dritten gegenüber dem Schenker grober Undank des Beschenkten bejaht werden. In diesem Falle ist bei der erforderlichen Gesamtschau insbesondere auch das spätere Verhalten des Beschenkten und des Schenkers zu berücksichtigen.
  2. Zur Frage, wann die Kränkung vom Schenker verziehen ist.
 

Normenkette

BGB §§ 530, 532

 

Tenor

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 9. November 1982 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 

Tatbestand

Die Parteien, Vater und verheiratete Tochter, streiten über den Widerruf einer Schenkung.

1975 schenkte der Kläger der Beklagten notariell 90.000,- DM mit der Auflage, den Betrag bei jährlicher Auszahlung der Zinsen im Unternehmen des Klägers zu lassen. Am 4. November 1979 schied die Mutter der Beklagten, die geschiedene Ehefrau des Klägers, aus dem Leben. Im Rahmen der Nachlaßabwicklung erwirkte der Ehemann der Beklagten als deren Vertreter am 17. November 1979 eine einstweilige Verfügung gegen den Bruder der Beklagten, wonach diesem unter anderem untersagt wurde, Nachlaßgegenstände aus dem Haus der Mutter in H. und ihrer Eigentumswohnung in S. R. zu entfernen. Der Antrag wurde damit begründet, es sei zu befürchten, daß der Bruder - beeinflußt durch den Kläger, der schon vorher widerrechtlich in die Wohnung der Mutter in S. R. eingedrungen sei und dort Wertgegenstände an sich genommen habe - Wertgegenstände entfernen und dadurch den Nachlaß verändern werde. Die Richtigkeit dieser Behauptung wurde vom Ehemann der Beklagten an Eides Statt versichert. Am 27. Februar 1980 nahm die Beklagte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurück, nachdem für ihren Bruder zunächst in einem ausführlichen Schriftsatz vom 7. Januar 1980 der Kläger und später ein Rechtsanwalt Widerspruch eingelegt hatten. Wegen einer internen Einigung der Parteien ließ die Beklagte am 7. März (die Monatsangabe "November" im Tatbestand des Berufungsurteils ist ein offensichtliches Versehen) 1980 schriftsätzlich mitteilen, zu dem Verfahren sei es infolge von Mißverständnissen gekommen, sie habe sich bei ihrem Bruder und ihrem Vater mündlich entschuldigt und sei bereit, das von ihr eingeleitete Verfahren mit dem Ausdruck des Bedauerns zu beenden.

Mit Anwaltsschreiben vom 1. Oktober 1980 widerrief der Kläger die Schenkung der 90.000,- DM wegen groben Undanks. In dem Widerrufsschreiben sind verschiedene Widerrufsgründe genannt.

Die Beklagte habe in einer den Kläger finanziell schädigenden Weise versucht, das Hausgrundstück in H. von ihrer Mutter zu erwerben, dessen Besitz nach der Auseinandersetzungsvereinbarung anläßlich der Scheidung für die Höhe des vom Kläger zu zahlenden Unterhaltes Bedeutung haben konnte. Das habe der Kläger erst nach dem Tode der Mutter der Beklagten erfahren. Die in der eidesstattlichen Versicherung im Eilverfahren enthaltene Bezichtigung des Klägers sei bekanntermaßen unwahr und eine schwere Verfehlung. Darüberhinaus habe die Beklagte durch ihren Ehemann als Bevollmächtigten gegen ihre Geschwister unwahre Behauptungen aufstellen lassen.

Im Rechtsstreit hat der Kläger weiter groben Undank darin gesehen, daß die Beklagte es geduldet habe, daß ihr Ehemann Nachlaßwerte der Mutter beiseite geschafft und deren Darlehensforderungen nicht durchgesetzt habe, und daß ihrem Bruder Notarkosten in Rechnung gestellt wurden.

Das Landgericht hat die auf den Verzicht der Rechte aus dem Schenkungsvertrag gerichtete Klage abgewiesen, da der Kläger keine schweren Verfehlungen der Beklagten dargelegt habe. Das Oberlandesgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das angefochtene Urteil kann wegen verschiedener Rechtsfehler nicht bestehen bleiben.

1.

Das Berufungsgericht hat eine grobe Verfehlung in dem Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Eilverfahren gesehen. Es ist deshalb auf die weiteren vom Kläger vorgebrachten Widerrufsgründe nicht eingegangen.

a)

Das Berufungsgericht meint, die zur Antragsbegründung aufgestellten Behauptungen hätten nichts anderes als den Vorwurf bedeutet, der Kläger habe einen Einbruchsdiebstahl begangen und stifte nunmehr auch den Bruder der Beklagten zu ähnlichem Verhalten an.

Diese rechtliche Würdigung der Antragsbegründung hält einer Nachprüfung nicht stand. Zu dieser Nachprüfung ist der Senat in der Lage. Im Berufungsurteil ist auf den Vortrag der Parteien und damit auf den davon umfaßten Inhalt der Akten betreffend die einstweilige Verfügung Bezug genommen. Die Würdigung eines Verhaltens als schwere Verfehlung, die den groben Undank des Beschenkten zum Ausdruck bringt, liegt allerdings weitgehend im tatrichterlichen Ermessen. Dem Revisionsgericht obliegt jedoch die Prüfung, ob dem Tatrichter ein Irrtum über Rechtsbegriffe unterlaufen ist oder ob er erheblichen Prozeßstoff Übergangen hat (BGHZ 87, 145, 149 m.w.N.).

Nach dem Tode ihrer Mutter hatten die Beklagte und ihre beiden Geschwister dem Ehemann der Beklagten Vollmacht erteilt, sie in allen Nachlaßangelegenheiten zu vertreten. Diese Vollmacht hatte der bei dem Kläger angestellte Bruder der Beklagten am 15. November 1979 widerrufen. Unstreitig hatte er Einrichtungsgegenstände aus dem Haus der Mutter in H. in die ihm vom Kläger kurz vorher zur Verfügung gestellte Wohnung mitgenommen. Dies bestätigt das vom Kläger persönlich verfaßte Widerspruchsschreiben unter Hinweis darauf, das sei im Einverständnis der beiden Miterben geschehen, soweit es sich nicht um das Eigentum des Bruders der Beklagten gehandelt habe. Daß der Kläger im November 1975 Gegenstände aus der Wohnung in S. R. geholt hatte, wird in diesem Schreiben damit erklärt, er habe die Schlüssel für die Wohnung gehabt und nur seine persönlichen Sachen mitgenommen. Mit diesem Widerspruch legte der Kläger eine vom Bruder der Beklagten unterschriebene umfassende Vollmacht zur Nachlaßregelung vor.

Das alles ist vom Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt. Unter diesen Umständen konnte nämlich der Kern der Antragsbegründung, daß der Bruder der Beklagten Gegenstände aus dem Haus entfernt habe, daß dies mutmaßlich auf den Einfluß des Klägers zurückzuführen sei, daß sich der Kläger selbst einmal in die Wohnung in S. R. begeben und dort Gegenstände an sich genommen habe, entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts einen gewissen realen Hintergrund haben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25.3.1977 - V ZR 48/75 - LM BGB § 530 Nr. 7 unter II). Ob dieser Hintergrund die Behauptung rechtfertigte, auf der Gegenseite der Beklagten bestehe die Tendenz, Streit über die Zuordnung von Sachen durch eigenmächtigen Zugriff zu beenden, hat das Berufungsgericht nicht geprüft. Obwohl die Antragsbegründung eine nähere, insbesondere eine strafrechtliche Würdigung des behaupteten Vorgehens nicht enthält, ist das Berufungsgericht ohne weitere Begründung davon ausgegangen, gegen den Kläger sei der Vorwurf des Einbruchsdiebstahls und der Anstiftung zu ähnlichem Verhalten erhoben. Das ist schon deshalb rechtlich nicht zu billigen, weil die Rechtsbegriffe Einbruchsdiebstahl und Anstiftung dazu mangels jeglicher Auseinandersetzung mit dem objektiven und insbesondere dem subjektiven Tatbestand dieser Strafbestimmungen verkannt sein können.

Auf diesen Vorwurf aber hat das Berufungsgericht entscheidend abgestellt. Ist er nicht erhoben, dann bleibt als nicht belegter, hinsichtlich seiner Berechtigung aber möglicherweise diskussionswürdiger Vorwurf der Antragsbegründung, daß der Kläger "widerrechtlich" eingedrungen sei.

b)

Das Berufungsgericht will der Beklagten das von ihm als schwere Verfehlung bewertete Verhalten ihres Ehemannes zurechnen, der allein die Richtigkeit der Behauptungen der Antragsbegründung eidesstattlich versichert hat. Die Verfehlung sei in ihrem Namen begangen, und sie habe davon Kenntnis erlangt. Deshalb sei sie sittlich verpflichtet gewesen, die Vorwürfe gegenüber allen zu widerrufen, die davon Kenntnis erlangt hatten. Das habe sie unterlassen, was nur als Ausdruck mangelnder Dankbarkeit gewertet werden könne.

Mit diesen Ausführungen hat das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der schweren Verfehlung verkannt und den vorgetragenen Tatsachenstoff nur unvollständig gewürdigt.

Das Berufungsgericht hat allerdings gesehen, daß die Verfehlung grundsätzlich vom Beschenkten selbst, und sei es auch nur als mittelbarem Täter oder als Teilnehmer, begangen sein muß, wenn der Schenker darauf sein Widerrufsrecht gründen will. Das Verhalten eines Dritten dem Schenker gegenüber kann im Rahmen des § 530 BGB nur ausnahmsweise, nämlich dann Bedeutung gewinnen, wenn nach den gesamten Umständen der Beschenkte zu gegenläufigem Handeln sittlich verpflichtet ist, er das jedoch unterläßt (RGZ 158, 141, 144; Staudinger/Reuss 12. Aufl. § 530 Rdn. 6). Die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang erwogene Zurechnung nach § 166 BGB scheidet dagegen im Regelungsbereich des § 530 BGB aus (BGH, Urteil vom 7.3.1962 - V ZR 132/60 - NJW 1962, 955, 956 unter III 2 f, insoweit BGHZ 36, 395 ff. nicht abgedruckt).

Da die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger sei Einbruchsdiebstahl vorgeworfen worden, von den bisherigen Feststellungen nicht getragen wird, kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden, wo das Berufungsgericht die Grenze zwischen hinzunehmender leichter und beachtlicher schwerer Verfehlung im Falle eines Handelns des Beschenkten selbst ziehen will (dazu BGH, Urteil vom 9.7.1982 - V ZR 142/81 - WM 1982, 1057). Insoweit ist nämlich das Ermessen des Tatrichters nicht völlig frei. Der Gesetzgeber hat zwar das ursprüngliche Vorhaben aufgegeben, den groben Undank an die Verwirklichung bestimmter Tatbestände zu knüpfen, gerade um dem Tatrichter größere Freiheit einzuräumen (Prot. II 36; Mot. II 302 f). Damit sollte aber in erster Linie die Berücksichtigung von Verstößen gleichwertiger Intensität ermöglicht, nicht jedoch die Erheblichkeitsschwelle gesenkt werden. Umso mehr muß dann die Verfehlung des Dritten erhebliches Gewicht haben, wenn ihr Geschehenlassen dem Beschenkten zugerechnet werden soll. Sonst kann gegenläufiges Handeln nicht sittliche Pflicht sein; eine solche ist nur zu bejahen, wenn das Handeln geradezu sittlich geboten ist (vgl. Senatsurteil vom 7.3.1984 - IVa ZR 152/82 - LM BGB § 2330 Nr. 5).

Die Sachverhalte, bei denen das Reichsgericht eine Unterlassung des Beschenkten als Anlaß für einen Schenkungswiderruf ausreichen ließ (RGZ 158, 141; RG Gruch. 67, 562, 565), betrafen Angriffe, die durch ihre Rücksichtslosigkeit und Dauer erheblich über das hinausgingen, was dem Ehemann der Beklagten selbst nach Auffassung des Berufungsgerichts vorzuwerfen ist. Insbesondere zeichneten sich jene Fälle dadurch aus, daß der Beschenkte auch wiederholte Beleidigungen und Körperverletzungen geschehen ließ, ohne dazwischenzutreten oder auch nur Bedauern zu äußern. Die Behauptungen in der Antragsbegründung wurden dagegen nicht wiederholt, geschweige denn verschlimmert.

Dann aber wurde die Schwelle zum schweren Verstoß und zum groben Undank nicht schon dadurch überschritten, daß die Beklagte dem gegen den Kläger erhobenen Vorwurf nicht unverzüglich entgegengetreten ist, ihn nicht unverzüglich gegenüber allen Adressaten widerrufen hat.

c)

Weiter durfte das Berufungsgericht sich nicht darauf beschränken festzuhalten, welches Gewicht das Unterlassen des Widerrufs hat. Da eine schwere Verfehlung objektiv ein erhebliches Gewicht und subjektiv einen erkennbaren Mangel an Dankbarkeit voraussetzt, wenn sie als Ausdruck groben Undanks gewertet werden soll, müssen nach § 530 BGB in einer Gesamtschau alle Umstände des Einzelfalles gewürdigt werden (BGHZ 87, 145, 149 m.w.N., außerdem RG JW 1907, 744 und RG Gruch. 67, 562, 564). Dazu gehört das weitere Verhalten der Beklagten ebenso wie das eigene Verhalten des Klägers.

Werden der Inhalt der Akten betreffend das Eilverfahren und die Aussagen der vom Berufungsgericht vernommenen Zeugen zugrunde gelegt, dann sprechen eine Reihe von Umständen dafür, daß die Beklagte versucht hat, in dieser Angelegenheit "sonst zum Guten zu wirken" (RGZ 158, 141, 143). Ihre Erklärung gegenüber dem im Eilverfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt, die dieser in seiner Zeugenaussage wiedergegeben hat, "daß die dem Vater gemachten Vorwürfe so gar nicht stimmten", ist vom Berufungsgericht lediglich im Zusammenhang mit der Frage erwähnt und gewürdigt worden, ob sie sich auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen könne. Es fragt sich jedoch, ob die Beklagte danach nicht erwarten durfte, der Rechtsanwalt werde nun von sich aus die Sache in Ordnung bringen. Die Beklagte hat nach der Feststellung des Berufungsgerichts, als sie mit dem Kläger und ihrem Bruder zur Bereinigung der Angelegenheit in Verbindung trat, mehrfach um Entschuldigung gebeten. Das hat das Berufungsgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Verzeihung berücksichtigt. Da hier die Beklagte keine eigene Verfehlung begangen hat, sondern nur die ihres Ehemannes nicht in gehöriger Weise widerrufen haben soll, kommt dem späteren Verhalten allgemein und den Entschuldigungen besonders eine erhebliche Bedeutung bereits bei der Frage zu, ob überhaupt eine schwere Verfehlung bejaht werden kann. Bei der Gesamtwürdigung müssen dann auch (möglicherweise unzureichende) Wiedergutmachungsversuche berücksichtigt werden. Zu bewerten ist dabei der Unterschied, um den das tatsächliche Verhalten hinter dem Gebotenen zurückbleibt.

Ob für die Beklagte wirklich gegenläufiges Handeln sittlich geboten war und welches Ausmaß an Wiedergutmachung von ihr zur erwarten war, hängt aber auch vom Verhalten des Klägers selbst ab. Deshalb durfte das Berufungsgericht nicht die Vorwürfe des Klägers in dem von ihm persönlich verfaßten Schriftsatz im Eilverfahren vor dem Hintergrund der von ihm selbst darin eingeräumten Tatsachen außer acht lassen.

2.

Demnach muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht erhält damit Gelegenheit, sowohl das von ihm bislang allein gewürdigte Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Eilverfahren als auch die weiteren, bislang von ihm noch nicht behandelten Widerrufsgründe nach Maßgabe der unter 1. dargelegten Grundsätze zu würdigen. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen ist der Senat zu einer solchen abschließenden Würdigung nicht in der Lage.

Sollte die tatrichterliche Aufklärung dazu führen, daß eine schwere Verfehlung zu bejahen ist, dann wird das Berufungsgericht sich erneut mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob hier Verzeihung im Sinne von § 532 BGB angenommen werden kann. Seine bisherigen Ausführungen dazu sind möglicherweise rechtlich bedenklich.

Das Berufungsgericht ist aufgrund seiner Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger sei zwar grundsätzlich zur Verzeihung bereit gewesen, die Beklagte habe aber nicht seine Bedingungen erfüllt, weswegen er die ihm gegenüber wiederholt ausgesprochene Entschuldigung nicht angenommen habe. Der Kläger habe verlangt, daß die Entschuldigung in schriftlicher Form und mit dem Zugeständnis von Fehlverhalten erklärt werde. Er sei mit der konditional abgegebenen Entschuldigungserklärung nicht zufrieden gewesen.

Ausgangspunkt des Berufungsgerichts für sein Verständnis des in §§ 530, 2337, 2343 BGB gleich verwendeten Begriffs "Verzeihung" ist offensichtlich die Formulierung im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. März 1974 (IV ZR 58/72 - LM BGB § 2333 Nr. 2 Bl. 2 unten = NJW 1974, 1084, 1085 = WM 1974, 543, 544):

"Verzeihung ist der nach außen kundgemachte Entschluß des Erblassers, aus den erfahrenen Kränkungen nichts mehr herleiten und über sie hinweggehen zu wollen."

Mit dieser nicht näher begründeten Formulierung, die als "obiter dictura" verwendet wurde, auf der die Entscheidung also nicht beruhte, wollte der Bundesgerichtshof ersichtlich nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen; denn das insoweit grundlegende Urteil vom 7. Juni 1961 (V ZR 18/60 - LM BGB § 2337 Nr. 1 = FamRZ 1961, 437, 438) wird als einziger Beleg zitiert. Nach diesem Urteil ist aber für die Verzeihung nur maßgeblich, ob der Schenker oder Erblasser zum Ausdruck gebracht hat, daß er die durch das in Rede stehende Verhalten hervorgerufene Kränkung nicht mehr als solche empfindet. Nur in diesem Sinne, daß das Verletzende der Kränkung als nicht mehr existent betrachtet wird, ist die Formulierung zu verstehen, der Erblasser wolle daraus nichts mehr herleiten. In dem Urteil vom 7. Juni 1961 hat nämlich der Bundesgerichtshof ausdrücklich hervorgehoben, daß zur Verzeihung nicht die Wiederherstellung einer dem Mutter-Kind-Verhältnis entsprechenden Beziehung, sondern nur der Wegfall der Kränkungsempfindung erforderlich ist (so auch Erman/Schlüter 7. Aufl. § 2337 Rdn. 1; Erman/Seiler 7. Aufl. § 532 Rdn. 2; MK-Kolhosser § 532 Rdn., 2; Staudinger/Reuss 12. Aufl. § 532 Rdn. 2; RGRK/Metzger 12. Aufl. § 532 Rdn. 1; Soergel/Mühl 11. Aufl. § 532 Rdn. 2; dagegen beziehen sich auf die möglicherweise mißverständliche Formulierung des Urteils vom 1.3.1974 Palandt/Edenhofer 43. Aufl. § 2337 Anm. 2; RGRK/Johannsen 12. Aufl. § 2337 Rdn. 1). Die 1974 gebrauchte Formulierung bedarf einer Klarstellung, wie gerade der vorliegende Fall zeigt. Verfolgt der Schenker oder Erblasser damit, daß er als Bedingung für deren "Annahme" eine bestimmte Art der Entschuldigung verlangt, ein nicht mehr auf die Beseitigung der Kränkung gerichtetes Ziel, dann leitet er allerdings aus der Kränkung noch etwas her und geht auch nicht darüber hinweg. In Wirklichkeit hat er aber möglicherweise bereits verziehen. Ein solches Ziel kann z.B. sein, daß der Schenker disziplinieren will und der Beschenkte die Überlegenheit des Schenkers anerkennen oder daß er gedemütigt werden soll. Für derartige Ziele wird die Kränkung lediglich noch als "Vehikel" benutzt, obwohl sie möglicherweise nicht mehr als solche empfunden wird und damit bereits verziehen ist. Der Hinweis des Klägers (S. 7 seiner Berufungsbegründung) auf seine Testierfreiheit, dessen drohender Unterton nicht zu verkennen ist, insbesondere sein Verlangen nach der Wiederherstellung eines Vater-Tochter-Verhältnisses (S. 2 seines am 17.9.1982 eingegangenen Schriftsatzes zum Vergleichsvorschlag) können auf einen Widerspruch des besonderen Entschuldigungsbegehrens des Klägers zum Verzeihungsbegriff hindeuten. Andererseits kann für eine Verzeihung der Wegfall des Kränkungsempfindens dann möglicherweise nicht ausreichen, wenn sich der Gekränkte vom Kränkenden - etwa sogar infolge einer durch die Kränkung in Gang gesetzten Entfremdung - innerlich völlig gelöst hat, wenn also Gleichgültigkeit eingetreten ist; umgekehrt schließt sogar ein in gewissem Umfang noch bestehendes Bewußtsein der früheren Kränkung - "vergeben, aber nicht vergessen" - eine Verzeihung nicht notwendig aus (zu beiden Fällen zutreffend Soergel/Dieckmann 11. Aufl. § 2337 Rdn. 1 und Staudinger/Ferid/Cieslar 12. Aufl. § 2337 Rdn. 22-26).

Für die Frage, ob der Erblasser die Kränkung überwunden hat, kommt es auf sein nach außen hin kundgemachtes Verhalten an. Das festzustellen und auszudeuten, ist Sache des Tatrichters.

Das Berufungsgericht wird demgemäß die Frage der Verzeihung gegebenenfalls einer in diesem Sinne differenzierten Betrachtung unterziehen und dabei ebenso wie bei der Frage der schweren Verfehlung sämtliche Umstände in Rechnung stellen müssen.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Rottmüller

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Zopfs

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456461

BGHZ, 273

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