Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schenkung des Erblassers seiner sittlichen Pflicht entspricht.

 

Normenkette

BGB § 2330

 

Verfahrensgang

Saarländisches OLG (Urteil vom 06.07.1982)

LG Saarbrücken

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird unter deren Zurückweisung im übrigen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 6. Juli 1982 geändert und wie folgt neu gefaßt:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Schlußurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 1. Juli 1980 geändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird unter Klagabweisung im übrigen verurteilt, an die Klägerin 53.490,86 DM nebst 4% Zinsen seit dem 28. Juni 1976 abzüglich eines am 11. Juli 1980 hinsichtlich der Zinsforderung seitens der Klägerin aufgerechneten Betrages von 3.404,81 DM nebst 4% Zinsen seit dem 29. April 1980 zu zahlen.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.

III. Von den Kosten der 1. Instanz tragen die Klägerin 3/5 und die Beklagte 2/5; die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Parteien je zur Hälfte.

Die Kosten der Revisionsinstanz tragen die Parteien je zur Hälfte.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin ist das einzige Kind, nämlich die Tochter aus erster Ehe, des am 15. Januar 1976 im Alter von 79 Jahren verstorbenen Erblassers, eines Arztes. Sie verlangt 1/4 des Nachlaßwertes als ihren Pflichtteil und eine Pflichtteilsergänzung von der Beklagten. Diese war seit 13. Juli 1972 die zweite Ehefrau des Erblassers und ist aufgrund des Erbvertrages vom 1. Oktober 1975 seine Alleinerbin.

In der Revisionsinstanz geht es nur noch um zwei Positionen bei der Errechnung der Forderung. Soweit die Klägerin Pflichtteilserhöhung deshalb begehrte, weil nach ihrer Ansicht der Wert des Grundeigentums überhaupt zu niedrig angesetzt gewesen sein soll, hat der Senat durch Beschluß vom 9. März 1983 ihre Revision nicht angenommen.

Die Klägerin meint, bei den Nachlaßverbindlichkeiten sei eine Darlehensforderung der Bausparkasse nur zur Hälfte anzurechnen, weil neben dem Erblasser auch die Beklagte dafür haftete. Vor allem ist umstritten, ob die am Tage des Erbvertrages vom Erblasser zusätzlich zur Erbeinsetzung noch vorgenommene Schenkung der Hälfte des Grundeigentums an die Beklagte jedenfalls zum Teil seiner sittlichen Pflicht entsprach und deshalb insoweit nicht der Pflichtteilsergänzung unterliegt. Sind diese Fragen zu Gunsten der Klägerin zu beantworten, dann erhöht sich ihr Anspruch um 3.805,14 DM und um 19.770,– DM, damit insgesamt um 23.575,14 DM.

Der Erblasser und seine erste Ehefrau, die Mutter der Klägerin, hatten seit 1948 getrennt gelebt. Im Februar 1958 war die damals 34 Jahre alte Beklagte zu dem damals 61 Jahre alten Erblasser gezogen. Sie hatte seitdem mit ihm in häuslicher Gemeinschaft gelebt und im Jahre 1963 ihren Beruf als Buchhändlerin wegen Erkrankung des Erblassers aufgegeben. Versuche des Erblassers, zur Scheidung der Ehe zu gelangen, hatten keinen Erfolg. Im Mai 1972 war die Mutter der Klägerin verstorben.

Das Grundeigentum des Erblassers bestand aus einem repräsentativen Einfamilienhaus in einem parkähnlichen Garten nebst unbebauten Parzellen, lag jedoch neben einem Schrottplatz in der Nähe einer Autobahn und einer Eisenbahnlinie und war Industrieimmissionen ausgesetzt. Erst nach dem Tode des Erblassers am 12. April 1976 wurde der Schenkungsvertrag zwischen dem Erblasser und der Beklagten im Grundbuch vollzogen. Nachdem im Laufe des Rechtsstreits verschiedene Gutachter insbesondere das Hausgrundstück höher bewertet hatten, verkaufte die Beklagte den gesamten Grundbesitz, das Hausgrundstück im Laufe des Berufungsverfahrens, für insgesamt 316.320,– DM. Die übrigen Nachlaßaktiva, darunter das Bau Sparguthaben, waren mit 23.932,97 DM im Revisionsverfahren ebensowenig umstritten, wie die Nachlaßpassiva mit 95.848,47 DM ohne die Darlehensforderung der Bausparkasse von 30.441,04 DM.

Das Landgericht hatte der Klägerin 93.609,43 DM zuerkannt. Demgegenüber ist ihre Forderung vom Berufungsgericht auf nur noch 33.720,86 DM festgesetzt worden. Grund dafür war im wesentlichen die Annahme des Berufungsgerichts, der Grundstückswert entspreche dem Verkaufserlös und die Schenkung unterliege zur Hälfte – also zu einem Viertel des Grundstückswertes – gemäß § 2330 BGB nicht der Pflichtteilsergänzung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat nur hinsichtlich des Pflichtteilsergänzungsanspruchs Erfolg.

I.

Der Angriff auf die Höhe der im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Nachlaßverbindlichkeiten geht fehl.

Das Berufungsgericht hat dem Landgericht folgend die Darlehensforderung der Bausparkasse zu Lasten der Klägerin in vollem Umfang als Nachlaßverbindlichkeit angesehen. Zwar habe die Beklagte die gesamtschuldnerische Haftung übernommen. Berücksichtige man indessen, daß der Erblasser bereits bei Darlehensaufnahme der Alleinverdiener gewesen sei, und daß er das Darlehen daher aus seinen Mitteln ohne Inanspruchnahme der Beklagten in voller Höhe habe zurückzahlen müssen, dann könne von einer Ausgleichungspflicht der Beklagten nach § 426 BGB nicht ausgegangen werden.

Damit wollte das Berufungsgericht ersichtlich feststellen, daß im Innenverhältnis der Eheleute, nämlich des Erblassers und der Beklagten, nicht Haftung zu gleichen Teilen, sondern als „ein anderes” im Sinne von § 426 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB die Alleinhaftung des Erblassers vereinbart worden ist. Das ergibt einmal die Bezugnahme des Berufungsurteils auf die Auskunft der Bausparkasse, in welcher der Erblasser als „alleiniger Inhaber des Bausparvertrages” – folgerichtig ist das Bausparguthaben in voller Höhe dem Nachlaßbestand zugerechnet worden – und als alleiniger Empfänger des im Erbfalle noch in Höhe von 30.441,04 DM offenen Kreditbetrages bezeichnet worden ist, zumal es sich nach der Auskunft um einen Zwischenkredit handelte, für den Bausparkassen üblicherweise schon formularmäßig die gesamtschuldnerische Haftung der Ehefrau fordern. Das folgt aber auch insbesondere daraus, daß das Berufungsgericht ausdrücklich dem Landgericht folgen wollte, in dessen Urteil es zu diesem Punkt heißt: „da erfahrungsgemäß nicht mitverdienende Ehefrauen zwar der Schuld des Mannes beitreten, dieser jedoch im Innenverhältnis regelmäßig allein die Rückzahlung vornimmt und vorzunehmen hat”.

An diese tatrichterliche Feststellung ist der Senat gebunden. Der Hinweis der Revision auf die Gesamtschuldnerstellung der Beklagten betrifft demgegenüber lediglich das hier nicht interessierende Außenverhältnis. Der weitere Hinweis auf die Schenkung der Haushälfte ist unbeachtlich. In den Tatsacheninstanzen ist nichts dazu vorgetragen worden, daß der Erblasser und die Beklagte aus Anlaß des Schenkungsvertrages das bezüglich der Bausparkasse bestehende Innenverhältnis abgeändert hätten.

Hätte aber die Beklagte im Falle ihrer Inanspruchnahme wegen des Zwischenkredites im Innenverhältnis gegen den Erblasser einen Freistellungs- oder einen Ausgleichsanspruch gehabt, dann war diese Darlehensforderung in voller Höhe eine Nachlaßverbindlichkeit.

II.

Dem Berufungsgericht kann jedoch nicht darin gefolgt werden, daß der Klägerin nur hinsichtlich der Hälfte des Wertes des der Beklagten geschenkten Grundstücksanteils ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehe.

1. Das Berufungsgericht führt aus, unter Berücksichtigung der gesamten Umstände sei es zur Auffassung gelangt, daß die Zuwendung eines Miteigentumsanteiles von ¼ an die Beklagte trotz der mit der Einsetzung als Alleinerbin ihr schon zuteil gewordenen gewissen Altersversorgung einer sittlichen Pflicht und einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen habe. Die Motivation dafür könne nur darin gesehen werden, daß der Erblasser der Beklagten mit Rücksicht auf das im Zeitpunkt der Schenkung fast 18 Jahre währende Zusammenleben und in Anerkennung der in dieser Zeit erbrachten Versorgungs- und Pflegedienste seine Dankbarkeit habe bekunden und als Ersatz für die ihr entgangenen eigenen Möglichkeiten eine zusätzliche Alterssicherung habe verschaffen wollen, da sie lediglich eine geringe Witwenrente, aber Nachlaßschulden in erheblichem Umfange zu erwarten gehabt habe.

Bei der gemäß § 2330 BGB vorzunehmenden Abwägung könne nicht außer Betracht bleiben, daß der Erblasser gleichzeitig mit der Schenkung der Klägerin ein Vermächtnis von 35.000,– DM ausgesetzt habe. Er habe damit rechnen können, daß die Klägerin wegen des beruflichen Werdeganges ihres Ehemannes auch in Zukunft in gesicherten finanziellen Verhältnissen leben werde. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

2. Zunächst kann dem Berufungsurteil nicht gefolgt werden, soweit darin sittliche Pflicht und auf den Anstand zu nehmende Rücksicht Ununterschieden nebeneinandergestellt werden. Anstands Schenkungen sind nach einhelliger Ansicht z.B. kleinere Zuwendungen wie die üblichen Gelegenheitsgaben zu besonderen Tagen oder Anlässen oder wie das Trinkgeld; dafür spielt die örtliche oder gesellschaftliche Verkehrssitte eine große Rolle (BGH Urteil vom 19.9.1980 – V ZR 78/79 – LM BGB § 534 Nr. 2 = WM 1980, 1336; neben den dort gegebenen Nachweisen vgl. MK-Kolhosser Rdn. 5, Soergel/Mühl 11. Aufl. Rdn. 5, Erman/Seiler 7. Aufl. Rdn. 3, Palandt/Putzo 43. Aufl. Anm. 1 – sämtlich zu § 534 BGB). Da hier der Erblasser der Beklagten bei ihrer erbvertraglichen Einsetzung zur Alleinerbin als zusätzliche Alterssicherung zugleich die Hälfte des wesentlichen Teils seines Vermögens geschenkt hat, kann von einer Anstandsschenkung nicht die Rede sein.

3. Anerkannt ist allerdings, daß der große Wert einer Schenkung der Anwendung des § 2330 BGB nicht grundsätzlich entgegensteht, so daß selbst eine den Nachlaß im wesentlichen erschöpfende Schenkung einer sittlichen Pflicht entsprechen kann (Senatsurteil vom 27.5.1981 – IVa ZR 132/80 – LM ZPO § 282 Nr. 18 Bl. 2 R = WM 1981, 909, 910). Die Unterhalts Zahlung für nahe Verwandte wird sogar als klassisches Beispiel einer Pflichtschenkung angesehen (MK-Kolhosser § 534 Rdn. 4). Auch die Sicherung des Lebensunterhaltes für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann unter § 2330 BGB fallen (RG LZ 1923, 448, 449; Senatsurteil vom 10.11.1982 – IVa ZR 83/81 – LM BGB § 138 C d Nr. 22 = WM 1983, 19, 21: „moralische Pflicht”). Demgemäß ist der Ansatzpunkt des Berufungsgerichts gerechtfertigt, die Motivation der zusätzlichen Alterssicherung unter den Gesichtspunkt der sittlichen Pflicht zu fassen (Senatsurteil vom 11.11.1981 – IVa ZR 235/80 – LM BGB § 2330 Nr. 4 = WM 1982, 100). Gegebenenfalls kann auch die Zuwendung eines Grundstücks oder eines Nießbrauchs aus Dankbarkeit für unbezahlte langjährige Dienste im Haushalt oder für unentgeltliche Pflege und Versorgung einer sittlichen Pflicht entsprechen (BGH Urteile vom 2.11.1977 und vom 26.4.1978 – IV ZR 144/76 und 26/77 – WM 1977, 1410, 1411 und 1978, 905).

4. Bei der Wertung, die vorgenommen werden muß, wenn der Rechtsbegriff „sittliche Pflicht” auszufüllen ist, reicht nicht die Beantwortung der Frage aus, ob die Schenkung im Rahmen des sittlich noch zu Rechtfertigenden geblieben ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die Vornahme der in Rede stehenden Schenkung nach den festgestellten Umständen in einer solchen Weise sittlich geboten war, daß umgekehrt das Unterlassen der Schenkung dem Erblasser als Verletzung der für ihn bestehenden sittlichen Pflicht zur Last zu legen wäre. In dem bereits zitierten Senatsurteil vom 11. November 1981 ist die Anwendbarkeit des § 2330 BGB mit der Erwägung verneint worden, der Erblasser würde „seine sittlichen Pflichten nicht verletzt” haben, wenn er Wohnrecht und Rente, um die es in jenem Fall ging, nicht geschenkt haben würde (WM 1982, 100, 101). Auch für den Fall der Anstandsschenkung hat der Bundesgerichtshof in dem ebenfalls bereits erwähnten Urteil darauf hingewiesen, es komme darauf an, ob es „der Anstand gebot, gerade so und nicht anders zu handeln” (WM 1980, 1366, 1367; „Nicht ersichtlich, wieso derartige Aufwendungen die Schenkung geboten haben könnten”). In diesen Zusammenhang, ob bei einer auf den Einzelfall bezogenen Prüfung und Wertung der Erblasser hinsichtlich seiner Schenkung einem sittlichen Gebot unterlag, gehört auch die von der Revision aufgeworfene Frage, ob in einem Fall wie dem vorliegenden es nicht vielmehr einer sittlichen Pflicht entspricht, „den Pflichtteil der leiblichen Tochter nicht völlig auszuhöhlen”. Diese Frage zielt auf das Verhältnis zwischen der sittlichen Pflicht zur Alterssicherung und zur Dankbarkeit gegenüber der Ehefrau und langjährigen Lebensgefährtin einerseits und der zur Erhaltung einer Mindestbeteiligung an des Nachlaß gegenüber dem einzigen leiblichen Kind andererseits. In der Tat besteht – wie schon der Begriff „Pflichtteil” ausweist – trotz der grundsätzlichen Testierfreiheit auch dem pflichtteilsberechtigten Kind gegenüber eine sittliche Pflicht, den Pflichtteil nicht durch rechtlich noch im Rahmen des Zulässigen bleibende Maßnahmen zu entwerten; das Pflichtteilsrecht verdient entschiedenen Schutz (vgl. zuletzt Senatsurteil BGHZ 88, 102). Deshalb muß der Richter unter solchen Umständen eine auf die jeweiligen Besonderheiten des Falles bezogene Abwägung vornehmen, um entscheiden zu können, in welchem Ausmaß die Alterssicherung und die Dankbarkeit gegenüber dem Lebensgefährten es unabweisbar erscheinen lassen, die gesetzlich vorgeschriebene Mindestbeteiligung des Kindes einzuschränken. Maßgeblich ist dabei die Sichtweise, die der Erblasser im Zeitpunkt der Schenkung bei einer vorausschauenden Betrachtung haben mußte, welche sämtliche Umstände in Erwägung zieht, die seiner Kenntnisnahme auch nur möglicherweise zugänglich waren.

5. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen seine Wertung, zur Hälfte ihres Wertes habe die Schenkung des Erblassers einer sittlichen Pflicht entsprochen, vor dem Hintergrund dieser Anforderungen jedoch nicht.

a) Zur Notwendigkeit einer zusätzlichen Alterssicherung hat das Berufungsgericht berücksichtigt, daß die im Zeitpunkt der Schenkung 52 Jahre alte Beklagte damals lediglich eine Witwenrente von zunächst ca. 1.150,– DM monatlich mit in der Folgezeit nur geringfügigen Erhöhungen (im Jahr 1982: 1.530,– DM) und aus ihrer eigenen vorzeitig unterbrochenen Berufstätigkeit erst ab Erwerbsunfähigkeit eine noch erheblich niedrigere Rente zu erwarten hatte; bei derart beengten finanziellen Verhältnissen habe ein berechtigtes Bedürfnis für eine zusätzliche Zuwendung bestanden.

In diesem Zusammenhang fehlen sowohl Feststellungen zur Höhe des Betrages, den die Beklagte aus damaliger Sicht zum Lebensunterhalt brauchte, als auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob und ggf. in welchem Umfang die von den Pflichten der Versorgung und Pflege des Erblassers und von der Mitarbeit in der Praxis freigestellte Beklagte bis zur Erlangung ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente wieder erwerbstätig sein konnte, oder ob ihr das nicht zuzumuten war. Vor allem ist nicht ersichtlich, in welcher Weise durch die Zuwendung des Miteigentumsanteils eine zusätzliche Alterssicherung geschaffen werden konnte und sollte. In Anbetracht der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zu den erheblichen Lasten, die der Hauseigentümer wegen der Renovierangsbedürftigkeit und der kostspieligen Unterhaltung des Hauses tragen mußte, und im Hinblick auf die nicht unbeträchtlichen, bei Krankheit und Berufsunfähigkeit des im Zeitpunkt der Schenkung über 78 Jahre alten Erblassers weiter anwachsenden Nachlaßschulden war unwahrscheinlich, daß das Haus lediglich als mietfreie, evtl. sogar noch Fremdmiete erbringende Wohnung gedacht war. Vielmehr lag ein Verkauf zur Realisierung der Vermögenswerte nahe. Die möglichen Vorstellungen des Erblassers zu der Höhe des Erlöses im Verhältnis zu das Schuldens den und damit zu dem seiner Witwe je nach dem Umfang von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen verbleibenden Wert sind im Berufungsurteil nicht dargelegt. Daß es aus der damaligen Sicht des Erblassers sittlich geboten, nämlich im Verhältnis zum Pflichtteilsrecht der Klägerin unabweisbar war, der Beklagten als zusätzliche Alterssicherung und aus Dankbarkeitsgründen über die ihr als Alleinerbin zugeflossenen Werte hinaus weitere ca. 20.000,– DM (etwa diese Höhe erreicht nach dem späteren, im Tatbestand dargestellten Gang der Ereignisse der Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerin) oder mehr zukommen zu lassen, kann deshalb nicht bejaht werden.

b) Das Berufungsgericht hat lediglich „in Betracht gezogen”, daß Nachlaßschulden in erheblichem Umfang zu erwarten und mit Verkaufsschwierigkeiten zu rechnen war, jedoch ohne die hier erforderliche vorausschauende, konkrete Bewertung vorzunehmen. Im Zusammenhang damit, daß es u.a. wegen der Nachlaßschulden die Schenkung als durch § 2330 BGB geschützt ansieht, hat es auch auf die zu befriedigende Vermächtnis- oder Pflichtteilsforderung der Klägerin hingewiesen. Wenn dieser Hinweis dahin zu verstehen sein sollte, der Erblasser habe einer sittlichen Verpflichtung, die Erbin zur Begleichung des Pflichtteils in den Stand zu setzen, nur durch eine Schenkung nachkommen können, die ihrerseits zwangsläufig diesen Pflichtteil verminderte und zu diesem Zweck sogar gedacht war, dann wäre damit der Rechtsbegriff „sittliche Pflicht” verkannt.

III.

Einer Zurückverweisung bedarf es nicht, weil der Senat in der Sache selbst entscheiden kann (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Vortrag der Beklagten, den das Berufungsgericht dargestellt oder auf den es in seinem gesamten Umfang jedenfalls Bezug genommen hat, ergibt nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, die für eine ihr günstige Wertung nach den Darlegungen unter II 4 und 5 unerläßlich sind. Da das Landgericht die Anwendung der Schutzvorschrift des § 2330 BGB mangels Vorliegens der Voraussetzungen abgelehnt hatte, bestand für die Beklagte als Berufungsklägerin besonderer Anlaß zu umfassendem Vortrag in dieser Hinsicht. Sie hat ohnehin insoweit die Behauptungs- und Beweislast (RGRK/Johannsen 12. Aufl. § 2330 Rdn. 3 m.w.N.).

Der erstinstanzliche Vortrag der Beklagten zu dieser Frage in ihren Schriftsätzen vom 25. November 1977 und vom 19. April 1978 befaßt sich nicht mit konkreten Einzelheiten. Die Berufungsbegründung enthält dazu über die vom Berufungsurteil gewürdigten Punkte und die Behauptung, sie seien dem Erblasser bewußt gewesen, hinaus nur die weitere Erwägung, daß die Klägerin und ihre Familie den Erblasser systematisch gemieden hätten. Das ist unergiebig für die Frage, ob und in welcher Weise die Schenkung zur zusätzlichen Alterssicherung erforderlich war; es kann allenfalls bei der Abwägung eine Rolle spielen. Auch der weitere Schriftsatz der Beklagten in der Berufungsinstanz vom 30. März 1981, in des anders als im sonstigen Vorbringen § 2330 BGB ausführlich behandelt wird, läßt die nach den Darlegungen unter II 4 und 5 erforderlichen konkreten Einzelheiten vermissen. Daß das Einkommen des Erblassers ab 1958 nicht mehr ausreichte, um Vorsorge für das Alter der Beklagten zu treffen, ist angesichts der Höhe der Witwenrente berücksichtigt. Die Beklagte selbst hat bei ihren Parteivernehmungen in erster und in zweiter Instanz und bei ihren Anhörungen über die vom Berufungsgericht berücksichtigten Umstände hinaus lediglich darauf hingewiesen, daß die Krankheit des Erblassers ein Vermögen gekostet habe und er in seinen letzten beiden Lebensjahren nicht mehr praktiziert habe. Auch diese Umstände sind mit der Feststellung berücksichtigt, daß eine nur geringe Witwenrente zu erwarten war.

Demgemäß hat die Beklagte nicht genügend dafür dargetan, daß bei vorausschauender Betrachtungsweise Ende 1975 für ihre Alterssicherung neben den ihr als Alleinerbin zugeflossen an Werten weiter auch der Betrag erforderlich war, den die Mindestbeteiligung der Klägerin als des einzigen pflichtteilsberechtigten Kindes an einem Viertel des Grundstückswertes oder gar an dessen Hälfte ausmachte.

Weil nach alledem der Nachlaßbestand und damit die Pflichtteilsforderung vom Berufungsgericht richtig errechnet worden ist, die Schenkung des Erblassers vom 1. Oktober 1975 aber in vollem Umfang der Pflichtteilsergänzung unterliegt, war der Verurteilungsbetrag des Berufungsurteils unter Zurückweisung der Revision im übrigen um 19.770,– DM nebst Zinsen zu erhöhen.

 

Unterschriften

Rottmüller, Dehner, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Zopfs, Groß

 

Fundstellen

Haufe-Index 1102036

NJW 1984, 2939

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