Leitsätze (amtlich)

  1. Wurde die für einen im Jahr 1996 abgeschlossenen Kaufvertrag erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erst im Jahr 1997 erteilt, so unterliegt der Kaufvertrag dem erhöhten Grunderwerbsteuersatz von 3,5 %, weil bis zur wirksamen Erteilung der Genehmigung der Erwerbsvorgang i.S. von § 23 GrEStG 1983 noch nicht verwirklicht worden ist (Bestätigung des BFH-Urteils vom 18.5.1999, IIR 16/98, BStBl II1999, S. 606 = INF 1999, S. 605).
  2. Ein Erwerbsvorgang, der der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, ist auch dann nicht vor deren Erteilung verwirklicht, wenn die Vertragsbeteiligten den beurkundenden Notar beauftragen und ermächtigen, die Genehmigung für den Vormund (gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen) entgegenzunehmen und den anderen Vertragsbeteiligten mitzuteilen sowie zugleich diese Mitteilung für die anderen Vertragsbeteiligten zu empfangen (sog. Doppelermächtigung).
 

Sachverhalt

M (Vater) und seine (damals) minderjährige Tochter waren Miteigentümer je zur Hälfte eines Grundstücks. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 18.11.1996 verkauften sie das Grundstück an den Kläger und dessen Ehefrau je zur Hälfte. Beim Abschluss des Kaufvertrags wurde die Minderjährige durch ihren Vater als alleinigen gesetzlichen Vertreter vertreten. Der Abschluss des Vertrags erfolgte vorbehaltlich der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. In der notariellen Urkunde beantragten die Vertragsbeteiligten die Erteilung der Genehmigung und ermächtigten den Notar, sie einzuholen und entgegenzunehmen. Eine uneingeschränkte Genehmigung sollte dem Notar unmittelbar zugestellt werden. Der Notar wurde darüber hinaus ermächtigt, die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung ohne nochmalige Anhörung des Vaters für diesen den übrigen Vertragsbeteiligten mitzuteilen. Die übrigen Vertragsbeteiligten bevollmächtigten ihrerseits den Notar, die Mitteilung über die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für sie in Empfang zu nehmen. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung wurde am 15.1.1997 erteilt. Das Finanzamt setzte gegen den Kläger GrESt unter Zugrundelegung eines Steuersatzes von 3,5 % fest. Die Klage, mit der der Kläger die Anwendung eines Steuersatzes von 2 % begehrte, hatte Erfolg[1]. Die Revision des Finanzamts führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Verwirklichung eines Erwerbsvorgangs setzt stets rechtsgeschäftlich wirksame Willenserklärungen der Vertragschließenden voraus, durch die eine Bindung der Beteiligten an das vorgenommene Rechtsgeschäft eingetreten ist. Die Parteien eines genehmigungsbedürftigen oder bedingten Rechtsgeschäfts sind im Regelfall durch den (vorausgesetzt wirksamen) Vertragsabschluss gebunden und können die Vertragsbeziehungen nicht mehr einseitig lösen, vielmehr sind sie im Hinblick auf den aufschiebend bedingten Rechtserwerb (Anwartschaftsrecht) zur gegenseitigen Treuepflicht und zur Beachtung der Schutzvorschriften der §§ 160 f. BGB verpflichtet. Erzeugt jedoch das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft während der Schwebezeit keine derartige Bindung, so ist der Erwerbsvorgang noch nicht verwirklicht. Das ist der Fall, wenn ein Erwerbsvorgang der nachlaßgerichtlichen Genehmigung bedarf[2]. Entsprechendes gilt für die im Streitfall zu beurteilende vormundschaftsgerichtliche Genehmigung. Bis zur Erteilung dieser Genehmigung erzeugte die im Namen der Minderjährigen abgegebene Willenserklärung des gesetzlichen Vertreters noch keine Rechtsbindungen in Bezug auf das vorgenommene Rechtsgeschäft[3]. Bis zur Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung konnte sich die als Miteigentümerin mitveräußernde Minderjährige von dem Vertragsverhältnis einseitig wieder lösen. Diese Möglichkeit bestand auch für den als Miteigentümer mitveräußernden Vater selbst; denn die Verfügung über den gemeinschaftlichen Gegenstand ist schwebend unwirksam, wenn die Mitwirkung eines Teils (schwebend) unwirksam ist[4]. Die zur Verwirklichung des Erwerbsvorgangs erforderliche Bindung aller Vertragsbeteiligten entstand daher im Streitfall nicht bereits durch den notariell beurkundeten Abschluss des Grundstückskaufvertrags am 18.11.1996.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der sog. Doppelermächtigung des Notars in der Weise, dass dieser vom Vater der Verkäuferin als deren gesetzlicher Vertreter zur Einholung und zur Entgegennahme der Genehmigung nach § 1828 BGB und zum Gebrauchmachen der Genehmigung durch Mitteilung an die Verkäufer gemäß § 1829 Abs. 1 Satz 2 BGB bevollmächtigt und ihm von den Käufern gestattet worden ist, die Mitteilung für sie entgegenzunehmen. Denn die Bevollmächtigung des Notars, den Käufern die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts mitzuteilen, war jederzeit widerruflich und ließ dem Vater als dem gesetzlichen Vertreter weiterhin die volle Entscheidungsfreiheit darüber, ob er den Vertrag wirksam werden lassen wollte[5]. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass zivilrechtlich die Rechtsfolgen der vormun...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt WohnungsWirtschafts Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen