Leitsätze (amtlich)

  1. Das Wahlrecht zur Gewinnübertragung nach § 6c EStG kann bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden; seine Ausübung ist daher auch nach Ergehen eines Urteils in der Tatsacheninstanz bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zulässig.
  2. Verfahrensrechtlich lässt sich dieses Wahlrecht mittels § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 in entsprechender Anwendung durchsetzen.
 

Sachverhalt

Die Klägerin führt einen von ihr ihrem Ehegatten verpachteten landwirtschaftlichen Betrieb. 1985 und 1987 erzielte sie Gewinne aus der Veräußerung mehrerer zu diesem Betrieb gehörender Grundstücke, die das Finanzamt als landwirtschaftliche Gewinne den ESt-Änderungsbescheiden für die Streitjahre 1984 bis 1986 zugrunde legte. Mit Einspruch und Klage wandte sich die Klägerin gegen die Besteuerung der Veräußerungsgewinne und rügte außer der Zuordnung der veräußerten Grundstücke zum Betriebsvermögen auch, dass die mögliche steuerliche Vergünstigung des § 6c EStG außer Ansatz geblieben sei. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG-Urteil vom 11.3.1996 wurde der Klägerin am 4.4.1996 zugestellt. Am 12.4.1996 übte die Klägerin schriftsätzlich nunmehr ihr Wahlrecht auf Anwendung des § 6c EStG aus. Das Finanzamt lehnte dies ab. Der dagegen erhobenen Verpflichtungsklage gab das FG durch Zwischenurteil statt. Die Revision blieb erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Das auf Gewinnübertragung gerichtete Wahlrecht nach § 6c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6b Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 EStG ist nicht befristet und wird im Allgemeinen in der Gewinnermittlung des Veräußerungsjahrs durch Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Reinvestitionsguts oder Bildung einer Rücklage ausgeübt, die bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG als Betriebsausgabe abzuziehen ist. Da die Klägerin meinte, die veräußerten Flächen seien nicht Betriebsvermögen ihres Betriebs gewesen, und diese Frage Gegenstand des früheren Rechtsstreits gewesen ist, konnte sie das Wahlrecht auf Gewinnübertragung erst zu einem Zeitpunkt ausüben, in dem sie Gewissheit über die Betriebsvermögenseigenschaft erlangt hatte, ohne sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Vorbringen zu setzen. Diese Gewissheit war für die Klägerin erst mit der Zustellung des früheren FG-Urteils am 4.4.1996 gegeben. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin das Wahlrecht nach außen erkennbar nur durch Erklärung gegenüber dem Finanzamt abgeben. Dies ist im Streitfall rechtzeitig geschehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können unbefristete Wahlrechte (nur) bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden, sind andererseits aber auch erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des entsprechenden Bescheids verbraucht[1]. Unanfechtbar ist eine Steuerfestsetzung, wenn sie nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden kann. Für den Streitfall folgt hieraus, dass das Wahlrecht auf Gewinnübertragung rechtzeitig - noch innerhalb der gegen das frühere FG-Urteil laufenden Rechtsmittelfrist - ausgeübt wurde. Im Streitfall bedurfte es des Rückgriffs auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Denn mit der Ausübung des Wahlrechts allein konnte die Klägerin den Eintritt der Bestandskraft mit Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht verhindern, zumal sie auch auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hatte. Allerdings scheidet eine unmittelbare Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aus. Gleichwohl ist der materiell zulässigen Ausübung des Wahlrechts auch formell Geltung zu verschaffen. Der Senat pflichtet dem FG darin bei, dass mangels einer entsprechenden Vorschrift zur Regelung dieses Sachverhalts der der Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zugrunde liegende Rechtsgedanke einer Durchbrechung der Bestandskraft durch ein rückwirkendes Ereignis mit steuerlicher Wirkung heranzuziehen ist. Die entsprechende Anwendung dieser Norm gewährleistet, dass die Gestaltungswirkung des von der Klägerin ausgeübten Wahlrechts auch nach Eintritt der Bestandskraft erhalten bleibt. Dies entspricht nicht zuletzt dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Grundsatz einer rechtschutzgewährenden Anwendung und Auslegung von Verfahrensvorschriften.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 30.8.2001 – IV R 30/99

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