Leitsatz

  1. Der BFH kann mit Einverständnis der originär Beteiligten auch dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn das dem Verfahren beigetretene BMF auf eine solche nicht verzichtet hat.
  2. Der erkennende Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung des BFH, wonach Aufwendungen nach § 33 EStG nur abzugsfähig sind, wenn die medizinische Indikation der ihnen zugrunde liegenden Behandlung durch ein amtsärztliches oder vertrauensärztliches Gutachten oder ein Attest eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers nachgewiesen ist, nicht länger fest (Änderung der Rechtsprechung).
  3. Die erforderlichen Feststellungen und Würdigungen sind vielmehr vom FG nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu treffen. Dabei wird es mangels medizinischer Sachkunde seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung regelmäßig durch die Erhebung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens gerecht.
  4. Von den Beteiligten vorgelegte Sachverständigengutachten sind im finanzgerichtlichen Verfahren als Privatgutachten zu behandeln und damit lediglich als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen.
  5. Der Verzicht auf die Inanspruchnahme von staatlichen Transferleistungen steht dem Abzug von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG nicht entgegen.
 

Sachverhalt

Mediziner diagnostizierten bei S eine schwere Lese- und Rechtschreibschwäche. Dessen Eltern folgten der Empfehlung, S einer spezialisierten Schule samt Internat anzuvertrauen. Infolgedessen machten sie 19.944 EUR nach § 33 Abs. 1 EStG als Kosten für Schule, Unterkunft, Verpflegung, Betreuung und Therapie geltend. Finanzamt und FG widersprachen dem. Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zurück.

 

Entscheidung

Es lässt sich kein Generalverdacht begründen, dass Ärzte Gefälligkeitsgutachten erstellen. Ohnehin wäre ein vom Kläger vorgelegtes Sachverständigengutachten im FG-Verfahren nur als Privatgutachten zu behandeln. Nicht nur der Amtsarzt oder Medizinische Dienst einer öffentlichen Krankenversicherung, sondern jeder Mediziner kann die erforderliche Sachkunde und Objektivität besitzen, um medizinische Indikationen sachverständig beurteilen zu können.

Gutachten müssen nicht vor Beginn einer medizinischen Behandlung eingeholt werden. Der Steuerpflichtige muss die Entstehung außergewöhnlicher Belastungen nachweisen, er trägt das Risiko, dass ein gerichtlich bestellter Sachverständiger im Nachhinein die medizinische Indikation einer Behandlung nicht mehr verlässlich feststellen kann. Dem kann er begegnen, indem er vor Beginn der Behandlung auf eigene Initiative ein amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis einholt oder im selbstständigen Beweisverfahren die medizinische Indikation der Behandlung feststellen lässt.

Das FG hat im zweiten Rechtsgang zu prüfen, ob die Legasthenie Krankheitswert hat. Falls ja, sind auch die Kosten der Internatsunterbringung zu berücksichtigen, § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG steht dem nicht entgegen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, 11.11.2010, VI R 17/09.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt WohnungsWirtschafts Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen