Leitsatz (amtlich)

Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung begegnet die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke von zwei auf zehn Jahre durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln, weil der Gesetzgeber Anschaffungsvorgänge in die Regelung einbezogen hat, für die die "Spekulationsfrist" des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG in der vor dem 1. Januar 1999 geltenden Fassung bereits abgelaufen war.

 

Sachverhalt

Der Antragsteller hatte am 29.8.1990 ein Grundstück erworben, das er durch notariell beurkundeten Vertrag vom 22.4.1999 veräußerte, nachdem er im Oktober 1997 einen Makler mit dem Verkauf beauftragt hatte. Das Finanzamt sah hierin ein privates Veräußerungsgeschäft i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG n.F. und unterwarf den nach § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG ermittelten Veräußerungsgewinn der Einkommensteuer. Hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein; gleichzeitig beantragte er Aussetzung der Vollziehung. Finanzamt und FG[1] lehnten dies ab. Die Beschwerde des Antragstellers beim BFH hatte Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Neuregelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG n.F. im Streitfall eine verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässige sog. "echte Rückwirkung" oder lediglich eine regelmäßig verfassungsrechtlich zulässige "unechte Rückwirkung" i.S. der Rechtsprechung des BVerfG[2] entfaltet, da schon bei Annahme einer unechten Rückwirkung schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel bestehen. In den Anwendungsbereich der Neuregelung fallen auch Anschaffungsvorgänge über Grundstücke, für die die "Spekulationsfrist" des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG in der vor dem 1.1.1999 geltenden Fassung bereits vor dem 1.1.1999 abgelaufen war; die streitige Norm gilt mithin auch für Grundstücke, die nach Ablauf der zweijährigen "Spekulationsfrist" bei Erlass der Neuregelung bereits aus dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a.F. und damit aus der "Steuerverstrickung" ausgeschieden waren. Ist es dem Gesetzgeber dem Grunde nach verwehrt, das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf einmal geschaffene Dispositionsgrundlagen durch rückwirkende Streichung von begünstigenden Subventionsnormen zu enttäuschen[3], muss es ihm erst recht von Verfassungs wegen verwehrt sein, ein vergleichbares Vertrauen durch Ausweitung einer Eingriffsnorm zu enttäuschen.

Das Vertrauen des Antragstellers auf die im Zeitpunkt der Anschaffung des Grundstücks bestehende Rechtslage ist nach Ansicht des Senats von Verfassungs wegen schutzwürdig. Der Antragsteller hat beim Aufbau und bei der Strukturierung seines Privatvermögens mit Rücksicht auf die bis 31.12.1998 geltende Gesetzeslage investiert und wirtschaftliche Dispositionen von erheblichem finanziellen Gewicht getätigt. Hierbei hat er sowohl bei Anschaffung des Grundstücks als auch im Zeitpunkt der "Steuerentstrickung" wie auch bei der späteren Erteilung des Maklerauftrages über dessen Veräußerung im Oktober 1997 auf die seit dem EStG 1925 unveränderte, zu diesem Zeitpunkt gültige und ihm bekannte zweijährige Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a.F. vertraut. Das Vertrauen des Antragstellers war zu diesem Zeitpunkt auch nicht durch die Kenntnis von Umständen erschüttert worden, die auf eine Verlängerung der Spekulationsfrist durch den Gesetzgeber hindeuteten; denn die Bundesregierung hat noch 1996 ausdrücklich betont, an der zweijährigen Frist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a.F. festhalten zu wollen[4]. Deshalb war der Gesetzgeber gehalten, bei der Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke jedenfalls diejenigen Fälle in eine schonende, dem schützenswerten Vertrauen des Steuerpflichtigen hinreichend Rechnung tragende Übergangsregelung einzubetten, in denen - wie im Streitfall - die "Spekulationsfrist" des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a.F. bereits vor dem 1.1.1999 abgelaufen war.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Beschluss vom 5.3.2001 - IX B 90/00

[2] Vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 3.12.1997,2 BvR 882/97, BVerfGE 97, S. 67, 78f. = INF 1998, S. 285
[3] Vgl. ebenda
[4] Vgl. BT-Drs. 13/3446, S. 12f.

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