Leitsatz

  1. Ist eine Steuer "im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren" vorläufig festgesetzt, so bezieht sich der Vorläufigkeitsvermerk nur auf solche Verfahren, die bereits im Zeitpunkt der Festsetzung beim EuGH, beim BVerfG, beim BFH oder bei einem anderen obersten Bundesgericht anhängig sind.
  2. Die Vorläufigkeit eines Einkommensteuerbescheids "hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)" erstreckt sich, soweit sie im Hinblick auf die gegen den BFH-Beschluss vom 21.12.2000, XI B 75/99 (BFH/NV 2001, S. 773) erhobene Verfassungsbeschwerde 2 BvR 587/01 verfügt worden ist, nur auf die Frage, ob auch bei zusammenveranlagten Ehegatten eine individuelle Kürzung des Vorwegabzugs dergestalt möglich ist, dass jedenfalls demjenigen Ehegatten, der nicht durch vorwegabzugsschädliche Arbeitgeberleistungen begünstigt worden ist, ein eigener Vorwegabzug von 3068 EUR verbleibt.
 

Sachverhalt

Ehegatten bezogen im Streitjahr 2001 jeweils Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Arbeitslohn des als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH tätigen Ehemanns unterlag – anders als der Arbeitslohn der Ehefrau – nicht der Sozialversicherungspflicht; die GmbH hatte für den Ehemann auch keine steuerfreien Zukunftssicherungsleistungen erbracht. In ihrer Einkommensteuererklärung 2001 machten die Eheleute Vorsorgeaufwendungen von insgesamt 23238 DM geltend, die das Finanzamt nach § 10 Abs. 3 EStG a.F. nur in Höhe von 7830 DM als Sonderausgaben berücksichtigte. Der Einkommensteuerbescheid 2001 vom 11.7.2002 wurde in seinem Festsetzungsteil als "nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig" gekennzeichnet. Laut anschließender Erläuterungen wurde der Vorwegabzug für die Vorsorgeaufwendungen gekürzt, "weil nicht der gesamte Arbeitslohn beider Ehegatten die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG erfüllt" habe. In einer weiteren Erläuterung heißt es, der Bescheid sei "im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)".

Im September 2002 beantragten die Eheleute beim Finanzamt ohne Erfolg, den Einkommensteuerbescheid 2001 nach § 165 Abs. 2 AO zu ändern und bei der Kürzung des Vorwegabzugs den Arbeitslohn des Ehemanns außer Ansatz zu lassen. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Zwar ist die Berechnung des gemeinsamen Vorwegabzugs im Einkommensteuerbescheid 2001 materiell unrichtig[1]. Jedoch kann dieser Bescheid mangels Eingreifens des § 165 Abs. 2 Satz 2 AO jedenfalls derzeit (noch) nicht geändert werden. Der hier zu beurteilende Vorläufigkeitsvermerk erging hinsichtlich der "beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)". Die vorläufige Steuerfestsetzung umfasst daher u.a. auch die Frage, inwieweit die vollumfängliche Kürzung des gemeinsamen Vorwegabzugs bei Ehegatten nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG a.F. mit dem GG vereinbar war. Eine diese Frage betreffende Verfassungsbeschwerde ist seit dem 2.4.2001 beim BVerfG anhängig; über sie ist bislang nicht entschieden worden.

Der dem Einkommensteuerbescheid 2001 beigefügte Vorläufigkeitsvermerk umfasste hingegen nicht die hier entscheidungserhebliche Frage nach der Ermittlung der Bemessungsgrundlage in Fällen, in denen nur ein Ehegatte durch vorwegabzugsschädliche Arbeitgeberleistungen begünstigt worden ist[2].

Im Übrigen ist das erste, die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffende Verfahren mit dem Az. XI B 226/02 erst im Dezember 2002 beim BFH anhängig geworden, also zu einem Zeitpunkt, als der Einkommensteuerbescheid 2001 gegen die Eheleute bereits erlassen worden war. Der strittige Vorläufigkeitsvermerk im Einkommensteuerbescheid 2001 ist jedoch unter Hinweis auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO ausdrücklich nur "im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden und andere gerichtliche Verfahren" ergangen.

 

Praxishinweis

In dem beim BVerfG anhängigen Verfahren 2 BvR 587/01 geht es darum, ob Ehegatten für die Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG 2001 wie ein Steuerpflichtiger zu behandeln sind und der von einem oder beiden Ehegatten bezogene Arbeitslohn also gleichsam "in einen Topf zu werfen ist" oder ob – entsprechend der Behandlung nicht Verheirateter – eine getrennte Beurteilung geboten ist. Nur auf dieses Problem bezog sich – wie das Besprechungsurteil m.E. überzeugend darlegt – der hier streitige Vorläufigkeitsvermerk.

Davon zu unterscheiden ist die weitere im Streitfall relevante Frage, ob bei der Kürzung des Vorwegabzugs auch der Arbeitslohn einzubeziehen ist, den der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH von dieser bezieht. Letzteres hat der BFH[3] entgegen der hier vom Finanzamt geübten Praxis inzwischen zutreffend verneint. Da sich der Vorläufigkeitsvermerk indessen nicht auf diese Frage bezogen hat und...

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