Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob es mit Art. 49 und 50 EGV vereinbar ist, dass die Regelungen in § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG auch auf Vergütungen für künstlerische Darbietungen angewendet werden, die ein im Inland ansässiger Vergütungsschuldner an einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats oder an eine diesem gemäß Art. 48 i.V.m. Art. 55 EGV gleichgestellte Gesellschaft zu zahlen hat.

 

Sachverhalt

Der in Deutschland ansässige Konzertveranstalter V führte im Inland Konzerte mit Künstlergruppen durch, deren Mitglieder in den USA ansässig waren und deren Leistungen ihm von der Kapitalgesellschaft G mit Sitz und Geschäftsleitung in Österreich zur Verfügung gestellt wurden. G erhielt dafür Vergütungen, die V ohne Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG auszahlte. Auch Steueranmeldungen über einen Steuerabzug von den an G gezahlten Vergütungen gab V zunächst nicht ab, da beides nach den Erklärungen nicht erforderlich sei. Nach Ablehnung der Anträge von G auf Erteilung von Freistellungsbescheinigungen nach § 50d EStG durch das Bundesamt für Finanzen forderte das Finanzamt V auf, die Steueranmeldungen nachzuholen und die angemeldeten Steuern zu zahlen. V gab darauf Steueranmeldungen gemäß § 73e EStDV ab und zahlte die angemeldeten Abzugsteuern; zugleich legte er – bislang noch nicht beschiedene – Einsprüche gegen die Steueranmeldungen ein und beantragte die Aufhebung ihrer Vollziehung, die Finanzamt und -gericht jedoch ablehnten. Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldungen antragsgemäß aufgehoben, weil er deren Rechtmäßigkeit für ernstlich zweifelhaft hält. Insbesondere ist gegenwärtig nicht sicher zu beurteilen, ob es mit Art. 49 und 50 EGV vereinbar ist, dass die Regelungen in § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG auch auf Vergütungen für künstlerische Darbietungen angewendet werden, die ein im Inland ansässiger Vergütungsschuldner an einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats oder an eine diesem gemäß Art. 48 i.V.m. Art. 55 EG gleichgestellte Gesellschaft zu zahlen hat. Denn der BFH[1] hat dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung des EGV vorgelegt, die die Vereinbarkeit des Steuerabzugsverfahrens gemäß § 50a Abs. 4 und 5, § 50d Abs. 1 EStG mit Art. 59 und 60 EGV (jetzt: Art. 49 und 50 EGV) betreffen. Danach bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit des § 50a Abs. 4 und 5 und des § 50d Abs. 1 EStG mit dem EGV, soweit die Regelungen auch auf Vergütungen für grenzüberschreitende Dienstleistungen innerhalb der EU angewendet werden. Aufgrund der zu erwartenden Klärung der vorgelegten Rechtsfragen durch den EuGH kann sich ergeben, dass die angefochtenen Steueranmeldungen gegen den EGV verstoßen und damit rechtswidrig sind.

Von einer erneuten Vorlage an den EuGH im Rahmen des Aussetzungsverfahrens hat der BFH im Hinblick auf den genannten Vorlagebeschluss und die Tatsache abgesehen, dass die beantragte Aufhebung der Vollziehung auch ohne eine weitere Vorlage an den EuGH geboten ist.

 

Praxishinweis

Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung zur Aussetzung der Vollziehung von Bescheiden bei verfassungsrechtlichen Zweifeln, die ebenfalls – trotz der ausschließlich beim BVerfG liegenden Normverwerfungskompetenz – durch die Finanzgerichte oder den BFH möglich ist. Ob dies stets neben erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gültigkeit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm auch eine Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung voraussetzt[2], hat der BFH in jüngeren Entscheidungen in Frage gestellt[3].

 

Link zur Entscheidung

BFH-Beschluss vom 16.6.2004, I B 44/04

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