Leitsätze (amtlich)

  1. Für die Verpflichtung, Pensionären und aktiven Mitarbeitern während der Zeit ihres Ruhestandes in Krankheits-, Geburtsund Todesfällen Beihilfen zu gewähren, ist eine Rückstellung zu bilden.
  2. Der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte hindert nicht den Ausweis einer Verbindlichkeit, die erst nach Beendigung des Schwebezustands zu erfüllen sein wird ("Verpflichtungsüberhang").
 

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt als Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Kreditinstitut. Sie gewährt Pensionären in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen eine Beihilfe auf der Grundlage einschlägiger Besoldungsgesetze i.V.m. Beihilfevorschriften des BAT und von Einzelverträgen. Berechtigt sind einerseits Versorgungsempfänger, andererseits aktive Beamte und versorgungsberechtigte anderweitige Arbeitnehmer für die Zeit nach Eintritt in den Ruhestand. Für diese Verpflichtung begehrt die Klägerin die Berücksichtigung von Rückstellungen in den Bilanzen der Streitjahre 1990, 1991 und 1992. Dem ist das Finanzamt entgegengetreten. Das FG gab der Klage statt[1]. Die Revision blieb erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Für dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeiten ist nach den GoB eine Rückstellung zu bilden, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstanden sind und der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen wird und wenn sie ihre wirtschaftliche Verursachung im Zeitraum vor dem Bilanzstichtag finden.

Das FG hat mit Recht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der Klägerin bejaht. Diese wird in der Rechtsprechung mit der Formel umschrieben, dass mehr Gründe für als gegen das Entstehen der in Rede stehenden Verbindlichkeit und die künftige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen sprechen[2]. Dabei ist grundsätzlich auf das einzelne Rechtsverhältnis abzustellen. Im Streitfall ist bereits aus der dem einzelnen Berechtigten gegenüber bestehenden Beihilfeverpflichtung eine Inanspruchnahme hinreichend wahrscheinlich. Denn es entspricht der Lebenserfahrung, dass beihilfeberechtigte Pensionäre im Laufe ihres Ruhestandes zugesagte Beihilfeleistungen tatsächlich in Anspruch nehmen. Jedenfalls ergibt sich die erforderliche Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme im Wege einer pauschalen Beurteilung der Risiken aufgrund aller bestehenden Beihilfeverpflichtungen. Ist wie im Streitfall über die Bilanzierung einer Mehrzahl gleicher oder gleichartiger Wirtschaftsgüter oder Schulden zu befinden, ist es mit dem Ziel eines zutreffenden Vermögensausweises zulässig, die Gesamtheit dieser Wirtschaftsgüter oder Schulden zugrunde zu legen[3].

Die Verpflichtung der Klägerin zur Beihilfegewährung ist auch wirtschaftlich vor den jeweiligen Bilanzstichtagen der Streitjahre verursacht worden. Die Verursachung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt[4]. Im Streitfall ist der Anspruch der jeweiligen Begünstigten auf Beihilfe im Einzelfall zwar abhängig von der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen (Krankheits-, Geburts- oder Todesfall). Dennoch findet die dahingehende Verpflichtung, Beihilfe zu leisten, ihren wesentlichen wirtschaftlichen Bezugspunkt bereits im (erfüllten) Arbeitsverhältnis. Es bildet die wirtschaftliche Grundlage für die Ansprüche der Beschäftigten auf Beihilfeleistungen nach Eintritt in den Ruhestand. Der Eintritt des Beihilfefalles selbst bedeutet demgegenüber lediglich die Umsetzung der bestehenden Beihilfeverpflichtung in eine Zahllast.

Für die Verpflichtung der Klägerin, unter den gegebenen Voraussetzungen Beihilfen zu leisten, besteht handelsrechtlich auch kein Passivierungswahlrecht, das in den Steuerbilanzen zu einem Passivierungsverbot führen würde.

Schließlich stehen der Bildung von Rückstellungen für die Verpflichtung der Klägerin zur Beihilfegewährung an Pensionäre nicht die Grundsätze der Bilanzierung schwebender Geschäfte entgegen. Ansprüche und Verbindlichkeiten aus fortbestehenden schwebenden Geschäften werden zwar nicht bilanziert, solange und soweit sie einander ausgleichend gegenüberstehen. Eine Passivierung erfolgt lediglich im Falle drohender Verluste oder bei Vorliegen sog. Erfüllungsrückstände[5]. Da dieses Passivierungsverbot jedoch nur eingreift, "solange und soweit" sich Ansprüche und Verbindlichkeiten ausgleichend gegenüberstehen, endet es mit der Beendigung des Schwebezustandes des gegenseitigen Geschäfts. Dessen Saldierungsbereich ist somit zeitlich und sachlich eingegrenzt. Ein schwebendes Geschäft ist beendet, wenn einer der gegenseitig zur Leistung Verpflichteten - im Regelfall der zur Sach- oder Dienstleistung verpflichtete Vertragspartner - seine Leistung in vollem Umfang erbracht hat. Dies ist hier m...

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