Leitsatz (amtlich)

Ausnahmsweise können Fahrleistungen mit einem Pkw bei außerordentlich gehbehinderten Personen, auch soweit sie 15 000 km im Jahr übersteigen, noch als angemessen zu beurteilen und die entstandenen Aufwendungen deshalb als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen sein, sofern nach der Art und der Schwere der Behinderung nur durch den Einsatz eines Pkw eine berufsqualifizierende Ausbildung durchgeführt werden kann. In einem solchen Ausnahmefall können jedoch über die im Zusammenhang mit der Ausbildung stehenden Fahrten hinaus für weitere rein private Fahrten höchstens noch Fahrleistungen bis zu 5 000 km p.a. zusätzlich steuerlich berücksichtigt werden.

 

Sachverhalt

Der Kläger machte in der ESt-Erklärung für 1994 behinderungsbedingte Kfz-Kosten seines Sohnes in Höhe von 17 805 DM (34 241 km x 0,52 DM) als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG geltend. Der 1969 geborene Sohn ist zu 100 % behindert mit den Merkmalen im Schwerbehindertenausweis "G", "aG" und "RF" und lebt im elterlichen Haushalt. Der Sohn, der als Student an der Universität A eingeschrieben ist, kann infolge seiner Behinderung die Universität ausschließlich mit einem Kfz erreichen. Nach den Angaben des Klägers ist der Sohn wegen seines künstlichen Darmausgangs auf eine spezielle häusliche Toilette angewiesen und muss deshalb bei nachmittäglichen Veranstaltungen zwischendurch nach Hause fahren. Die Entfernung zwischen Wohnort und Universität beträgt 43 km. Das Finanzamt berücksichtigte die Fahrtaufwendungen des Sohnes nur mit 7 800 DM (15 000 km x 0,52 DM). Das FG wies die dagegen erhobene Klage ab[1]. Auf die Revision des Klägers hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Entscheidungsgründe

  1. Nach den zutreffenden Ausführungen des FG kann der Kläger die Kfz-Kosten neben dem Pauschbetrag für Körperbehinderte, der ihm im Streitjahr wegen der Behinderung seines Sohnes in Höhe von 2760 DM gewährt worden ist[2], geltend machen.
  2. Zu Unrecht hat es das FG jedoch abgelehnt, Aufwendungen für Fahrten von mehr als 15 000 km als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Im Streitfall hatte der Kläger aus rechtlichen Gründen die Kfz-Kosten des Sohnes zu tragen. Zwangsläufig entstandene Aufwendungen sind als außergewöhnliche Belastung aber nur zu berücksichtigen, soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Bei Steuerpflichtigen mit erheblicher Geh- und Stehbehinderung, die sich außerhalb des Hauses nur mit Hilfe eines Kfz bewegen können, sind grundsätzlich sämtliche Kfz-Kosten, soweit es sich nicht um Werbungskosten oder Betriebsausgaben handelt, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, also nicht nur die unvermeidbaren Kosten zur Erledigung privater Angelegenheiten, sondern in angemessenem Rahmen auch die Kosten für Erholungs-, Freizeit- und Besuchsfahrten[3]. Die Angemessenheit ist insbesondere nach der Höhe der Fahrleistung, nach der Art und dem Charakter der durchgeführten Fahrten sowie unter Berücksichtigung der vom Steuerpflichtigen benutzten Wagenklasse zu bestimmen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine jährliche Fahrleistung von mehr als 15 000 km im Hinblick auf die Fahrgewohnheiten der Autobesitzer in aller Regel nicht mehr als angemessen zu beurteilen[4]. Diese Grundsätze für die Berücksichtigung von Kfz-Kosten als außergewöhnliche Belastung beim Behinderten selbst gelten in Fällen entsprechend, in denen ein Unterhaltsverpflichteter die Kfz-Kosten des Schwerbehinderten trägt und als außergewöhnliche Belastung geltend macht[5].

Im Streitfall hält es der Senat jedoch aufgrund der besonderen Umstände ausnahmsweise für gerechtfertigt, die Aufwendungen für Fahrten mit dem Kfz über die generelle Angemessenheitsgrenze von 15 000 km hinaus als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Für die Festlegung dieser Grenze war ausschlaggebend, dass eine Fahrleistung von mehr als 15 000 km für reine Privatfahrten nicht den Fahrgewohnheiten der Mehrheit der Autobenutzer entspricht und damit außerhalb des Rahmens des Angemessenen liegt[6]. Die Fahrten im Streitfall sind aber überwiegend nicht als "reine" Privatfahrten in diesem Sinn zu beurteilen. Von den im Streitjahr 1994 gefahrenen 34 241 km entfielen nach dem Vortrag des Klägers 21414 km auf Fahrten zwischen Wohnung und Universität und 12 827 km auf Fahrten zu Freunden und Kommilitonen. Bei den Fahrten zwischen Wohnung und Universität handelt es sich um unvermeidbare Privatfahrten, die nicht der persönlichen Freizeit- und Urlaubsgestaltung gedient haben. Die unvermeidbaren Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Universität sind auch insoweit steuermindernd zu berücksichtigen, als sie die Regelgrenze von 15 000 km überschreiten, ebenso die Aufwendungen für Fahrten zu Kommilitonen, die nachprüfbar der Vor- und Nachbereitung des Lernstoffs gedient haben, weil diese Fahrten wegen der durch die Behinderung des Sohnes erschwerten Lebens- und Lernbedingungen notwendig waren...

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