Leitsatz

Die allgemeine Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, S. 402), mit der unter anderem § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 aufgehoben worden ist, verstößt insoweit nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, als danach Nachzahlungszinsen i.S. von § 233a AO, die nach der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 (31.3.1999) gezahlt worden sind, nicht mehr als Sonderausgabe abgezogen werden können.

 

Sachverhalt

Das Finanzamt erließ im Anschluss an eine Betriebsprüfung am 29.9.1999 einen geänderten Einkommensteuerbescheid gegen A. Dieser enthielt eine Steuernachforderung und Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 1992 gemäß § 233a AO von 24212 DM fest, fällig zum 2.11.1999. Am 20.10.1999 ergingen geänderte Vermögensteuerbescheide mit Nachzahlungszinsen von 3168 DM, fällig zum 23.11.1999. A zahlte die gesamten Nachzahlungszinsen am 31.12.1999 und machte sie mit der Einkommensteuererklärung 1999 als Sonderausgaben geltend. Das Finanzamt lehnte den Abzug mit der Begründung ab, § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG sei zum 1.1.1999 aufgehoben worden. Das FG wies die Klage ab. Mit der Revision machte A geltend, dass es sich bei der Abschaffung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG um eine echte unzulässige Rückwirkung handele. Damit sei nachträglich ein effektiv höherer Zinssatz auf Nachzahlungszinsen eingeführt worden, die auf Zeiträume vor 1999 fallen.

 

Entscheidung

Die Versagung des Sonderausgabenabzugs der Nachzahlungszinsen ist weder unter dem Gesichtspunkt einer echten Rückwirkung noch unter dem einer unzulässigen Rückbeziehung von Rechtsfolgen, d.h. einer "unechten Rückwirkung", als verfassungswidrig und damit als unzulässig anzusehen ist. Weitergehend als das BVerfG nimmt der BFH an, dass eine echte Rückwirkung stets vorliegt, wenn "eine im Gesetz neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch dann oder nur in Fällen gelten soll, in denen ihre Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung des Gesetzes erfüllt worden sind". Da der Tatbestand des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG erst mit der tatsächlichen Zahlung der Nachzahlungszinsen erfüllt ist, die Zahlung aber erst am 31.12.1999 geleistet worden ist – also neun Monate nach der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002, mit dem die Abzugsmöglichkeit ab dem Veranlagungszeitraum 1999 aufgehoben worden ist –, scheidet eine unzulässige echte Rückwirkung aus.

Damit kam lediglich eine "unechte Rückwirkung" in Frage, bei der abzuwägen ist, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen. Der BFH hat das öffentliche Interesse an der Abschaffung des Sonderausgabenabzugs von Nachzahlungszinsen höher bewertet als die allgemeine Erwartung der Steuerpflichtigen auf Fortgeltung der Abzugsmöglichkeit, weil diese als systemwidrig erkannt worden war. Wer zur Zahlung der Einkommensteuer ein Bankdarlehen aufgenommen hatte, konnte die Zinsen steuerlich nicht geltend machen; wer sich hingegen vom Finanzamt hat "kreditieren" lassen, durfte die Nachzahlungszinsen abziehen.

 

Praxishinweis

Der BFH wendet erstmals die Grundsätze an, die er in seinen Vorlagebeschlüssen an das BVerfG zur Frage der Verfassungswidrigkeit der rückwirkend verschärften Besteuerung von Entlassungsentschädigungen[1] entwickelt hat. In den Vorlagebeschlüssen folgt der BFH nicht mehr der Unterscheidung des BVerfG zwischen einer echten und einer unechten Rückwirkung. Vielmehr sieht der Senat die Verkündung eines Änderungsgesetzes nun grundsätzlich als den Zeitpunkt an, bis zu dem das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die alte Rechtslage nach den Grundsätzen einer echten Rückwirkung schutzwürdig ist. Die "Veranlagungsrechtsprechung", nach der es bei Veranlagungssteuern für diese Unterscheidung auf den Zeitpunkt der Entstehung der Einkommensteuerschuld ankommt, lehnt der BFH ab. Da die Nachzahlungszinsen im Besprechungsfall erst lange nach der Verkündung des Änderungsgesetzes geleistet worden waren, lag auch nach den neuen Grundsätzen lediglich eine unechte Rückwirkung vor, die wegen des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt und damit zulässig war.

Der Entscheidung ist aber auch zu entnehmen, dass der BFH die Versagung des Sonderausgabenabzugs in allen Fällen als verfassungswidrig ansieht, in denen die Nachzahlungszinsen in der Zeit vom 1.1.1999 bis zum 31.3.1999 gezahlt worden sind, also bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002. Dann ist von einer echten Rückwirkung auszugehen, die – unabhängig davon, ob dem Gesetzgeber ein berechtigtes Interesse an der Abschaffung der Vorschrift bescheinigt werden kann – von Verfassungs wegen unzulässig ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 15.11.2006, XI R 73/03

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