Leitsatz

  1. Die Verwertung von Prüfungsfeststellungen, die ohne wirksame Prüfungsanordnung getroffen worden sind, ist nicht generell unzulässig. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Feststellungen im Rahmen eines erstmaligen Steuerbescheids oder einer Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO verwertet werden (Anschluss an BFH-Rechtsprechung).
  2. Ist in einem Steuerbescheid die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung versehentlich unterblieben, so muss das Finanzamt den Bescheid nicht zunächst nach § 129 AO berichtigen, um ihn anschließend nach § 164 Abs. 2 AO ändern zu können. Vielmehr kann der Bescheid in diesem Fall unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden (Bestätigung des Senatsurteils vom 27.3.1996, I R 83/94, BStBl II 1996, S. 509 = INF 1996, S. 601).
  3. Die Berichtigung nach § 129 AO kann auch im Rahmen einer Entscheidung erfolgen, in der über den Einspruch gegen den auf § 164 Abs. 2 AO gestützten Änderungsbescheid entschieden wird. Darin liegt jedenfalls dann keine "Verböserung" gegenüber jenem Bescheid, wenn der Nachprüfungsvorbehalt in dem Änderungsbescheid aufgehoben wurde und in der Einspruchsentscheidung nicht erneut angebracht wird.
 

Sachverhalt

Der in Deutschland wohnende B war an der Schweizer S-AG beteiligt. Diese veräußerte 1990 eine Beteiligung an einer GmbH. Nach einer Außenprüfung für 1990 wurden die Einkünfte der S-AG bei B gemäß § 7 AStG hinzugerechnet; ein Veräußerungsgewinn wurde dabei nicht erfasst. Der betreffende Bescheid wurde Frau R im Jahr 1994 als Rechtsnachfolgerin des B bekannt gegeben; in der bekannt gegebenen Fassung enthält er keinen Nachprüfungsvorbehalt, wohl aber in der Aktenausfertigung.

Nach einer weiteren, u.a. das Jahr 1991 betreffenden Außenprüfung nahm das Finanzamt an, dass für 1990 ein Gewinn der S-AG aus der Veräußerung des GmbH-Anteils bei B gemäß § 7 AStG zu erfassen sei. Es änderte deshalb im Jahr 1997 den Hinzurechnungsbescheid 1990 nach § 164 AO. R legte dagegen Einspruch ein und machte das Fehlen des Nachprüfungsvorbehalts geltend. Daraufhin erließ das Finanzamt eine Einspruchsentscheidung, in der es den Bescheid aus 1994 in der Weise gemäß § 129 AO berichtigte, dass es ihn nachträglich unter Vorbehalt der Nachprüfung stellte. Auf dieser Basis wies es den Einspruch zurück.

 

Entscheidung

Der an R gerichtete Bescheid enthielt keinen Nachprüfungsvorbehalt. Darin könnte aber eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO liegen, wenn die Anordnung des Vorbehalts versehentlich unterblieben ist. Das muss das FG noch aufklären. Sollte eine offenbare Unrichtigkeit vorliegen, so durfte das Finanzamt sie in der Einspruchsentscheidung berichtigen. Die Feststellungsfrist war zu diesem Zeitpunkt nicht abgelaufen, da weder B noch R eine Feststellungserklärung abgegeben hatten, die reguläre Frist deshalb am 31.12.1997 geendet hätte und ihr Ablauf zuvor durch den Einspruch der R gehemmt wurde. Die Fristhemmung hätte zwar nach damaligem Recht keine "Verböserung" gegenüber dem Bescheid aus 1997 ermöglicht; eine solche beinhaltet die Berichtigung des Bescheids aus 1994 aber nicht.

 

Praxishinweis

Zur Frage der "Verböserung" betrifft das Urteil ausgelaufenes Recht. Inzwischen gilt § 171 Abs. 3a AO i.d.F. des StBereinG 1999, wonach auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist eine "verbösernde" Einspruchsentscheidung ergehen darf.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 22.2.2006, I R 125/04

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