Leitsatz

  1. Zahlen geschiedene Eltern ihrem Kind, das in einem selbständigen Haushalt lebt, jeweils eine Unterhaltsrente, hat Anspruch auf Kindergeld, wer die höhere Unterhaltsrente leistet. Hat derjenige, der das Kindergeld bisher erhalten hat, den Betrag an das Kind als Unterhalt weitergeleitet, so bleibt das Kindergeld für die Feststellung der höheren Unterhaltsrente außer Betracht.
  2. Begehrt der Berechtigte mit der Klage, den die Zahlung von Kindergeld ablehnenden Bescheid der Familienkasse aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld auf unbestimmte Zeit zu zahlen, handelt es sich um eine Verpflichtungsklage. Ist die Ablehnung des Kindergelds rechtswidrig, ist der Ablehnungsbescheid aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, über den Kindergeldantrag erneut zu entscheiden.
 

Sachverhalt

Streitig war, welchem der beiden geschiedenen Eltern das Kindergeld für ihren 1979 geborenen Sohn R zustand, der ab Oktober 1999 studierte und am Studienort eine eigene Wohnung unterhielt. R bezog monatlich 1125 DM, nämlich 525 DM vom Vater und 600 DM – darin enthalten 250 DM Kindergeld – von der Mutter. Die Familienkasse zahlte Kindergeld ab Oktober 1999 an die beigeladene Mutter. Den Antrag des Vaters vom Januar 2000, das Kindergeld an ihn zu zahlen, lehnte die Familienkasse ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Die Revision führte zu einem Bescheidungsurteil durch den BFH zugunsten des Vaters.

 

Entscheidung

Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Ist das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen und zahlen mehrere Berechtigte Unterhaltsrenten, so entscheidet nach § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG die höchste Rente. Die nicht ausdrücklich geregelte Frage, ob das weitergeleitete Kindergeld als Teil der Unterhaltsrente anzusehen ist, ist nach dem Zweck der Vorschrift zu verneinen: § 64 Abs. 3 EStG soll sicherstellen, dass derjenige das Kindergeld erhält, der durch den Unterhalt am meisten belastet ist. Dem widerspräche es, wenn beim Vergleich der Unterhaltsrenten allein auf den dem Kind zugeflossenen Betrag abgestellt würde. Denn unterhaltsrechtlich wird das Kindergeld nach § 1612b Abs. 1 und 2 BGB so behandelt, als würden damit beide ihre Unterhaltspflicht erfüllen. Es wirkt insofern wie ein durchlaufender Posten. Deswegen ist die Unterhaltszahlung des Kindergeldempfängers für den Belastungsvergleich vereinfachend um das Kindergeld zu kürzen. Danach ist die Rente der Mutter mit 350 DM niedriger als die des Vaters mit 525 DM, so dass er Berechtigter i.S. von § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG ist. Dabei würde es keine Rolle spielen, wenn der Vater der Auszahlung des Kindergelds an die Mutter zugestimmt hätte. Denn eine einvernehmliche Bestimmung ist im vorliegenden Fall gesetzlich nur bei gleich hohen Unterhaltsrenten vorgesehen[1].

Verfahrensrechtlich hat der BFH die Verpflichtungsklage auf Festsetzung des Kindergelds ab Oktober 1999 abgewiesen, aber die Ablehnungsentscheidung der Familienkasse aufgehoben und diese verpflichtet, über den Antrag des Vaters unter Berücksichtigung der obigen Auslegung erneut zu entscheiden. Damit hat der Vater im Ergebnis obsiegt. Auch die Kostenentscheidung hat der BFH entsprechend dem Rechtsgedanken des § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO zugunsten des Vaters getroffen. Die Mutter trägt keine Kosten, weil sie als Beigeladene keinen Antrag gestellt hat[2]. Der BFH hat mangels Spruchreife nicht durchentschieden. Er hat aber auch nicht an das FG zurückverwiesen, weil es nicht Aufgabe des Gerichts, sondern der Behörde ist, alle Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs zu ermitteln.

 

Praxishinweis

Die Entscheidung, das Kindergeld bei der Beurteilung der höheren Unterhaltsrente außer Ansatz zu lassen, ist nicht auf andere kindbedingte Leistungen wie den erhöhten Ortszuschlag bei Beamten übertragbar. Denn nach § 1612c BGB sind kindbedingte Leistungen unterhaltsrechtlich nur dann wie Kindergeld zu behandeln, wenn sie – wie in den Fällen des § 65 EStG – den Anspruch auf Kindergeld ausschließen.

Die Familienkasse wird nun dem Vater rückwirkend Kindergeld gewähren müssen. Ob sie die Festsetzung zugunsten der Mutter aufheben und gezahltes Kindergeld zurückfordern kann, hängt davon ab, ob ihr entscheidungserhebliche Tatsachen erst nachträglich bekannt wurden[3]. Dagegen greift § 70 Abs. 2 EStG nicht ein, da sich die Verhältnisse – die Zahlungsanteile der Eltern – nicht geändert haben. Das Risiko einer fehlerhaften Rechtsansicht trägt insoweit die Familienkasse. Nur für die Zukunft ist eine abweichende Festsetzung möglich[4]. Müsste die Mutter das Kindergeld zurückzahlen, wäre zu prüfen, ob sie hinsichtlich des hälftigen Kindergelds einen Kondiktionsanspruch gegen den Vater hat, weil sie insoweit dessen Unterhaltsverpflichtung erfüllt hat.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 2.6.2005, III R 66/04

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