Leitsatz

Es ist verfassungsgemäß, dass der durch § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG i.d.F. des FamFöG für die Jahre 2000 und 2001 eingeführte Betreuungsfreibetrag nur für Kinder, welche das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert sind, gewährt wurde.

 

Sachverhalt

Bei der Einkommensteuer-Veranlagung 2000 eines Ehepaares mit drei 1977, 1979 und 1983 geborenen Kindern wurden nur für zwei Kinder Kinderfreibeträge abgezogen, weil beim dritten das Kindergeld günstiger i.S. von § 31 Satz 4 EStG war. Die Eltern meinten, es müssten zusätzlich drei Betreuungsfreibeträge gewährt werden, weil laut BVerfG[1] für alle Kinder, für die Kindergeld oder Kinderfreibeträge berücksichtigt werden, Betreuungsfreibeträge anzuerkennen seien, auch wenn die Kinder älter als 16 Jahre sind. Dem folgte weder das Finanzamt noch das FG noch der BFH.

 

Entscheidung

Der BFH hält es für verfassungskonform, dass der Betreuungsfreibetrag für nicht behinderte Kinder mit dem durch das Familienförderungsgesetz ab 2000 eingeführten § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG auf deren vollendetes 16. Lebensjahr begrenzt wurde. Ursprünglich wurde Betreuungsaufwand in § 33c EStG in Erfüllung eines früheren Auftrags des BVerfG[2] bei Alleinstehenden für noch nicht 16-jährige Kinder berücksichtigt. Diese Grenze wurde beibehalten, als die Altersgrenze für von Amts wegen zu gewährende Kinderfreibeträge auf 18 Jahre angehoben wurde. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des BVerfG[3] zu sehen, mit der es § 33c EStG insofern für verfassungswidrig erklärt hat, als darin der Betreuungsaufwand von in ehelicher Gemeinschaft lebenden Eltern gegenüber dem Betreuungsaufwand anderer Eltern ausgeschlossen wurde. Hätte das BVerfG zusätzlich die Altersgrenze von 16 Jahren aufheben wollen, hätte es sich aufgedrängt, dies ausdrücklich auszusprechen. Das ist nicht geschehen. Nichts anderes ist den Ausführungen des BVerfG zu den Folgen zu entnehmen, die eintreten, wenn der Gesetzgeber die Kinderbetreuungskosten nicht bis zum 1.1.2000 neu regelt. Nach Ansicht des BFH kann das BVerfG einen Betreuungsbedarf nicht für die Zeit nach Volljährigkeit im Auge gehabt haben, weil ein solcher nach seiner eigenen Rechtsprechung und nach den zivilrechtlichen Vorschriften für volljährige Kinder nicht mehr besteht. Das BVerfG könne einen Betreuungsbedarf aber auch nicht bis zur Volljährigkeit gemeint haben. Es habe nämlich für den ersten Reformschritt zwischen Betreuung (Pflege) und Erziehung unterschieden, wobei sich die "Pflege" mehr auf das körperliche Wohl und die "Erziehung" mehr auf die sittliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes beziehe. Da auch das BVerfG von einem mit zunehmendem Alter des Kindes abnehmenden Pflege- und Erziehungsbedarf ausgehe, sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber seit Einführung des § 33c EStG angenommen hat, dass der Betreuungsbedarf ab dem 16. Lebensjahr des Kindes so gering ist, dass er – anders als Kosten für das sächliche Existenzminimum und gegebenenfalls Berufsausbildungskosten gemäß § 33a Abs. 2 EStG – nicht mehr zu einer Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern führt.

 

Praxishinweis

Im zweiten Reformschritt hat der Gesetzgeber ab 2002 die Anregung des BVerfG aufgegriffen, aus Gründen der Einfachheit und Klarheit einen Grundtatbestand zu normieren, der die gesamte kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern umfasst. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass am Anfang typischerweise der Betreuungsbedarf überwiegt, der mit zunehmendem Alter durch den Erziehungsbedarf und später durch den Ausbildungsbedarf verdrängt wird. Obwohl bei diesem Grundtatbestand auf altersmäßige Differenzierungen verzichtet wird, ist eine solche bei der vorherigen Aufteilung in mehrere Freibeträge sachgerecht. Diese konnte bei einem Kind bis 16 Jahre sogar vorteilhafter sein, weil bei der Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG das Kindergeld mit dem einheitlichen Kinderfreibetrag verglichen wird, während es zuvor nur mit dem Freibetrag für das sächliche Existenzminimum verglichen wurde und der Betreuungsfreibetrag daneben erhalten blieb. Der später eingeführte Entlastungsbetrag für "echte" Alleinerziehende nach § 24b EStG wird bei einem Kind bis zum 18. Lebensjahr neben dem Kindergrundtatbestand des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG gewährt.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 24.8.2004, VIII R 18/04

[1] Vgl. BVerfG-Beschluss vom 10.11.1998, 2 BvR 1057/91 u.a., BStBl II 1999, S. 182
[2] Vgl. BVerfG-Beschluss vom 3.11.1982, 1 BvR 620/78 u.a., BStBl II 1982, S. 717
[3] Vgl. BVerfG-Beschluss vom 10.11.1998, a.a.O. (Fn. 1)

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