Leitsatz

  1. Es verstößt nicht gegen das GG oder sonstiges Recht, dass das Kindergeld gemäß § 64 Abs. 1 EStG an nur einen Berechtigten zu zahlen ist und dass es gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG an denjenigen Berechtigten zu zahlen ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Obhutsprinzip).
  2. Der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ist unter Berücksichtigung seines Zwecks dahin auszulegen, dass ein Kind, welches sich in den Haushalten beider Elternteile in einer Besuchscharakter überschreitenden Weise aufhält, demjenigen Elternteil zuzuordnen ist, in dessen Haushalt es sich überwiegend aufhält und seinen Lebensmittelpunkt hat.
 

Sachverhalt

Streitig ist, welchem Elternteil einer 2001 geschiedenen Ehe das Kindergeld für die beiden 1993 und 1995 geborenen Töchter zusteht. Diese lebten seit der Trennung der Eltern im Jahr 1996 vor und nach dem Umzug nach E im Haushalt der Mutter, wo sie mit Hauptwohnsitz gemeldet waren. Im Mai 1997 wurde der Mutter das alleinige Sorgerecht übertragen, während der Vater die Töchter im Rahmen seines Umgangsrechts jedes zweite Wochenende von Freitagnachmittag bis Montagmorgen zu sich nehmen darf. Die Ferien verbringen sie je zur Hälfte bei den Eltern und halten sich insgesamt zu 65 % bei der Mutter und zu 35 % beim Vater auf.

Auf Antrag der Mutter wurde im Juli 1997 das Kindergeld zu ihren Gunsten rückwirkend ab Dezember 1996 festgesetzt. Gleichzeitig wurde die Festsetzung zuungunsten des Vaters entsprechend aufgehoben. Seine dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Im November 2000 beantragte der Vater, der zwischenzeitlich ebenfalls nach E umgezogen war, ihm ab November 1996 das Kindergeld zu gewähren, wobei er dieses Begehren im Klageverfahren auf die Bewilligung des hälftigen Kindergeldes reduzierte. Auch diese Klage hatte keinen Erfolg. Die hiergegen zugelassenen Revision wies der BFH ebenfalls zurück.

 

Entscheidung

Soweit der Vater rückwirkend Kindergeld für die Zeit des ersten Aufhebungsbescheids begehrt, steht dem nicht nur dessen Bindungswirkung, bestätigt durch das erste klageabweisende Urteil, entgegen, sondern auch, dass Kindergeld bei mehreren Anspruchsberechtigten gemäß § 64 Abs. 1 EStG jeweils nur einem von ihnen gewährt wird. Wer das ist, regelt § 64 Abs. 2 und 3 EStG. In Fällen wie dem vorliegenden ist die Haushaltsaufnahme entscheidend. Diese liegt vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen ist, wobei neben dem örtlichen Zusammenleben materielle (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterielle Voraussetzungen (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein müssen. Die Betreuung muss einen zeitlich bedeutsamen Umfang haben; Aufenthalte nur mit Besuchs- oder Feriencharakter reichen nicht. Dabei hat ein Aufenthalt von mehr als drei Monaten im Jahr keinen Besuchscharakter mehr.

Weil die Anwesenheit der Töchter beim Vater etwa 35 %, also mehr als drei Monate im Jahr, ausmacht, käme auch bei ihm eine Haushaltsaufnahme in Betracht. Da aber nach dem Willen des Gesetzgebers eine Aufteilung des Kindergelds vermieden werden muss, ist der Begriff der Haushaltsaufnahme in Fällen wie dem vorliegenden dahingehend zu ergänzen, dass sich das Kind dort überwiegend aufhalten und seinen Lebensmittelpunkt haben muss. Dies beruht auf der typisierenden Annahme, dass der Kindergeldberechtigte die größten Unterhaltslasten für das Kind trägt, der es überwiegend betreut und versorgt.

Der BFH begründet sodann im Einzelnen, dass die Auswahl des Kindergeldberechtigten nach dem Obhutsprinzip nicht nur verfassungskonform ist, sondern weder gegen Art. 8 Abs. 1 und 14 EMRK noch gegen Art. 7, 20, 23 Abs. 1 und 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt.

 

Praxishinweis

Der BFH hat offen gelassen, wie zu entscheiden wäre, wenn ein Kind in den Haushalten beider Elternteile gleichviel Zeit verbringt. Die Frage dürfte eher akademisch sein, weil solche Feststellungen – exakt hälftiger Aufenthalt – kaum zu treffen sein dürften. Letztlich obliegt es dem Tatrichter zu entscheiden, wo sich bei Berücksichtigung aller Umstände der Lebensmittelpunkt des Kindes befindet. Bei Vorschriften, nach denen neben dem Familienleistungsausgleich durch Kindergeld und Kinderfreibetrag Kindervergünstigungen gewährt werden, ist von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ein Kind nur einem und welchem Elternteil zuzuordnen ist. Interessanterweise geht der III. Senat bei der Kinderzulage zumindest bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten nicht mehr von einem Besuch, sondern von Haushaltszugehörigkeit aus, verneint aber im Regelfall bereits bei einem länger als sechs Wochen dauernden Aufenthalt den Besuchscharakter[1].

 

Link zur Entscheidung

BFH-Beschluss vom 14.12.2004, VIII R 106/03

[1] Vgl. BFH-Urteil vom 22.9.2004, III R 40/03, INF 2005, S. 204

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