1 Zweck der Regelung

 

Rz. 1

Zweck der Bestimmung ist es zu verhindern, dass sich die Mitglieder durch das rasche Ausscheiden aus der Genossenschaft im Falle der Liquidation (§ 87 a) oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 105) über das Vermögen der Genossenschaft ihrer Nachschusspflicht sowie der haftungsrechtlichen Verstrickung ihres Geschäftsguthabens entziehen (so ausdrücklich: BGH NJW 1993, S. 2534 f.; Bauer § 75 RN 1; Beuthien § 75 RN 1). Auf diese Weise sichert die Regelung sowohl das Interesse der Genossenschaftsgläubiger an der Erhaltung einer ausreichenden Haftungsmasse als auch dasjenige der verbleibenden Mitglieder an einer gleichmäßigen Verteilung des Verlustrisikos. Dabei zieht das Gesetz eine stringente zeitliche Grenze: Nach Ablauf der Sechsmonatsfrist wird das Ausscheiden endgültig wirksam und damit bestandsfest. Allerdings kommen im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Genossenschaft gem. §§ 115 b, 105 noch für weitere 12 Monate Nachschusspflichten zur Insolvenzmasse in Betracht.

2 Zum Anwendungsbereich der Vorschrift

 

Rz. 2

Die Regelung betrifft alle Gestaltungsformen des Ausscheidens, sei es durch Kündigung (§§ 65, 66, 67, 67 a) oder Ausschluss (§ 68), mit Ausnahme der Übertragung des Geschäftsguthabens gem. § 76. Sie gilt auch bei Tod eines Mitglieds (§ 77) und im Falle der Auflösung oder Erlöschung einer juristischen Person oder Handelsgesellschaft (§ 77 a) (Müller § 75 RN 1). Entgegen der zum Teil vertretenen gegenteiligen Auffassung (Müller, § 75 RN 1) findet die Regelung auch bei Kündigung einzelner Geschäftsanteile gem. § 67 b entsprechende Anwendung. Zwar spricht die Vorschrift nur vom Tatbestand des Ausscheidens, doch ist sie nach Sinn und Regelungszweck – insbesondere im Lichte ihrer Sicherungsfunktion (oben 1) – auch auf den Fall der Teilkündigung anzuwenden. Hier gilt es zu verhindern, dass sich einzelne Mitglieder im Wege der Kündigung freiwillig übernommener Geschäftsanteile einem anteilsmäßigen Deckungsbeitrag hinsichtlich solcher Verluste entziehen, die vor ihrem Ausscheiden entstanden sind (Bauer § 75 RN 9; Lang/Weidmüller/Holthaus/Lehnhoff § 75 RN 2; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs § 75 RN 2; a. A.: Beuthien § 75 RN 2).

 

Rz. 3

Im Übrigen gelangt die Bestimmung bei jeder Form der Auflösung der eG zur Anwendung; sei es durch Beschluss der Generalversammlung (§ 78), Zeitablauf (§ 79), gerichtliche (§ 80) oder verwaltungsbehördliche (§ 81) Entscheidung sowie durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Genossenschaft (§ 81 a). Sie gilt auch, wenn die Genossenschaft auf Klage für nichtig erklärt wird (§§ 94, 97).

3 Rechtswirkung der Regelung

 

Rz. 4

Soweit der Tatbestand des § 75 erfüllt ist, gilt das Ausscheiden des Mitglieds als nicht erfolgt. Das Mitglied ist rechtlich so zu behandeln, als sei es nie aus der Genossenschaft ausgeschieden. Ist die Auseinadersetzung noch nicht erfolgt, hat sie zu unterbleiben. Soweit die Auseinandersetzung gem. § 73 bereits abgeschlossen ist, ist diese rückgängig zu machen. Das Mitglied hat folglich alle Leistungen, die es im Rahmen der Abwicklung seiner Mitgliedschaft von der Genossenschaft erhalten hat, an diese zurückzugewähren. Gleiches gilt für die Genossenschaft, soweit infolge der Auseinandersetzung seitens des Mitglieds Leistungen an diese erbracht wurden. Dabei handelt es sich in jedem Falle um einen Anspruch sui generis, der unmittelbar aus dem (weiter bestehenden) Mitgliedschaftsverhältnis als solchem folgt und auf den die Bestimmungen des Bereicherungsrechts (§§ 812 ff. BGB) auch nicht mittelbar Anwendung finden (Bauer § 75 RN 4; Lang/Weidmüller/Holthaus/Lehnhoff § 75 RN 4; Müller § 75 RN 5; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs § 75 RN 5). Die zur Rückgewähr Verpflichteten können sich folglich nicht auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen. Zwischenzeitlich erfolgte Satzungsänderungen und Generalversammlungsbeschlüsse entfalten ihre Rechtswirkung auch hinsichtlich des vorübergehend ausgeschiedenen Mitglieds. Diesem kommt auch keine Anfechtungsbefugnis zu (Bauer § 75 RN 4; Müller § 75 RN 6; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs § 75 RN 6). Abweichend verhält es sich dort, wo das Mitglied von seinem Sonderkündigungsrecht gem. § 67 a Gebrauch gemacht hat. Hier entfalten gem. § 67 a Abs. 2 S. 5 Satzungsänderungen, auf die er seine Kündigung gestützt hat, für ihn keine Wirkung. Dies gilt auch für solche Änderungen der Satzung, die nach seinem (unwirksamen) Ausscheiden erfolgt sind (Bauer § 75 RN 5; Beuthien § 75 RN 5; Müller § 75 a. a. O.; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs § 75 RN 8). Wurde das Mitglied gem. § 68 ausgeschlossen, so bleibt die Suspendierung seiner Mitgliedschaftsrechte in der Generalversammlung gem. § 68 Abs. 4 auch nach der Auflösung der Genossenschaft bestehen (Beuthien § 75 RN 2; Lang/Weidmüller/Holthaus/Lehnhoff § 75 RN 5; a. A.: Bauer § 75 RN 4; Müller § 75 RN 7 a, Pöhlmann/Fandrich/Bloehs § 75 RN 7). Ihm steht folglich auch weiterhin kein Teilnahmerecht an der Mitgliederversammlung zu.

4 Fortsetzung der Genossenschaft

 

Rz. 5

Beschließt die Generalversammlung gem. § 79 a die Fortsetzung der aufgelösten Genossens...

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