Leitsatz (amtlich)

Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird auch dann gemäß § 171 Abs. 3 AO 1977 durch Anfechtung eines vor Fristablauf erlassenen Änderungsbescheides gehemmt, wenn das FA den Änderungsbescheid aufgrund rechtlicher Schlussfolgerungen in einer sog. Kontrollmitteilung erlassen hat und ihm die zugrunde liegenden Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 erst nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist bekannt werden. Der im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides bestehende Mangel, dass die Tatsachen nicht bekannt waren, kann auch in diesem Fall durch die Einspruchsentscheidung geheilt werden.

 

Sachverhalt

Der Kläger war Alleingesellschafter der M-GmbH. Er gab seine ESt-Erklärung für das Streitjahr 1984 im April 1985 ab und wurde zunächst erklärungsgemäß veranlagt. Der ESt-Bescheid wurde bestandskräftig. Am 27.11.1989 ging beim damals für den Kläger zuständigen Wohnsitzfinanzamt ein Schreiben des Finanzamts G ein, das eine Ergebnismitteilung zur Betriebsprüfung der M-GmbH, die Ankündigung des Außenprüfungsberichts und die Bitte um Erlass den Eintritt der Festsetzungsverjährung für 1984 verhindernden geänderten Bescheids enthielt. Unter Hinweis darauf erließ das Finanzamt D am 11.12.1989 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einen geänderten ESt-Bescheid für 1984, in dem es um vGA erhöhte Einnahmen aus Kapitalvermögen von nun 2 314 692 DM berücksichtigte. Der Kläger legte dagegen Einspruch ein. Das Finanzamt D erhielt am 17.1.1990 einen Auszug aus dem Außenprüfungsbericht mit einer Schilderung der Vorgänge bei der GmbH. Auf die Klage der GmbH entschied das FG am 4.8.1995, dass von einer anderen Ausschüttung von 357 468 DM zugunsten des Klägers auszugehen sei. Darauf erließ das zwischenzeitlich zuständig gewordene beklagte Finanzamt gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO am 5.11.1996 einen geänderten ESt-Bescheid für 1984, in dem es Einnahmen aus Kapitalvermögen von 363 204 DM ansetzte. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, den das Finanzamt durch Einspruchsentscheidung vom 17.4.1997 als unbegründet zurückwies. Mit der Klage machte der Kläger geltend, das Finanzamt D habe den Änderungsbescheid zu Unrecht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt. Die sog. Ergebnismitteilung des Finanzamt G enthielt rechtliche Schlussfolgerungen, aber keine "neue Tatsachen". Im Hinblick auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung zum 31.12. 1989 habe das Finanzamt D auch nicht die erst 1990 bekannt gewordenen Sachumstände über das Vorliegen einer vGA verwerten dürfen. Das FG gab der Klage im Wesentlichen statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Entscheidungsgründe

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides vom 11.12.1989 die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für eine Änderung des bestandskräftigen ESt-Bescheids 1984 nicht vorgelegen haben. Dem für die Veranlagung des Klägers zuständigen Bearbeiter, auf dessen Kenntnisstand es ankommt[1], waren außer der Ergebnismitteilung des Finanzamts G keine weiteren Tatsachen bekannt. Ergebnismitteilungen des für die KSt zuständigen Finanzamts an das für die Veranlagung der Anteilseigner zuständige Finanzamt über eine bei der GmbH durchgeführte Außenprüfung stellen insoweit keine Tatsachen dar, die zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigen, als darin nur rechtliche Schlussfolgerungen wiedergegeben werden[2]. Die Tatsache, dass bei der GmbH für das Jahr 1984 eine Rückstellung nicht anerkannt worden ist, rechtfertigt ohne Kenntnis weiterer Umstände nicht den Schluss, dem Kläger als Alleingesellschafter seien insoweit Einnahmen i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen. Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides kommt es darauf an, ob die dem Finanzamt D oder dem beklagten Finanzamt in der Folgezeit bekannt gewordenen und der Einspruchsentscheidung zugrunde liegenden Tatsachen die Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO rechtfertigen. Denn der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist am 31.12.1989 war ohne Bedeutung, weil durch die Anfechtung des Änderungsbescheids insoweit gemäß § 171 Abs. 3 AO a.F. eine bis heute andauernde Ablaufhemmung eingetreten ist und weil es deshalb möglich war, dass der ursprüngliche Mangel des Änderungsbescheides durch die später bekannt gewordenen Tatsachen geheilt worden ist.

Im Streitfall ist der Änderungsbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen worden. Auch das weitere Erfordernis, dass die Ablaufhemmung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs nur eintritt, wenn der angefochtene Bescheid wirksam ergangen ist[3], ist erfüllt. Denn Tatsachen, die darauf hindeuten könnten, dass der Änderungsbescheid nicht wirksam geworden ist, sind nicht ersichtlich.

Die durch die Einlegung des Einspruchs herbeigeführte Ablaufhemmung ist auch nicht aufgrund einer späteren Aufhebung des Bescheides entfallen[4]. Denn der innerhalb der regulären Festsetzungsfrist ergangene Änderungsbescheid ist im folgenden Rech...

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