Mit Wirkung ab 1.7.2021 wurde ein neuer Ergänzungstatbestand für grundbesitzende Kapitalgesellschaften eingeführt.

Nach bisheriger Rechtslage (§ 1 Abs. 2a GrEStG) werden Gesellschafterwechsel an grundbesitzenden Personengesellschaften i. H. v. mindestens 95 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren erfasst. Dabei muss kein Gesellschafter eine bestimmte Beteiligungsschwelle überschreiten. Diese Vorschrift wird auf Anteilseignerwechsel an grundbesitzenden Kapitalgesellschaften ausgedehnt (grundsätzlich durch Übernahme des Wortlauts aus § 1 Abs. 2a GrEStG). Die Wesentlichkeitsgrenze wird ebenfalls auf 90 % festgelegt, wobei sich diese Grenze auf die Beteiligung am Kapital bezieht. Anteilsbewegungen sind innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren zu berücksichtigen. Die Beteiligungsquote wird im Fall mittelbarer Beteiligungen durch Multiplikation der Vomhundertsätze ("Durchrechnen") ermittelt, sofern eine Personengesellschaft zwischengeschaltet ist. Bei zwischengeschalteten Kapitalgesellschaften ist auf die Beteiligungsquote von 90 % abzustellen.[2] Sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2b GrEStG erfüllt, gilt dies als Grundstücksübertragung auf eine fiktiv neue Kapitalgesellschaft.

 
Hinweis

Parallelität von § 1 Abs. 2b und Abs. 2a GrEStG

§ 1 Abs. 2b GrEStG wurde ganz offensichtlich § 1 Abs. 2a GrEStG nachgebildet. Dies bestätigt sich durch die gleichlautenden Ländererlasse vom 10.5.2022[3] zu beiden Normen, die ebenfalls parallel aufgebaut sind. Hierdurch wird zum Ausdruck gebracht, dass für beide Normen grundsätzlich dieselbe Verwaltungsauffassung gelten soll.

Bemessungsgrundlage

Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG ist Bemessungsgrundlage für den fiktiven Grundstückserwerb der Grundbesitzwert nach §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 157 Abs. 1–3 BewG. Die Bemessungsgrundlage ist nicht auf die übergehenden Anteile und die Anteile der Altgesellschafter aufzuteilen. D. h., es ist immer der volle Grundbesitzwert anzusetzen, auch wenn z. B. nur 90 % der Anteile am Gesellschaftskapital auf neue Gesellschafter übergehen.[4]

Personenbezogene Befreiungen

Da der Anteilseignerwechsel i. H. v. mind. 90 % innerhalb von 10 Jahren als Grundstücksübertragung der fiktiv "alten" auf die fiktiv "neue" Kapitalgesellschaft gilt, können personenbezogene Befreiungen (§§ 37 GrEStG) nicht in Betracht kommen. Die Kapitalgesellschaften entfalten Abschirmwirkung.[5]

§ 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG findet hingegen Anwendung, soweit Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft durch Schenkung unter Lebenden i. S. d. Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes übergehen.[6]

Der Erwerb von Anteilen von Todes wegen bleibt nach § 1 Abs. 2b Satz 6 GrEStG bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes außer Betracht.

 
Wichtig

Erstmalige Anwendung des § 1 Abs. 2b GrEStG

Die Neuregelung gilt erstmals für Erwerbsvorgänge ab dem 1.7.2021. Anteilsbewegungen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, d. h. bis einschließlich 30.06.2021, werden nicht mitgerechnet.[7]. Alle mit Ablauf des 30.6.2021 Beteiligten gelten als Altgesellschafter.[8] Dies ist m. E. nicht anteilsbezogen zu betrachten. Es genügt nach der pauschalen Aussage der Finanzverwaltung auch eine geringe Beteiligung am 30.6.2021, um als Altgesellschafter zu gelten.[9]

 
Praxis-Beispiel

Anteilseignerwechsel i. S. d. § 1 Abs. 2b GrEStG[10]

Am Kapital der grundbesitzenden GmbH ist X zu 85 % und Y zu 15 % beteiligt. Zum 1. Juli 2021 überträgt X seine Beteiligung auf C und Y seine Beteiligung auf D.

Lösung

Der Tatbestand des § 1 Abs. 2b Satz 1 GrEStG ist erfüllt, da innerhalb von 10 Jahren mindestens 90 % der Anteile am Kapital der GmbH (C 85 % + D 15 %) auf Neugesellschafter übergegangen sind.

Variante

Wie voriges Beispiel. Zum 6.12.2020 überträgt X seine Beteiligung auf C. Zum 1.8.2021 überträgt Y seine Beteiligung auf D.

Lösung

Der Tatbestand des § 1 Abs. 2b Satz 1 GrEStG ist nicht erfüllt, da innerhalb von 10 Jahren nicht mindestens 90 % der Anteile am Kapital der GmbH (D 15 %) auf Neugesellschafter übergegangen sind. Bei der Anwendung des § 1 Abs. 2b GrEStG sind nur die Anteilsübergänge nach dem 30.6.2021 zu berücksichtigen (§ 23 Abs. 23 GrEStG). Der Anteilsübergang am 6.12.2020 auf C ist nicht zu berücksichtigen. C gilt mit Ablauf des 30.6.2021 als Altgesellschafter.

 
Achtung

Verhältnis des § 1 Abs. 2a und Abs. 2b zu Abs. 3/3a GrEStG – Regelung in § 16 Abs. 4a i. V. m. Abs. 5 Satz 2 GrEStG

Durch das JStG 2022[11] wurde in § 16 GrEStG ein neuer Abs. 4a eingefügt. Abs. 5 wurde um einen Satz 2 ergänzt.

Regelungsgehalt des § 16 GrEStG

§ 16 GrEStG ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Nichtfestsetzung der Steuer bzw. die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung für den Fall, dass ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht (§ 16 Abs. 1 und 2 GrEStG) oder die Gegenleistung herabgesetzt (§ 16 Abs. 3 GrEStG) wird. Wichtig ist, dass § 16 GrEStG nicht von Amts wegen angewendet wird, sondern nur auf Antrag durch das zuständige Finanzamt geprüft wird. Auch im Fall der Rückgängigmachung eines Anteilserwer...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt WohnungsWirtschafts Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen