Schwebende Verträge

Vielfach sind zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Vertragsverhältnisse, an denen der Schuldner beteiligt ist, "schwebend", d. h. noch nicht oder nicht vollständig abgewickelt. Dies kann vor allem bei Dauerschuldverhältnissen (z. B. Mietvertrag) oder bei mehraktigen Rechtsgeschäften wie etwa beim Grundstückserwerb der Fall sein.

Wahlrecht des Verwalters

Grundsätzlich hat der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht, ob er die Erfüllung des Vertrags verlangt oder ablehnt. Für die Entscheidung ist maßgeblich, ob unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Erfüllung für die Masse vorteilhaft oder nachteilig ist.

Wählt der Verwalter die Erfüllung, wird der Anspruch des Vertragspartners auf die Gegenleistung zu einem Masseschuldanspruch (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, so kann der Vertragspartner bereits erbrachte (Teil-)Leistungen nicht zurückverlangen, sondern lediglich eine auf Geld gerichtete Schadensersatzforderung wegen Nichterfüllung im Rang einer Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle geltend machen (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO).

Klärung

Fordert der Vertragspartner den Verwalter zur Ausübung seines Wahlrechts auf, so hat der Verwalter unverzüglich zu erklären, ob er die Erfüllung verlangen will. Unterlässt er dies, so kann er auf der Erfüllung nicht bestehen (§ 103 Abs. 2 Sätze 2 und 3 InsO).

Aber Vorsicht: Die für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den vorläufigen Insolvenzverwalter gerichtete Aufforderung zu erklären, ob die Erfüllung eines Vertrags gewählt werden wird, bleibt auch dann nach der Eröffnung des Verfahrens wirkungslos, wenn vorläufiger und endgültiger Verwalter personenidentisch sind.[1]

In der an den Insolvenzverwalter gerichteten Mängelbeseitigungsaufforderung ist zugleich eine Aufforderung an den Insolvenzverwalter zu sehen, sein Wahlrecht auszuüben, ob er den Werkvertrag weiter erfüllen will oder nicht.[2]

Praktische Bedeutung

Dies alles mag etwas theoretisch erscheinen; jedoch kommt dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters in der Praxis auch für Haus- und Grundbesitzer erhebliche Bedeutung zu:

 
Praxis-Beispiel

Wahlrecht des Insolvenzverwalters

So kann der Häuslebauer ein Problem haben, wenn "sein" Bauunternehmer oder Baustoffhändler pleite geht[3], an den er (unglücklicherweise) bereits Zahlungen erbracht hat; umgekehrt besteht natürlich das gleiche Dilemma, wenn Baumaterialien ohne Bezahlung an den plötzlich zahlungsunfähigen Bauherrn geliefert worden sind.

Oder: Der Grundstückserwerber bangt um sein "Traumgrundstück", wenn der Verkäufer insolvent wird.

Oder: Der Mieter oder Pächter fürchtet um seine Bleibe bei Insolvenz des Vermieters bzw. Verpächters.

Die Abwicklung solcher Fälle kann kompliziert sein. Deshalb kommt einer "vorbeugenden" Vertragsgestaltung mit einseitigen Lösungsrechten für den Fall der Insolvenz des Vertragspartners besondere Bedeutung bei.[4]

Bedeutsam ist für den Grundbesitzer:

  • Der Vormerkungsberechtigte ist geschützt; er kann Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen (§ 106 InsO). Tritt der durch eine Vormerkung gesicherte Käufer nach Zahlung des Kaufpreises wegen eines Rechtsmangels von dem Grundstückskaufvertrag zurück und wird danach ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Verkäufers eröffnet, kann der Insolvenzverwalter von dem Käufer Bewilligung der Löschung der Vormerkung verlangen, ohne an ihn den Kaufpreis aus der Masse erstatten zu müssen.[5]
  • Nacher­füllungs­anspruch

    Ein gegen den Bauträger gerichteter Nacherfüllungsanspruch erlischt nicht bereits mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen, sondern auch während eines Insolvenzverfahrens erst mit dem erfolglosen Ablauf einer vom Besteller gemäß § 634 Abs. 1 Satz 3 BGB a. F. unter Ablehnungsandrohung gesetzten Frist zur Nachbesserung.[6]

  • Der Anspruch auf Erbbauzinsen für die Zeit nach Insolvenzeröffnung ist keine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, denn es fehlt beim Erbbaurechtsvertrag an der Verknüpfung gegenseitiger Leistungspflichten.[7]
  • Bei der Miete und Pacht von Immobilien (§§ 108 ff. InsO) gelten bestehende Verträge grundsätzlich fort. Das Wahlrecht des Verwalters ist ausgeschlossen.

    In der Insolvenz des Vermieters besteht das Mietverhältnis nur dann mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort, wenn die Mietsache im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Mieter bereits überlassen worden ist.[8]

    Bei Insolvenz des Mieters (Pächters) ist danach zu unterscheiden, ob ihm das Mietobjekt bei Verfahrenseröffnung bereits überlassen war (dann Sonderkündigungsrecht des Verwalters, § 109 Abs. 1 InsO) oder noch nicht überlassen war (dann beiderseitiges Rücktrittsrecht, § 109 Abs. 2 InsO).

    Zu beachten ist die Kündigungssperre nach § 112 InsO. Doch bezieht sich diese Regelung ausschließlich auf (schuldrechtliche) Mietverträge. Ein dingliches Nutzungsrecht – wie etwa eine Dienstbarkeit – fällt somit grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der Norm. Das gilt auch dann, wenn die dingliche Einigung zur Eintragung der Dien...

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