Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt erzielt als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Sie können unter den Voraussetzungen der sog. Vervielfältigungstheorie als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu beurteilen sein.

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GbR, in der sich vier Rechtsanwälte zu gemeinsamer Berufsausübung zusammengeschlossen haben. Ihre Einnahmen stammen überwiegend aus Tätigkeiten als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren. Der Hauptsitz der Klägerin befand sich in A. Ferner unterhielt sie im Streitjahr 1995 in B eine Zweigniederlassung bzw. ein Büro, in C und D jeweils ein Büro, das von Gesellschaftern der Klägerin geleitet wurde, ferner in E, F und G Insolvenzabteilungen. Die Klägerin beschäftigte 1995 insgesamt 70 Mitarbeiter. Hierzu gehörten u.a. zwei angestellte Rechtsanwälte, ein Betriebswirt, ein Büroverwalter, elf Reno-Gehilfinnen sowie sechs Buchhalterinnen. Die Gehaltsaufwendungen betrugen 1995 1,98 Mio. DM. Das Finanzamt beurteilte die Tätigkeit der Klägerin im Streitjahr 1995 als gewerbliche. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt[1]. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Klägerin ist nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in vollem Umfang gewerbesteuerpflichtig, da sie nicht nur in geringfügigem Umfang gewerbliche Einkünfte bezieht[2]. Die Tätigkeit eines Konkurs-, Zwangs- und Vergleichsverwalters ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine vermögensverwaltende i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und keine freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG[3]. Dasselbe gilt für den Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren, der vergleichbar einem Konkurs- oder Insolvenzverwalter das der Gesamtvollstreckung unterliegende Vermögen in Besitz nimmt, verwaltet und durch Verkauf oder in anderer Weise verwertet[4]. Wird ein Rechtsanwalt (überwiegend) als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren tätig, gilt nichts anderes. Auch ein Rechtsanwalt kann Vermögensverwaltung i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG betreiben. Die Tätigkeit eines Verwalters im Gesamtvollstreckungsverfahren ist für einen Rechtsanwalt nicht berufstypisch.

Eine Tätigkeit ist nicht allein deswegen eine freiberufliche, weil sie mit dem Berufsbild eines Katalogberufs nach den berufsrechtlichen Vorschriften vereinbar ist[5]. Ebenso wenig wie die Verletzung gesetzlicher Normen von einer Besteuerung freistellt[6], entscheidet die Beachtung oder Nichtbeachtung berufsrechtlicher Vorschriften über das Bestehen einer Steuerpflicht. Da Art und Umfang der Besteuerung allein vom Gesetzgeber zu bestimmen sind, haben auch Berufsbezeichnungen, die von standesrechtlichen Organisationen eingeführt werden (hier: "Fachanwalt für Insolvenzrecht"), keine maßgebliche steuerrechtliche Relevanz. Der uneingeschränkte Rückgriff auf berufsrechtliche Bestimmungen würde zudem dem verfassungsrechtlichen Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung[7] widersprechen. So führt die Auffassung der Klägerin dazu, dass Rechtsanwälte, die als Konkursverwalter tätig sind, aufgrund ihres umfassenden Berufsbildes freiberuflich tätig wären, dieselbe Tätigkeit eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters aufgrund engerer berufsrechtlicher Regelungen jedoch nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu beurteilen wäre und damit eher der GewSt unterläge.

Die somit der Art nach selbständige vermögensverwaltende Tätigkeit der Klägerin i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG ist nach der sog. Vervielfältigungstheorie unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ein Gewerbebetrieb i.S. des § 2 Abs. 1 GewStG. Nach der vom RFH und BFH entwickelten Vervielfältigungstheorie, die für vermögensverwaltende Tätigkeiten nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG nach wie vor gilt (Umkehrschluss aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG), gehört es zu den Wesensmerkmalen der selbständigen Arbeit, dass sie in ihrem Kernbereich auf der eigenen persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers beruht. Nimmt die Tätigkeit einen Umfang an, der die ständige Beschäftigung mehrerer Angestellter oder die Einschaltung von Subunternehmern erfordert, und werden den genannten Personen nicht nur untergeordnete, insbesondere vorbereitende oder mechanische Arbeiten übertragen, so beruht sie nicht mehr im Wesentlichen auf der persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers und ist deshalb als gewerblich zu qualifizieren. Aber auch dann, wenn nur Hilfskräfte beschäftigt werden, die nur untergeordnete Arbeiten erledigen, kann der Umfang des Betriebs im Einzelfall den gewerblichen Charakter der Tätigkeit begründen. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Einzelfall nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu entscheiden[8]. Die Klägerin beschäftigte mehrere Angestellte, die die gleiche (Rechtsanwälte) oder eine vergleichbar qualifizierende (Betriebswirt) Berufsausbildung wie ihre Gesellschafter abgeschlossen hatten[9]. Sie hatte ferner 67 Personen angestellt, die teilweise eine Fachausbildung als...

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