Leitsatz

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Stehen die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Steuerbefreiung bei Ausfuhren in ein Drittland einer Gewährung der Steuerbefreiung im Billigkeitswege durch den Mitgliedstaat entgegen, wenn zwar die Voraussetzungen der Befreiung nicht vorliegen, der Steuerpflichtige deren Fehlen aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht erkennen konnte?

 

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt Discount-Supermärkte in Nordostdeutschland. Nachdem die Erstattung von Umsatzsteuer im nichtkommerziellen Reiseverkehr in den Jahren 1992 bis 1998 erheblich angestiegen war, ersuchte sie im August 1998 das zuständige Hauptzollamt um Prüfung, ob der häufig auftretende Zollstempel Nr. 73 und die dazu gehörenden Papiere der Zollbehörde gefälscht war. Der Stempel wurde zunächst für echt gehalten und erst nach nochmaliger Prüfung als Fälschung erkannt. Die Steuerfahndung ermittelte mit Hilfe sog. Stempelfolien, dass zahlreiche Ausfuhrnachweise von polnischen Staatsbürgern nachgefertigt bzw. mit einem falschen Zollstempel versehen worden waren. Die polnischen Staatsbürger spiegelten Einkäufe und Ausfuhren vor, indem sie Kassenbons auf Parkplätzen sowie in Einkaufs- und Papierkörben der Supermärkte einsammelten, zum Teil mit gefälschten Vordrucken und gefälschten Zollstempeln Ausfuhrnachweise "fertigten", diese mit Namen und Anschrift des jeweiligen polnischen Staatsbürgers versahen und die Erstattung der Umsatzsteuer von der Klägerin beantragten und erhielten.

Das Finanzamt forderte die Umsatzsteuer nach und lehnte den Erlass aber für 1995 bis 1998 mit der Begründung ab, die Einziehung sei nicht sachlich unbillig. Die Klägerin schulde die Steuer, da sie keinen ordnungsgemäßen Ausfuhrnachweis habe erbringen können. Die Durchsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis unter den besonderen Umständen des Einzelfalls laufe den gesetzlichen Wertungen nicht zuwider. Die Klage blieb ohne Erfolg. Die Klägerin legte Revision ein. Sie meint, die Lieferungen seien in analoger Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG 1993 als steuerfrei zu behandeln.

 

Entscheidung

Der Senat legt dem EuGH die vorangestellte Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.

Wenn die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 und Abs. 4 UStG 1993 nicht erfüllt sind, weil der liefernde Unternehmer vom Abnehmer gefälschte Ausfuhrbelege erhalten hatte, lehnte es die bisherige deutsche Praxis regelmäßig ab, dem Liefernden die Steuerbefreiung im Erlassverfahren zuzuerkennen. Für innergemeinschaftliche Lieferungen sieht § 6a Abs. 4 UStG 1993 eine Vertrauensschutzregelung vor, nicht aber bei der Ausfuhrlieferung in Drittländer.

Der Senat hält es im Hinblick auf den auch im Steuerrecht allgemein geltenden Grundsatz des Vertrauensschutzes für zweifelhaft, ob die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung auch dann regelmäßig versagt werden darf, wenn der liefernde Unternehmer die Fälschung des Ausfuhrnachweises, den der Abnehmer ihm vorlegt, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hat erkennen können. Denn der leistende Unternehmer steht vor einer ähnlichen Situation wie der innergemeinschaftlich Leistende, der durch falsche Angaben seines Abnehmers getäuscht wurde.

Die Vertrauensschutzregelung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen soll in erster Linie der Herstellung eines einheitlichen Binnenmarkts dienen und dem Lieferer die Umsatzsteuerbefreiung bei einer "grenzüberschreitenden" Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat sichern. Dieser Schutzzweck für das Mehrwertsteuersystem im Binnenmarkt fehlt bei Ausfuhrlieferungen in Drittstaaten. Dies könnte der Gewährung von Vertrauensschutz für den Unternehmer, der die Voraussetzungen der Ausfuhrbefreiung aufgrund falscher Angaben seines Abnehmers nicht erfüllt, entgegengehalten werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zu den gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben stellt das Vertrauen in die Gültigkeit von Ursprungszeugnissen, die sich als falsch, gefälscht oder ungültig erweisen, keinen besonderen Umstand im Sinne der einschlägigen Regelung dar, weil nachträgliche Kontrollen zu einem großen Teil nutzlos wären, wenn die Verwendung solcher Zeugnisse allein einen Erlass rechtfertigen könnte.

 

Praxishinweis

Die Praxis verfährt in solchen Fällen i.d.R. nach dem Merkblatt des BMF zur Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr[1], das Empfehlungen für den Nachweis der Ausfuhr enthält. Darüber hinaus legen Verwaltung und Finanzgerichtsbarkeit bei Anträgen auf Gewährung der Ausfuhrbefreiung aus Billigkeitsgründen einen sehr strengen Maßstab an. Gegenstand der EuGH-Vorlage ist es letztlich zu klären, ob dieser Maßstab gemeinschaftsrechtlich geboten oder aufgrund des Grundsatzes des Vertrauensschutzes abzumildern ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Beschluss vom 2.3....

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