Leitsatz (amtlich)

Zur Entscheidung der Frage, ob die Tätigkeit einer Krankenschwester, die einen Pflegedienst mit 94 Mitarbeitern betreibt, als freiberuflich - und damit umsatzsteuerbefreit - oder als gewerblich zu qualifizieren ist, ist die Zahl der durchschnittlich zu betreuenden Patienten zu ermitteln; auf dieser Grundlage muss beurteilt werden, ob die Klägerin neben ihren anderen Aufgaben noch eigenverantwortlich im Bereich der Behandlungspflege tätig ist bzw. sein kann.

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist examinierte Krankenschwester. Sie betrieb im Streitjahr 1985 einen häuslichen Krankenpflegedienst und beschäftigte sieben Krankenschwestern/-pfleger, zwei Altenpfleger, fünf Pflegehelferinnen und etwa 80 Hauspfleger. Die Patienten wurden meist einen Monat, teilweise auch zwei Monate lang betreut. Der Pflegedienst übernahm die medizinische Betreuung und die hauswirtschaftliche Versorgung. Die Tätigkeit der Klägerin bestand darin, die Patienten aufzunehmen, Behandlungsvorschläge zu erstellen, das eigene Personal in den einzelnen Pflegefall entsprechend den Bedürfnissen des Patienten und der ärztlichen Versorgung einzuweisen, an dem ersten Besuch, gelegentlich auch an weiteren Besuchen in der Wohnung des Patienten teilzunehmen und sich täglich Arbeitsberichte ihrer Mitarbeiter geben zu lassen. Die Klägerin meinte im Gegensatz zum Finanzamt, sie übe eine heilberufliche Tätigkeit aus, die einem der in § 4 Nr. 14 UStG 1980 genannten Katalogberufe ähnlich sei. Die Klage hatte Erfolg[1]. Die Revision des Finanzamts führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

 

Entscheidungsgründe

Gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 sind u.a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Krankengymnast, als Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei. Wesentliches Merkmal der Abgrenzung der freiberuflichen Tätigkeit gegenüber der gewerblichen Tätigkeit ist die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung des Freiberuflers[2]. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist ein Angehöriger eines freien Berufs auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient. Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 2.Halbsatz EStG ist die Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte für die Freiberuflichkeit des Berufsträgers unschädlich, solange er bei der Erledigung der einzelnen Aufträge leitend und eigenverantwortlich aufgrund eigener Fachkenntnisse tätig wird. Selbst eine besonders intensive leitende Tätigkeit, zu der u.a. die Organisation des Sach- und Personalbereichs, Arbeitsplanung, Arbeitsverteilung, Aufsicht über Mitarbeiter und deren Anleitung, stichprobenweise Überprüfung der Ergebnisse gehören, vermag allerdings die eigenverantwortliche Tätigkeit nicht zu ersetzen. Diese kann nur angenommen werden, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Die Arbeitsleistung muss den "Stempel der Persönlichkeit" des Steuerpflichtigen tragen[3]. Überlässt die Krankenschwester die Pflege am einzelnen Patienten angesichts des Umfangs der zu erbringenden Leistungen nach einem Erstgespräch weitgehend ihren Mitarbeitern, so wird sie i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht eigenverantwortlich tätig. Die erbrachten Pflegeleistungen erhalten nicht dadurch den Stempel der persönlichen Arbeit des Pflegedienstbetreibers, dass dieser bei organisatorischer Tätigkeit in Urlaubsund Krankheitsfällen die Pflegearbeiten der Mitarbeiter übernimmt[4].

Das FG hätte danach prüfen müssen, ob die Klägerin im Bereich des häuslichen Pflegedienstes, der etwa ein Drittel der Gesamtumsätze ausmachte, ihre Leistungen eigenverantwortlich ausgeführt hat. Das FG hat jedoch seine tatsächliche Würdigung auf die gesamte unternehmerische Betätigung der Klägerin bezogen. Darüber hinaus zieht das Finanzamt zu Recht in Zweifel, ob die Klägerin angesichts der hohen Zahl der Hilfskräfte maßgeblich auf die Pflegetätigkeit der Mitarbeiter bei jedem Patienten Einfluss nehmen konnte. Zwar kann die Eigenverantwortlichkeit des Handelns der Klägerin nicht allein wegen dieser Zahl der Hilfskräfte verneint werden, weil nicht festgestellt ist, ob und in welchem Umfang diese im Bereich der steuerfreien Umsätze tätig waren. Um das Tatbestandsmerkmal der Eigenverantwortlichkeit beurteilen zu können, hätte das FG die Zahl der durchschnittlich zu betreuenden Patienten ermitteln und auf dieser - eventuell auch nur geschätzten -Grundlage würdigen müssen, ob die Klägerin neben ihren anderen Aufgaben noch eigenverantwortlich im Bereich der Verhandlungspflege tätig war bzw. sein konnte.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 30.9.1999 - V R 56/97

[1] Vgl. FG Berlin, Urteil vom 13.8.1996, VII222/94, EFG 1997, S. 1394
[2] St. Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 1.2.1990, IV R 140/88, BStBl II 1990, S. 507 = INF 1990, S. 327
[3] Vgl. ebenda

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