Kommentar

  1. Die Änderung eines Steuerbescheids wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen gem. § 173 AO kommt nicht in Betracht, wenn das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen nicht anders hätte entscheiden können.
  2. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes durch das BVerfG ist keine Tatsache i.S. v. § 173 AO.

K wurde mit seinen Einkünften aus Spekulationen bestandskräftig für das Streitjahr 1998 veranlagt. Er beantragte nach Ergehen der Nichtigkeitsentscheidung des BVerfG nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO die Änderung des Steuerbescheids. Das Finanzamt lehnte dies ab, die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das FG-Urteil auf.

Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit und der Ausspruch der Nichtigkeit von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG durch das BVerfG stellt keine neue Tatsache i.S. v. § 173 AO dar, sondern hat Gesetzeskraft nach § 31 Abs. 2 S. 1 BVerfGG.

Auch bei der Feststellung des Vollzugs- oder Erhebungsdefizits geht es nicht um Tatsachen, also nicht um eine bloß empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, sondern um einen Widerstreit zwischen dem Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf ihre Durchsetzung angelegten Erhebungsregel. Das festgestellte Vollzugsdefizit ist also normativer und nicht tatsächlicher Art.

Überdies hätte das Finanzamt auch bei Kenntnis des Vollzugsdefizits keine andere Entscheidung treffen dürfen und bis zur Entscheidung des BVerfG die Steuernorm anwenden müssen. Nach Art. 20 Abs. 3 GG sind alle Rechtsnormen bis zu ihrer Aufhebung als gültig zu behandeln. Allein dem BVerfG steht das Verwerfungsmonopol zu.

Da auch keine anderen Korrekturvorschriften anwendbar sind, bleibt die Erkenntnis: Jeder muss grundsätzlich sein Recht in seine eigene Hand nehmen und z.B. gegen den Steuerbescheid Einspruch einlegen. Wer dies versäumt, darf nicht auf das Recht hoffen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, 12.05.2009, IX R 45/08.

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