Leitsatz

Der Aussteller einer Rechnung schuldet die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG bis zur Berichtigung der Rechnung auch dann, wenn er bei Ausstellung der Rechnung nicht geschäftsfähig war (Änderung der Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 21.2.1980, V R 146/73, BStBl II 1980, S. 283).

 

Sachverhalt

Der Kläger stellte am 30.12.1994 eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis über Beratungsleistungen in der Zeit vom 7.11. bis 23.12.1994 an eine GmbH aus. Eine Umsatzsteuererklärung gab er nicht ab. Nachdem das Finanzamt hiervon im November 1997 durch eine Prüfungsmitteilung Kenntnis erlangt hatte, erfasste es den Umsatz in 1998 nach § 14 Abs. 3 UStG. Der Kläger macht geltend, er sei bei Ausstellung der Rechnung geschäftsunfähig gewesen. Nach einem medizinischen Gutachten vom 10.4.2000 liege "für den Zeitraum 1983 bis 1995 … mit hoher Wahrscheinlichkeit Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Abs. 2 BGB vor". Zur Ausstellung der Rechnung erläutert der Kläger, die Rechnungsempfängerin habe die für seine Leistungen vereinbarte Summe zunächst bezahlt; später habe sie ihn veranlasst, die von ihr vorbereitete Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer zu unterschreiben. Weitere Zahlungen leistete sie nicht. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte das FG im Ergebnis. Der Aussteller einer Rechnung schuldet die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG bis zur Berichtigung der Rechnung auch dann, wenn er bei Ausstellung der Rechnung nicht geschäftsfähig war.

Der BFH ließ offen, ob eine Rechnung grundsätzlich als rechtsgeschäftsähnliche Handlung, deren Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintreten, oder als Realakt zu beurteilen ist, weil in ihr im Regelfall keine rechtserheblichen Willenserklärungen abgegeben und Rechtsfolgen ausgelöst werden. Hiervon ging der BFH im Ergebnis auch schon im Urteil vom 21.2.1980[1] aus. An dieser Entscheidung hält der erkennende Senat jedoch nicht mehr fest, soweit eine "Haftung" nach § 14 Abs. 3 UStG verneint wurde, wenn sich der Aussteller nachweislich im Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung in einem die freie Willensentschließung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit[2] befunden hat.

Rechtsfolge der Anwendbarkeit der Regeln über die Geschäftsfähigkeit ist zivilrechtlich zwar die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts; steuerrechtlich ist nach § 41 AO die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts jedoch unbeachtlich, solange und soweit die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten oder bestehen lassen. Für sog. Realakte gilt dies in gleicher Weise jedenfalls dann, wenn deren wirtschaftliches Ergebnis rückgängig gemacht werden kann, sei es durch den gesetzlichen Vertreter[3] oder – bei nur vorübergehender Geschäftsunfähigkeit – gegebenenfalls nach (Wieder-) Erlangung der Geschäftsfähigkeit durch den Geschäftsfähigen selbst. Das Urteil vom 21.2.1980[4] hatte noch nicht berücksichtigt, dass diese Möglichkeit auch bei Ausstellung einer Rechnung mit zu Unrecht ausgewiesener Umsatzsteuer besteht; denn bei richtlinienkonformer Auslegung des § 14 Abs. 3 UStG kann auch die nach § 14 Abs. 3 UStG zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer berichtigt werden, wenn der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden ist[5]. Berichtigt der Aussteller die Rechnung mit zu Unrecht ausgewiesener Umsatzsteuer nicht im Besteuerungszeitraum der Ausgabe der Rechnungen, sondern erst in einem späteren Besteuerungszeitraum, entfällt der Steueranspruch nicht rückwirkend, sondern erst in dem Besteuerungszeitraum der Berichtigung bzw. Rückgabe der Rechnungen. Hier hatte der Kläger die Rechnung noch nicht berichtigt.

 

Praxishinweis

Wie im Leitsatz angegeben, ergab sich eine Änderung der Rechtsprechung, soweit der BFH im Urteil vom 21.2.1980[6] die Steuerschuld aus § 14 Abs. 3 UStG bei Geistesstörung zur Zeit der Rechnungsausstellung verneint hatte. Die jetzt aufgrund der EuGH-Rechtsprechung anerkannte Berichtigungsmöglichkeit auch in Fällen des § 14 Abs. 3 UStG rechtfertigt diese Ausnahmebeurteilung nicht (mehr). Es ist schwer zu sagen, ob häufig versucht wurde, sich Debilität und mehr zur Vermeidung der harten Folgen des § 14 Abs. 3 UStG ärztlich verschreiben zu lassen. Wer es versuchte, hatte offenbar keine Probleme, entsprechende ärztliche Bestätigung zu bekommen. Die vorliegende Entscheidung erweist sich vielleicht auch als Beitrag zur "Gesundheitsreform".

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 30.01.2003, V R 98/01

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