Leitsatz (amtlich)

Eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens ist ermessensfehlerhaft, wenn das FG bei rechtzeitiger und sachgerechter Vorbereitung der mündlichen Verhandlung in der Lage gewesen wäre, die verspätet geltend gemachten Tatsachen und Beweismittel in der Verhandlung zu berücksichtigen.

 

Sachverhalt

Die Klägerin und ihr Ehemann hatten in den Streitjahren zusammen mit ihren Kindern einen Wohnsitz in Irland. Ferner verfügte die Klägerin über eine 50 qm große inländische Wohnung. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass diese Wohnung als inländischer Wohnsitz der Klägerin anzusehen ist. Streit herrscht hingegen darüber, ob diese Wohnung zugleich Wohnsitz des Ehemannes der Klägerin war. Das Finanzamt meinte, dass nur die Klägerin den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe. Es erließ deshalb für alle Streitjahre ESt-Bescheide, in denen es die Klägerin als unbeschränkt Steuerpflichtige einzeln zur ESt veranlagte. Im Verlauf der Klageverfahren setzte das FG der Klägerin mit Schreiben vom 13.10.1993 gemäß § 79b Abs. 1 FGO eine Frist von einem Monat zur Darlegung ihrer Beschwer. Innerhalb der Frist machte die Klägerin geltend, dass die angefochtenen Bescheide nach Ablauf der Festsetzungsfristen ergangen seien. Nach Ablauf der Frist hat sie überdies vorgetragen, sie habe als Ernährerin der Familie den Wohnsitz bestimmt. Zudem habe ihr Ehemann, wenn er sich in Deutschland aufgehalten habe, zusammen mit ihr in der inländischen Wohnung gewohnt. Hierzu benannte sie mit Schriftsätzen vom 16.8.1994, 22.9.1995, 12.10.1995 und 23.10.1995 mehrere Zeugen. Das FG wies die Klagen ohne Beweiserhebung ab und führte hierzu aus, das Beweisangebot der Klägerin werde zurückgewiesen, da die Klägerin die ihr gesetzte Ausschlussfrist versäumt habe und eine weitere Beweiserhebung den Abschluss der Verfahren verzögere[1]. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH die Vorentscheidungen auf und verwies die Sachen an das FG zurück.

 

Entscheidungsgründe

Werden Tatsachen und Beweismittel erst nach Ablauf einer nach § 79b Abs. 1 FGO gesetzten Frist vorgebracht, so kann das FG sie unter bestimmten Voraussetzungen zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden[2]. Ob es von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, muss es nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Insoweit gilt für die Versäumung einer vom FG gesetzten Frist nichts anderers als in denjenigen Fällen, in denen der Kläger eine Frist versäumt hat, die ihm das Finanzamt gemäß § 364b AO gesetzt hatte. Für den letztgenannten Fall hat der BFH wiederholt entschieden, dass die Zurückweisung des verspäteten Vorbringens ermessensfehlerhaft sein kann, wenn trotz der eingetretenen Verspätung eine Verzögerung des Rechtsstreits durch eine rechtzeitige und sachgerechte Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hätte vermieden werden können[3]. Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass der Einsatz der gesetzlich vorgesehenen Präklusionsmöglichkeit nicht gerechtfertigt ist, wenn die Gefahr der Verzögerung in gleicher Weise auf das Verhalten des Gerichts wie auf dasjenige des Klägers zurückgeht. Dieselbe Überlegung greift im Zusammenhang mit der Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 FGO, auf die die zu § 364b AO geltenden Grundsätze deshalb übertragen werden können.

Im Streitfall hat die mündliche Verhandlung am 11.11.1997 stattgefunden. Dagegen ist der Vortrag der Klägerin zum Wohnsitz ihres Ehemannes bereits in der Zeit von August 1994 bis Oktober 1995 erfolgt. Schon damals hat die Klägerin außerdem Zeugen für die Richtigkeit dieses Vortrags benannt. Das FG hatte mithin mehrere Jahre Zeit, die Erheblichkeit des nachgereichten Vortrags zu prüfen und gegebenenfalls die benannten Zeugen zu laden. Es war im Rahmen seiner Prozeßförderungspflicht gehalten, diese Möglichkeit wahrzunehmen. Das ist nicht geschehen, was zur Folge hatte, dass in der mündlichen Verhandlung die Zeugen nicht zur Verfügung standen. Demgemäß war zwar die Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens mit einer Verzögerung der gerichtlichen Entscheidung verbunden; dies war indessen auf die Untätigkeit des FG im Vorfeld der mündlichen Verhandlung zurückzuführen. Das FG durfte deshalb nicht allein unter Hinweis auf das Drohen der Verzögerung den Vortrag der Klägerin zurückweisen. Besondere Umstände, die ausnahmsweise trotz des zeitlichen Abstands zwischen verspätetem Vorbringen und mündlicher Verhandlung eine Zurückweisung rechtfertigen könnten, lassen sich den Urteilen des FG nicht entnehmen.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 17.2.2000 - I R 52-55/99

[1] Vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.11.1997, 1 K40/93, EFG 1999, S. 756

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