Leitsatz

Kommt der zum Barunterhalt verpflichtete Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht nach und wird deshalb auf Antrag des anderen Elternteils, der das Kind betreut, der halbe Kinderfreibetrag auf diesen übertragen, ist bei der nach § 31 Satz 4 EStG durchzuführenden Vergleichsrechnung (Günstigerprüfung) dem vollen Kinderfreibetrag das gesamte an den betreuenden Elternteil ausgezahlte Kindergeld gegenüberzustellen.

 

Sachverhalt

Mutter M erhielt für das in ihrem Haushalt lebende Kind im Streitjahr 1996 das Kindergeld von 2400 DM. Da der geschiedene Ehemann (mit unbekanntem Aufenthalt) für das Kind keinen Unterhalt leistete, beantragte M bei ihrer Veranlagung den halben Kinderfreibetrag des Vaters auf sie nach § 32 Abs. 6 Satz 5 EStG zu übertragen und bei der "Günstigerprüfung" des § 31 Satz 4 EStG gleichwohl nur das halbe Kindergeld von 1200 DM in die Vergleichsberechnung einzubeziehen. Das Finanzamt hielt zwar die Übertragung des Kinderfreibetrags für gerechtfertigt. Es bezog aber das ganze Kindergeld ein, was dazu führte, dass das Kindergeld günstiger als der ganze Kinderfreibetrag war, dieser also nicht zum Zuge kam. Klage und Revision hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Die gebotene Entlastung für Kinder erfolgt in erster Linie durch das Kindergeld. Der Kinderfreibetrag greift nur dann, wenn der Steuerpflichtige dadurch besser gestellt wird. Es besteht also kein Wahlrecht, sondern die günstigere Lösung entscheidet. Das gilt grundsätzlich für beide Elternteile, obwohl das Kindergeld nach § 64 Abs. 1 EStG nur an einen Berechtigten ausgezahlt wird. Dem anderen steht hinsichtlich des hälftigen Kindergelds ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch zu, der nach § 31 Satz 5 EStG wie an ihn gezahltes Kindergeld verrechnet wird. Bei Gewährung des Kinderfreibetrags ist dann "in entsprechendem Umfang" Kindergeld der Einkommensteuer hinzuzurechnen. Zweck der Regelung in § 36 Abs. 2 EStG ist, eine Doppelbegünstigung zu vermeiden.

Im Streitfall bleibt es beim Kindergeld (2400 DM), weil die Berücksichtigung des vollen Kinderfreibetrags (6264 DM) zu einer geringeren steuerlichen Entlastung, nämlich von 1801 DM, geführt hätte. Zwar wird der Kinderfreibetrag bei geschiedenen Ehegatten grundsätzlich nur mit dem halben Kindergeld verglichen. Das ist aber anders, wenn der hälftige Kinderfreibetrag übertragen wird, weil der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist. Dies entspricht dem Zweck des § 36 Abs. 2 EStG, dass das Kindergeld bei Abzug des Kinderfreibetrags nicht zusätzlich vereinnahmt werden kann. Das wäre hier aber zur Hälfte der Fall, wenn das Kindergeld nur hälftig verrechnet würde. Offen blieb, ob im Streitjahr 1996, als § 1612b EStG noch nicht galt, der Ausgleichsanspruch hälftig oder im Verhältnis der erfüllten Unterhaltspflichten zustand. Jedenfalls kann es bei einem Elternteil, der seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist und dessen Kinderfreibetrag deshalb auf den anderen Elternteil übertragen wird, nicht zu einer Entlastung durch einen Kinderfreibetrag kommen, weshalb bei ihm eine Günstigerprüfung entfällt.

 

Praxishinweis

Die Übertragung des Kinderfreibetrags führt im Streitjahr regelmäßig dann zu keiner steuerlichen Entlastung, wenn der Grenzsteuersatz unter 38,31 % liegt. Ist der Kinderfreibetrag günstiger als das Kindergeld, führt das Hinzurechnen des Kindergelds zur Einkommensteuer wirtschaftlich dazu, dass das von der Familienkasse gezahlte Kindergeld an das Finanzamt zurückgezahlt wird.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 16.3.2004, VIII R 88/98

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