Leitsätze (amtlich)

  1. Eine Rückstellung wegen eines im Klagewege gegen den Kaufmann geltend gemachten Anspruchs ist nicht aufzulösen, bevor die Klage rechtskräftig abgewiesen worden ist. Dies gilt auch, wenn der Kaufmann in einer Instanz obsiegt hat, der Prozessgegner gegen diese Entscheidung aber noch ein Rechtsmittel einlegen kann. Rechtsmittel ist auch eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision.
  2. Ein nach dem Bilanzstichtag, aber vor dem Tage der Bilanzerstellung erfolgter Verzicht des Prozessgegners auf ein Rechtsmittel "erhellt" nicht rückwirkend die Verhältnisse zum Bilanzstichtag (insoweit Aufgabe der Grundsätze der Senatsentscheidung vom 17.1.1973, I R 204/70, BStBl II 1973, S. 320).
 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, wurde 1988 von der ZVK auf Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft in Anspruch genommen. Die ZVK verklagte die Klägerin beim ArbG auf Auskunft über die Zahl ihrer Arbeitnehmer und beitragspflichtige Bezüge. Am 12.7.1989 wurde die Klägerin vom ArbG zur Auskunftserteilung verurteilt und für den Fall der Nichterfüllung zu einer Entschädigungszahlung an die ZVK verpflichtet. Hiergegen legte die Klägerin Berufung zum LAG ein. Am 7.9.1990 fand dort die mündliche Verhandlung statt; darin wurde die Klage abgewiesen und die Kosten wurden der ZVK auferlegt. Die schriftliche Ausfertigung des Berufungsurteils wurde dem Prozessvertreter der Klägerin am 31.1.1991 zugestellt. Die Revision gegen sein Urteil ließ das LAG nicht zu; eine Nichtzulassungsbeschwerde wurde nicht eingelegt. In ihrer Bilanz zum 31.12.1989 bildete die GmbH eine Rückstellung für - aufgrund des Urteils des ArbG - zu erwartende Entschädigungszahlungen an die ZVK und für Anwalts- und Prozesskosten. In der Bilanz zum 31.12. des Streitjahres 1990 führte die GmbH diese Rückstellung, vermindert um 80 000 DM, fort. Dem folgte das Finanzamt nicht. Es meinte, die Rückstellung sei im Streitjahr 1990 sowohl hinsichtlich der Entschädigungszahlungen als auch hinsichtlich der Prozesskosten aufzulösen und erließ entsprechende Bescheide. Das FG gab der Klage überwiegend statt. Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Für die streitige ungewisse Verbindlichkeit hat die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31.12.1989 zu Recht eine Rückstellung gebildet[1]. Die für eine Rückstellungsbildung u.a. erforderliche Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme des Kaufmanns ist gegeben, wenn mehr Gründe dafür als dagegen sprechen[2]. Von dieser Voraussetzung ist bei einem im Klageweg gegen den Kaufmann geltend gemachten Anspruch regelmäßig auszugehen[3].

Die so zu Recht gebildete Rückstellung war in der Bilanz zum 31.12.1990 dem Grunde nach nicht aufzulösen. Eine an einem früheren Bilanzstichtag aufgrund einer drohenden Inanspruchnahme aus einer Verbindlichkeit gebildete Rückstellung ist aufzulösen, wenn Umstände eintreten, aus denen sich ergibt, dass das ursprüngliche Risiko der Inanspruchnahme entfallen ist[4]. Diese Voraussetzung ist im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender und spätestens bei Bilanzaufstellung erkennbarer Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen.

Wird ein Anspruch wie im Streitfall gerichtlich geltend gemacht, liegen die Voraussetzungen für die Auflösung einer deswegen gebildeten Rückstellung so lange nicht vor, als dieser Anspruch nicht rechtskräftig abgewiesen worden ist. Dies gilt vor allem, wenn bereits eine gerichtliche Entscheidung zu Ungunsten des Kaufmanns ergangen ist. Daran ändert nichts, wenn dieser zwischenzeitlich in einer weiteren Instanz obsiegt hat, diese Entscheidung aber noch nicht rechtskräftig ist[5]. Denn solange der Prozessgegner gegen die letzte Entscheidung ein (statthaftes) Rechtsmittel einlegen kann, besteht für den Kaufmann ein von ihm regelmäßig nicht einzuschätzendes Risiko, dass in der nächsten Instanz ein für ihn ungünstiges Urteil ergeht[6], aufgrund dessen er in Anspruch genommen wird. Die Beibehaltung der Rückstellung folgt daher dem Grundsatz der Vorsicht[7]. Als mögliches Rechtsmittel des Prozessgegners ist nach ergangenem Berufungsurteil auch eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG zu werten. Sie hemmt die Rechtskraft der Vorentscheidung. Hat sie Erfolg, eröffnet sie dem Prozessgegner die Revision. Ihr kommt daher rechtsgestaltende Wirkung zu. Kann der Prozessgegner noch ein Rechtsmittel einlegen, kommt eine Auflösung der Rückstellung daher ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn das Rechtsmittel nach den objektiven Erkenntnismöglichkeiten am Bilanzstichtag offensichtlich erfolglos wäre. Davon kann jedenfalls nicht ausgegangen werden, wenn wie im Streitfall die Entscheidungsgründe der Vorentscheidung, auf deren Grundlage die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels allenfalls beurteilt werden können, zum Bilanzstichtag noch nicht vorliegen.

An der Pflicht zur Beibehaltung der Rückstellung ändert im Streitfall nichts, dass die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zwar nach dem Bilanzst...

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