Leitsatz

Wird Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes beantragt, kommt eine Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht, wenn dem Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt, ohne dass es einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit bedarf.

 

Sachverhalt

Im Urteilsfall stand die Aussetzung der Vollziehung eines Schenkungssteuerbescheids in Frage, durch den das Finanzamt Schenkungsteuer nach der ab 1.1.2009 geltenden neuen Rechtslage aufgrund einer ausgeführten Geldschenkung festgesetzt hatte. Der Antragsteller begehrte die Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Neuregelung.

Diesem Begehren kam der BFH jedoch nicht nach. Er entschied, dass eine auf ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer dem Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift basierende Aussetzung der Vollziehung unter den besonderen Umständen des Urteilsfalls ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes voraussetzt. In einem solchen Fall ist eine Abwägung mit den gegen die Gewährung der Aussetzung sprechenden öffentlichen Belangen erforderlich.

Im Urteilsfall standen die öffentlichen Interessen im Vordergrund, weil die vom Steuerpflichtigen angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken im Ergebnis zur Nichtanwendung des ganzen Gesetzes führen würden und die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des Bescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen waren.

Da sich im Urteilsfall die festgesetzte Steuer auf lediglich ca. 20 % des dem Steuerpflichtigen zugewendeten Geldbetrags belief, hielt der BFH die vorläufige Entrichtung der Steuer für zumutbar. Deshalb konnte er die Frage, ob die durch die Erbschaftsteuerreform eingetretenen gesetzlichen Neureglungen verfassungsgemäß sind, offen lassen.

 

Hinweis

Die Aussetzungsinteressen des Steuerpflichtigen haben z.B. dann Vorrang vor den öffentlichen Interessen, wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt oder wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile drohen. Ansonsten ist dem Geltungsanspruch eines formell zustande gekommenen Gesetzes bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG der Vorrang einzuräumen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss v. 1.4.2010, II B 168/09.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt WohnungsWirtschafts Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen