Leitsatz

Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit eines Steuerbescheides für das Jahr 1997, mit dem das Finanzamt Einkommensteuer auf Spekulationsgewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren festgesetzt hat.

 

Sachverhalt

Der Steuerpflichtige erklärte für das Jahr 1997 zunächst keine Einkünfte aus Spekulationsgeschäften. Im Rahmen einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass er aus dem Verkauf von Wertpapieren einen Spekulationsgewinn von 22 000 DM erzielt hatte. Das Finanzamt unterwarf diesen Betrag der Einkommensteuer. Hiergegen erhob der Steuerpflichtige Einspruch. Seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, mit dem er die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen geltend machte, lehnten Finanzamt und -gericht ab.

 

Entscheidung

Der BFH setzte die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides aus. Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der für die Besteuerung des Spekulationsgewinns maßgeblichen Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EStG a.F. ergeben sich aus dem Vorlagebeschluss des BFH vom 16.6.2002[1]. Allerdings führen verfassungsrechtliche Zweifel an der Besteuerungsnormnicht immer zu Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids. So hat das BVerfG im Zinsurteil vom 27.6.1991[2] aus dem rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebot die Notwendigkeit einer Übergangsregelung gefolgert, so dass der Steuerpflichtige den durch die unzulänglichen Erhebungsregelungen bewirkten Grundrechtsverstoß eine Zeit lang hinnehmen muss. In diesem Zeitraum bleibt die materielle Besteuerungsgrundlage weiterhin gültig, so dass ihre Verfassungswidrigkeit nicht zugleich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheides bewirkt. Der BFH sieht das bei § 23 EStG aber anders, hatte doch das Zinsurteil erstmals die verfassungsrechtliche Lage klargestellt, während diese Frage bei den Spekulationsgewinnen stets problematisiert wurde.

Auch die vom BFH mehrheitlich geforderte Abwägung zwischen der einer Aussetzung der Vollziehung entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine Aussetzung der Vollziehung sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen fällt hier zugunsten des Steuerpflichtigen aus: Ein sofortiger Vollzug würde den Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nämlich konkretisieren und perpetuieren. Es ist der gleichmäßige Belastungserfolg, den der Steuerzugriff verfehlt, so dass gerade diejenigen Steuerpflichtigen, deren Spekulationseinkünfte der Besteuerung unterworfen werden, durch den Vollzug der Norm einen spezifischen Verfassungsverstoß erfahren. Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft wiegt dagegen nicht so schwer; denn es ist der Staat selbst, der die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt. Verhindert das staatliche Gemeinwesen einen effektiven Steuerzugriff, kann es sich nicht darauf berufen, eine Aussetzung der Vollziehung bei den mehr oder weniger zufällig erfassten Spekulationsgewinnen führe zu hohen Steuerausfällen.

 

Praxishinweis

Der Beschluss gilt zunächst nur für das Jahr 1997, das auch Streitjahr des Vorlagebeschlusses war. Beim BFH anhängig sind aber auch spätere Jahre. Sollte das Gericht insoweit verfassungsrechtliche Zweifel gegen § 23 EStG bejahen, wofür nach den Grundsätzen des Vorlagebeschlusses vieles spricht, wäre die Vollziehung der jeweils angefochtenen Steuerbescheide nach den Maßstäben des Besprechungsbeschlusses auszusetzen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 11.06.2003, IX B 16/03

[2] Vgl. BVerfG-Urteil vom 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, BStBl II 1991, S. 654 unter C.II.5.b) = INF 1991, S. 356

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