Leitsatz

Jedenfalls nach der Einführung der Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO kann die bewusste und objektiv greifbar gesetzwidrige Anwendung von Prozessrecht durch das FG mit einer außerordentlichen Beschwerde gerügt werden.

 

Sachverhalt

Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung des – per Einspruch angefochtenen – Gewinnfeststellungsbescheids 2002, mit dem das Finanzamt den Abzug von Zinszahlungen an eine Stiftung in Liechtenstein unter Hinweis auf § 160 AO abgelehnt hat. Dem Finanzamt folgend hat auch das FG die Aussetzung abgelehnt. Die Beschwerde wurde nicht zugelassen, weil die Stiftung eine Domizilgesellschaft sei und die Anwendung des § 160 AO nicht gegen Europarecht verstoße. Dagegen richtet sich die innerhalb von zwei Wochen erhobene außerordentliche Beschwerde der Antragstellerin, mit der die Missachtung von Sachverhaltsänderungen ab dem 1.7.2002, die Nichtbeachtung der vom EuGH aufgestellten Rechtsgrundsätze und ein Verstoß gegen die Denkgesetze gerügt wird.

 

Entscheidung

Die außerordentliche Beschwerde ist nach Ansicht des BFH unzulässig.

Sie ist aber auch nach Einführung der Anhörungsrüge in § 133a FGO statthaft. Denn diese Regelung entspricht lediglich der Aufforderung des BVerfG[1] zur Schaffung ausdrücklicher Rechtsbehelfe, die eine fachgerichtliche Abhilfe bei Verstößen gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ermöglichen. Sie ist dementsprechend ausdrücklich auf die Rüge von Verletzungen rechtlichen Gehörs beschränkt. Diese Beschränkung beruht laut Gesetzesbegründung allerdings ersichtlich nicht auf dem Willen des Gesetzgebers, für andere schwere Verletzungen von Verfahrensgrundrechten keinen Rechtsbehelf – etwa die Gegenvorstellung oder die außerordentliche Beschwerde – mehr vorsehen zu wollen. Danach haben Beteiligte bei schweren Verfahrensgrundrechtsverletzungen außerhalb der Verletzung rechtlichen Gehörs unverändert Anspruch auf Rechtsschutz. Ob dieser Rechtsschutz durch eine Gegenvorstellung zu gewähren ist[2], hat der Senat offengelassen. Tendenziell bestehen insoweit Zweifel, weil die Gegenvorstellung vor Einführung der Anhörungsrüge im Wesentlichen auf Verletzungen rechtlichen Gehörs beschränkt war und durch die Anhörungsrüge mit der Beschränkung auf diesen Anwendungsbereich abgelöst wurde. Daher hält der Senat weiterhin die außerordentliche Beschwerde zur Rüge anderer schwerer Verfahrensgrundrechtsverletzungen für statthaft. Diese setzt aber voraus, dass eine bewusste und objektiv greifbar gesetzwidrige Anwendung von Prozessrecht durch das FG gerügt wird. Sie scheidet damit als außerordentlicher Rechtsbehelf aus, wenn – wie hier – lediglich einfache Verfahrensfehler wie unzureichende Sachaufklärung und materielle Rechtsfehler geltend gemacht werden.

 

Praxishinweis

  1. Die Entscheidung knüpft an die bisherige Rechtsprechung[3] an, wonach der Anwendungsbereich der außerordentlichen Beschwerde alle schwerwiegenden Verletzungen von Verfahrensgrundrechten mit Ausnahme der rechtlichen Gehörs umfasste, die allein von der Gegenvorstellung nach § 321a ZPO erfasst wurde. Eine schwerwiegende Verletzung von Verfahrensgrundrechten liegt vor, wenn die Entscheidung jeglicher Grundlage entbehrt und damit eine nicht hinnehmbare Gesetzeswidrigkeit zur Folge hat. Dies gilt vor allem bei einer Gesetzesauslegung, die zu einer vom Gesetz ersichtlich ausgeschlossenen Rechtsfolge führt und deshalb unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint.
  2. Sollten die Voraussetzungen einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit im Einzelfall gegeben sein, wird der BFH die Frage, ob die Gegenvorstellung oder die außerordentliche Beschwerde das zutreffende Rechtsmittel ist, anders als im Streitfall nicht offen lassen können; auf der Grundlage der Rechtsprechung des VII. Senats[4], der die Gegenvorstellung als richtigen Rechtsbehelf ansieht, wäre der Antrag im Wege der Verweisung an das FG als instanziell zuständiges Gericht abzugeben.
 

Link zur Entscheidung

BFH-Beschluss vom 8.9.2005, IV B 42/05

[1] Vgl. BVerfG-Beschluss vom 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, S. 395
[4] Vgl. BFH-Beschlüsse vom 13.1.2005, a.a.O. (Fn. 2); vom 30.3.2005, a.a.O. (Fn. 2)

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