Leitsatz

Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die Anwendungsvorschriften zu § 17 EStG i.d.F. des StSenkG 2001/2002 vom 23.10.2000 in § 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des StSenkG 2001/2002 vom 23.10.2000 und in § 52 Abs. 34a EStG i.d.F. des StEuglG vom 19.12.2000 mit der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGV vereinbar sind.

 

Sachverhalt

Im März 2000 erwarb A 2 % bzw. 62400 Shares der italienischen I-SpA für ca. 60600 DM. Nach deren Börseneinführung entsprach der Anteil noch 1,63 %. Nach Ablauf der Spekulationsfrist veräußerte A 29482 Shares für ca. 3,1 Mio. DM. Das Finanzamt besteuerte den nach § 3 Nr. 40 EStG ermittelten Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG. Über den dagegen erhobenen Einspruch ist noch nicht entschieden. Anträge auf Aussetzung der Vollziehung wurden abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde.

 

Entscheidung

Der BFH hat der Beschwerde stattgegeben. Es ist zweifelhaft, ob es mit Art. 56 EGV vereinbar ist, dass für die Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen an einer ausländischen EU-Körperschaft nach § 17 EStG im Jahr 2001 ungünstigere Voraussetzungen als für Inlandsbeteiligungen gelten.

Der BFH weist zunächst darauf hin, dass die Rechtsprechung[1], nach der bei Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden wegen Verfassungswidrigkeit der zu Grunde liegenden Vorschrift die Geltendmachung eines berechtigten Interesses an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verlangt wird, auf die Geltendmachung von Verletzungen des EGV nicht zu übertragen ist[2]. Denn die Grundfreiheiten sind in den Mitgliedsstaaten unmittelbar geltendes Recht, das von jedem Gericht unbeschadet der Möglichkeit der Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens zu beachten ist. Hingegen besteht für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Norm die ausschließliche Zuständigkeit des BVerfG.

Auf die Anteilsveräußerung im Jahr 2001 ist § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StSenkG 2001/2002 anzuwenden. Danach zählt zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer zumindest mit 1 % (zuvor: 10 %) beteiligt war. Nach § 52 Abs. 34a EStG i.d.F. des StEuglG vom 19.12.2000[3] ist § 17 EStG n.F., soweit Anteile an unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaften veräußert werden, erstmals auf Veräußerungen anzuwenden, die nach Ablauf des ersten Wirtschaftsjahrs der Gesellschaft, deren Anteile veräußert werden, vorgenommen werden, für das das KStG i.d.F. des StSenkG 2001/2002 erstmals gilt. Für die Anteilsveräußerung an der I-SpA trifft das indes nicht zu, weil es sich bei dieser nicht um eine unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft handelt. Nach § 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des StSenkG 2001/2002 gilt § 17 EStG n.F. für die Veräußerung einer Auslandsbeteiligung bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2001 und somit im Streitfall.

Die Anwendung der Vorschrift auf die Veräußerung von Auslandsbeteiligungen im Jahre 2001 entspricht dem Wortlaut des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers. Vor dem Hintergrund der Senkung der Beteiligungsschwelle und der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens soll § 17 EStG n.F. verhindern, dass der Besteuerungszugriff durch eine Veräußerung der Anteilsrechte vermieden wird. Verfassungsrechtliche Bedenken wegen einer fehlenden sog. Wertaufstockung zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens von § 17 EStG n.F. verneint der BFH; Gleiches gilt für den Einwand eines sog. strukturellen Vollzugsdefizits[4].

Der BFH hat jedoch ernstliche Zweifel, ob die Besteuerung des Gewinns mit der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGV vereinbar ist. Danach sind Beschränkungen des Kapitalverkehrs sowohl zwischen den Mitgliedsstaaten als auch Mitgliedsstaaten und dritten Ländern verboten. Als Beschränkung ist jede Steuerregelung zu bewerten, die zwischen Steuerpflichtigen nach dem Ort ihrer Kapitalanlage unterscheidet, wobei auch die Übertragung von Kapitalanteilen von der Kapitalverkehrsfreiheit geschützt wird[5]. Die Anwendungsregelung zu § 17 EStG n.F. in § 52 Abs. 1 und 34a EStG unterscheidet zu Ungunsten des A nach dem Ort der Kapitalanlage, da die Veräußerung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften anders behandelt wird als die Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften. Da auch relativ geringfügige Beschränkungen der Rechtfertigungskontrolle unterliegen, kommt es für das Eingreifen des Diskriminierungsverbots auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung auf Tatbestandsebene nicht an. Die Diskriminierung des A ist bei summarischer Prüfung auch nicht zu rechtfertigen. Denn nach dem restriktiv gehandhabten Rechtfertigungsgrund der Kohärenz ist eine Steuerregelung nur dann als kohärent anzusehen, wenn ein zwingender unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem eingeräumten Steuervorteil einerseits und der Besteuerung andererseits bei demselben Steuerpflichtigen in Bezug auf dieselbe Steuer besteht; d.h., es wird eine streng funktionelle Beziehung zwischen Steuervor- und -nachteilen verlangt. Daran fehlt es ...

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