Leitsatz

Der XI. Senat fragt beim I. Senat und beim VIII. Senat an, ob sie an der Auffassung festhalten, dass der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug gemäß § 10d EStG bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann (Urteile vom 16.5.2001, I R 76/99, BStBl II 2002, S. 487; vom 25.4.1974, VIII R 61/69, n.v.).

 

Sachverhalt

Ein selbständiger Landwirt war von seinem 1983 verstorbenen Vater testamentarisch zum alleinigen Hoferben bestimmt worden. Sein Erbteil am hoffreien Vermögen beträgt 10 %, die restlichen Erbteile fallen auf seine Mutter und seine vier Geschwister.

Beim Erblasser waren in den Jahren 1980 bis 1982 Verluste entstanden, die 1983 im Wege des Verlustabzugs nur teilweise berücksichtigt werden konnten. Der Landwirt beantragte beim Finanzamt, die beim Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste bei ihm gemäß § 10d EStG abzuziehen. Das Finanzamt berücksichtigte für 1983 bis 1985 erklärungsgemäß die geltend gemachten Verlustabzüge; es versagte hingegen einen Verlustvortrag für 1986 mit der Begründung, der Landwirt hätte nur 10 % der vom Erblasser nicht verbrauchten Verluste geltend machen dürfen. Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, das Recht auf Verlustabzug sei nicht vererblich.

 

Entscheidung

Der XI. Senat legt zunächst dar, dass auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung, nach der nicht verbrauchte Verluste des Erblassers vom Erben geltend gemacht werden dürfen, die Revision begründet sei. Das Urteil der Vorinstanz müsse aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden. Der Senat weist dabei auf eine Besonderheit des Streitfalls hin: Ein Übergang des gesamten Vermögens des Erblassers als Ganzes auf die Erben hat nicht stattgefunden, weil der nach der Höfeordnung vererbte Hof und das hoffreie Vermögen zwei Nachlassteile bilden, die unmittelbar zum einen auf den Hoferben und zum anderen auf die Erbengemeinschaft übergegangen sind. Den Verlustabzug könnten somit der Hoferbe allein, die Erbengemeinschaft, die das hoffreie Vermögen geerbt hat, oder der Hoferbe und die Erbengemeinschaft geerbt haben.

Der XI. Senat macht dann deutlich, dass er an der bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festhalten will. Er teilt die dogmatischen und systematischen Bedenken, die der I. Senat in seinem Anfragebeschluss vom 26.3.2000[1] geäußert hat und verweist auf diesen Beschluss. Die Gründe, die den I. Senat schließlich bewogen haben, die alte Rechtsprechung dennoch beizubehalten[2], überzeugen den XI. Senat nicht. Dem Hauptargument "Verlässlichkeit der Rechtsordnung" setzt er entgegen, dass die Änderung einer seit langem umstrittenen Rechtsprechung nicht geeignet ist, das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung zu erschüttern. Gegen das Argument, die Vererblichkeit des Verlustabzugs wirke einer Überbesteuerung beim Erben entgegen, wendet er ein, dass eine Überbesteuerung sich nur beim Erblasser korrigieren lasse. Das Nettoprinzip beziehe sich auf den einzelnen Steuerpflichtigen für die Dauer seiner Einkommensteuerpflicht. Zudem entspreche es allgemeinen Grundsätzen des Einkommensteuerrechts, dass ein Steuerpflichtiger Aufwendungen und Verluste anderer nicht geltend machen kann[3]. Die nicht verbrauchten Verlustabzugsbeträge seien aber nichts anderes als Aufwandsüberschüsse des Erblassers.

 

Praxishinweis

1. Die Rechtsprechung zur Vererblichkeit des Verlustabzugs ist mehr als 40 Jahre alt. Siewar allerdings von Beginn an vor allem aus dogmatischen Gründen heftig umstritten, weil sie sich weder auf § 1922 BGB noch auf § 45 AO stützen kann. Denn bei der Möglichkeit des steuerlichen Verlustausgleichs handelt es sich weder um eine vermögenswerte Rechtsposition noch um eine Forderung aus dem Steuerrechtsverhältnis, sondern um ein materielles Besteuerungsmerkmal, das als solches nicht vererbt werden kann. Die Vererblichkeit widerspricht zudem dem Charakter des Verlustabzugs als eine die persönliche Leistungsfähigkeit berücksichtigende Regelung.

2. Der Anfragebeschluss beruht auf § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO. Es ist zu erwarten, dass der I. Senat auf die Anfrage hin erklären wird, er halte an seiner Rechtsauffassung fest. Deshalb wird demnächst wohl der Große Senat des BFH zu dieser Frage ein klärendes Wort sprechen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 10.04.2003, XI R 54/99

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