Leitsatz

Der einleitende Teil des Abschn. 11 Abs. 4 Satz 1 VStR 1993/1995 (R 103 Abs. 4 ErbStR 1999/2003), wonach die Regelungen zur Neutralisierung des Kaskadeneffekts in Beteiligungsketten von Kapitalgesellschaften nur anwendbar sind, wenn die Obergesellschaft an der Untergesellschaft zu mehr als 50 % beteiligt ist, erfasst auch die Fälle einer Organschaft zwischen den Gesellschaften (Abschn. 11 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 VStR 1993/1995).

 

Sachverhalt

Die A-GmbH hielt 50 % des Stammkapitals der X-GmbH. Mit dem weiteren, ebenfalls zu 50 % am Stammkapital beteiligten Gesellschafter hatte sie sich zur gemeinsamen Ausübung der Stimmrechte in einer GbR zusammengeschlossen. Zwischen der GbR und der X-GmbH bestand ein Ergebnisabführungsvertrag. Der A-GmbH standen abweichend von der Höhe ihrer Kapitalbeteiligung 65 % der Jahresergebnisse der X-GmbH zu.

Das Finanzamt schätzte den gemeinen Wert der Anteile an der A-GmbH, indem es die Beteiligung an der X-GmbH mit dem dafür festgestellten gemeinen Wert ansetzte und die an die A-GmbH abgeführten Teile der Jahresergebnisse der X-GmbH in die Ermittlung des Ertragshundertsatzes der A-GmbH einbezog. Die A-GmbH begehrte, die Ergebnisse der X-GmbH bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes außer Ansatz zu lassen.

 

Entscheidung

Bei der Bewertung der Anteile an einer Gesellschaft, die eine Beteiligung an einer Unter-Kapitalgesellschaft hält, kann es zu einer mehrfachen Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Untergesellschaft, d.h. zu einem sog. Kaskadeneffekt kommen. Die Finanzverwaltung[1] sieht deshalb für Beteiligungen von mehr als 50 % ein Verfahren vor, das im Ergebnis bewirkt, dass insoweit ebenfalls nur der gemeine Wert der Beteiligung unter Außerachtlassung ihrer Ertragsaussichten in den gemeinen Wert der Obergesellschaft eingeht. Für die Frage, ob eine Beteiligung von mehr als 50 % vorliegt, ist auf die jeweilige Kapitalbeteiligung abzustellen. Es kommt nicht darauf an, ob eine davon abweichende Beteiligung am Gewinn vereinbart worden ist. Die Beteiligung der A-GmbH an der X-GmbH, die genau 50 % beträgt, erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

Nach Wortlaut und Systematik gilt die Verwaltungsregelung[2] auch in Fällen der Organschaft nur für Beteiligungen von mehr als 50 %. Denn nach dem Aufbau des Satzes 1 gilt dessen Eingangsteil, der das 50 %-Erfordernis aufstellt, für den gesamten weiteren Inhalt dieses Satzes, zu dem auch die in Satz 1 Nr. 2 Satz 4 enthaltene Regelung für Organträger gehört.

 

Praxishinweis

Die Problematik des Kaskadeneffekts stellt sich beim Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrags in besonderer Weise, weil der gesamte (anteilige) Gewinn der Untergesellschaft sofort der Obergesellschaft zugerechnet wird. Zu einer Korrektur des dadurch eintretenden Ergebnisses kann es indes nur kommen, wenn die zweifache Berücksichtigung der Erträge der Untergesellschaft zu einem nicht tragbaren, offensichtlich unrichtigen Ergebnis führte. Eine nur geringfügige Abweichung vom tatsächlichen gemeinen Wert reicht hierzu nicht aus.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 12.7.2006, II R 75/04

[1] Vgl. Abschn. 11 Abs. 4 VStR 1993 = R 103 Abs. 4 ErbStR 2003
[2] Vgl. ebenda

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