Leitsatz (amtlich)

Die Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung führt auch dann gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1AO 1977 zu einem von Abs. 1 der Vorschrift abweichenden Beginn der Festsetzungsfrist, wenn sie zwar nach Ablauf des dritten auf das Kalenderjahr der Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres, aber noch innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist ergeht. Die Anlaufhemmung ist auch für diesen Fall auf drei Jahre begrenzt.

 

Sachverhalt

Die Klägerin erwarb durch notariell beurkundeten Vertrag vom September 1992 von ihrem Sohn S dessen Anteil am Nachlass seines im Juli 1992 verstorbenen Vaters V. Das Finanzamt forderte die Klägerin am 3.4.1996 auf, eine Schenkungsteuererklärung über die Zuwendung seitens des S abzugeben. Die Erklärung ging am 24.10.1996 beim Finanzamt ein. Durch Bescheid vom 5.3.1997 setzte das Finanzamt gegen die Klägerin wegen dieses Erwerbs Schenkungsteuer fest. Es ging von einer gemischten Schenkung von S an die Klägerin aus. Das FG gab der Klage statt, weil der angefochtene Bescheid wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr habe ergehen dürfen[1]. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Entscheidungsgründe

Der angefochtene Bescheid ist entgegen der Rechtsauffassung des FG vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen, weil eine Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auch dann gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO einen von Abs. 1 dieser Vorschrift abweichenden Beginn der Festsetzungsfrist bewirkt, wenn sie zwar nach Ablauf des dritten auf das Kalenderjahr der Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres, aber noch innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist ergeht.

Im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer ergibt sich die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht unmittelbar aufgrund gesetzlicher Vorschrift. Sie hängt vielmehr davon ab, dass das Finanzamt den Steuerpflichtigen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG zur Abgabe einer Erklärung auffordert. Eine Frist für diese Aufforderung ist weder in dieser Vorschrift noch in § 149 Abs. 1 Satz 2 AO oder in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO vorgesehen. Eine zeitliche Grenze für die Aufforderung als das die Erklärungspflicht konkretisierende und damit den Beginn der Festsetzungsfrist beeinflussende Ereignis ergibt sich lediglich aus § 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 AO. Ergeht die Aufforderung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist, so kann sie - weil der Steueranspruch bereits durch Verjährung erloschen ist[2]- keine anlaufhemmende Wirkung mehr entfalten[3]. Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird bei dieser Auslegung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht weiter hinausgeschoben als bei einer sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung. Auch bei einer Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung, die erst im letzten Jahr der Festsetzungsfrist ergeht, beträgt die Anlaufhemmung nicht mehr als drei Jahre, so dass sie in den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO - vorbehaltlich anderweitiger An- oder Ablaufhemmung - spätestens nach sieben Jahren endet. Die Anlaufhemmung tritt damit zwar zu einem Zeitpunkt ein, in dem die Festsetzungsfrist bereits läuft. Dies ist jedoch stets der Fall, wenn die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung der Konkretisierung durch eine Aufforderung des Finanzamts bedarf und damit nicht nur bei einer Aufforderung, die erst innerhalb des vierten Jahres der Festsetzungsfrist ergeht.

Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird nunmehr prüfen müssen, ob das Finanzamt zu Recht eine gemischte Schenkung angenommen hat.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 18.10.2000 – II R 50/98

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