Leitsätze (amtlich)

  • Die Anwendung des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 setzt voraus, dass "ein bestimmter Sachverhalt" in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Hat das FA einerseits in den Veranlagungszeiträumen 1989 und 1990 von der Ambros S. A. gutgeschriebene (Schein-)Renditen beim Anleger (typisch stiller Gesellschafter) als Einnahmen aus Kapitalvermögen der Einkommensteuer unterworfen und andererseits im Streitjahr 1991 möglicherweise als Werbungskosten bei der typisch stillen Beteiligung zu berücksichtigende Verlustanteile außer Betracht gelassen, so handelt es sich dabei um verschiedene Sachverhalte und nicht um "einen bestimmten Sachverhalt" i.S. von § 174 Abs. 1 AO 1977.
  • Die Anwendung des § 174 Abs. 3 AO 1977 setzt (u.a.) voraus, dass die Annahme der Finanzbehörde, der Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid zu erfassen, für die Nichtberücksichtigung dieses Sachverhalts im Steuerbescheid kausal geworden ist. An dieser Kausalität fehlt es, wenn die Nichtberücksichtigung des Sachverhalts darauf beruht, dass das FA von diesem Sachverhalt gar keine Kenntnis hatte oder annahm, dieser Sachverhalt sei - jetzt und auch später - ohne steuerliche Bedeutung.
 

Sachverhalt

Der Kläger schloss mit der Ambros S.A. (A) einen Verwaltungsvertrag und stellte ihr 155 000 DM Kapital zur Verfügung. Die A tätigte mit den gebündelten Kapitalbeträgen der Anleger Spekulationsgeschäfte. Die Anleger sollten mit 70 % an den Gewinnen und Verlusten dieser Geschäfte teilhaben. Sie hatten die Wahl zwischen der monatlichen Wiederanlage der Gewinne und deren vierteljährlicher Auszahlung. Der Kläger hatte sich für eine Wiederanlage der Renditen entschieden. Die A erlitt hohe Verluste. Dennoch wies sie den Anlegern gegenüber stets Gewinne aus, die sie - ebenso wie das angelegte Kapital - auf Anforderung bzw. Kündigung der Anleger bis 30.9.1990 prompt an die Anleger auszahlte. Die Auszahlungen wurden zunehmend im "Schneeballsystem" aus den Kapitalanlagen neu hinzugetretener Anleger bestritten. Im Januar 1991 brach das Schneeballsystem zusammen.

Der Kläger erhielt auf seine Kapitalanlage in 1989 und 1990 "Renditen" gutgeschrieben, die das Finanzamt in diesen Veranlagungszeiträumen als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasste. Diese Bescheide sind bestandskräftig geworden. Der Kläger gab seine ESt-Erklärung für das Streitjahr 1991 in 1992 ab. Negative Einkünfte aus Kapitalvermögen aus dem Ambros-Engagement wurden darin nicht geltend gemacht. Der ESt-Bescheid 1991 wurde mehrmals geändert. Der letzte - auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützte und nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist am 31.12.1996 ergangene -Änderungsbescheid datiert vom 21.5. 1997 und wurde bestandskräftig. Negative Einkünfte aus der Beteiligung des Klägers an der A wurden darin nicht berücksichtigt. Mit Schreiben vom 24.3.1998 beantragte der Kläger, den ESt-Bescheid 1991 dahin zu ändern, dass die Ambros-Verluste als negative Einnahmen bzw. Werbungskosten i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alternative EStG anzusetzen seien. Das Finanzamt lehnte dies ab. Klage und Revision blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

  • Entgegen der von den Klägern früher vertretenen Auffassung rechtfertigt § 174 Abs. 1 AO keine Änderung des bestandskräftigen ESt-Bescheids 1991 vom 21.5.1997.
  • Auch § 174 Abs. 3 AO rechtfertigt keine Änderung dieses Bescheids. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt. Bei Erlass des ursprünglichen ESt-Bescheids 1991 vom 20.7.1992 wusste das Finanzamt nicht einmal, dass der Kläger überhaupt bei der A engagiert war. Auch die späteren Änderungsbescheide, einschließlich des letzten vom 21.5.1997, und deren Begleitumstände bieten nicht den geringsten Anhalt dafür, dass das Finanzamt bei Erlass dieser Bescheide den Abzug von Ambros-Verlustanteilen des Klägers als Werbungskosten des Streitjahres 1991 geprüft habe, geschweige denn dabei zu dem Ergebnis gelangt sei, dass diese Verluste zwar anzuerkennen, aber erst in einem späteren Veranlagungszeitraum anzusetzen seien.

Die Kläger meinen aber, dass die Finanzbehörden nach Bekanntwerden der Ambros-Urteile des BFH[1], also hier nach Erlass des letzten - bestandskräftigen -ESt-Änderungsbescheids 1991 vom 21.5. 1997, hätten prüfen müssen und auch tatsächlich geprüft hätten, ob Verlustanteile der Ambros-Anleger - und damit auch des Klägers - im Streitjahr 1991 anzuerkennen und deshalb die bestandskräftigen ESt-Steuerfestsetzungen 1991 zu ändern seien. Selbst wenn man indessen den Klägern darin folgen würde, dass die von der OFD Düsseldorf nach Bekanntwerden der Ambros-Urteile vorgenommene Prüfung der Abziehbarkeit von Verlusten der Ambros-Anleger dem beklagten Finanzamt zuzurechnen...

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