Leitsatz

  1. Weist ein Unternehmer in einer Rechnung Umsatzsteuer gesondert erst zu einem Zeitpunkt aus, in dem die ursprünglich entstandene Steuer für seine Leistung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr erhoben werden kann, so schuldet er die ausgewiesene Steuer nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG.
  2. In diesem Fall liegt ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor.
 

Sachverhalt

H beendete zum 30.6.1988 seine Tätigkeit als Handelsvertreter und brachte sein Unternehmen zum 1.7.1988 in eine GmbH ein. Er unterwarf die Einbringung weder der Umsatzsteuer noch stellte er der GmbH hierüber eine Rechnung aus. Dieser Sachverhalt wurde bei einer Betriebsprüfung der GmbH bekannt. Darauf stellte H im September 1995 der GmbH über die Einbringung folgende Rechnung mit gesonderten Steuerausweis von 25200 DM:

Einbringung des Einzelunternehmens in die X-GmbH  
Einbringung des Einzelunternehmens in die X-GmbH  
Zeitpunkt Juli 1988  
Ausgleichsanspruch des H gemäß § 89b HGB 150000 DM
Einrichtung Inventar Y-Straße 30000 DM
Summe 180000 DM
plus MWSt 14 % 25200 DM
Betrag insg. 205200 DM

Im Zeitpunkt der Rechnungserteilung war für die Umsatzsteuer für das Streitjahr 1988 bereits Festsetzungsverjährung[1] eingetreten. Das Finanzamt änderte die Umsatzsteuerfestsetzung 1988 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und erfasste die von H ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980[2]. Die nachträgliche Rechnungserteilung sei ein rückwirkendes Ereignis. Das FG gab der Klage statt.

 

Entscheidung

Die Revision des Finanzamts hatte Erfolg. Der BFH nahm ebenfalls an, dass H durch die Ausstellung der Rechnung im September 1995 § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG verwirklicht und dieses Ereignis – Verwirklichung des Tatbestands des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG – kraft gesetzlicher Anordnung[3] Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO hat. Der BFH hält § 14 Abs. 2 UStG trotz der Formulierung "nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet" auch dann für anwendbar, wenn Umsatzsteuer für einen steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz in einer Rechnung gesondert ausgewiesen wird, obwohl im Zeitpunkt der Rechnungserteilung die Umsatzsteuer wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung gemäß § 47 AO erloschen ist und deswegen nicht mehr erhoben werden kann. Auch in diesem Fall schuldet der Rechnungsaussteller für den Umsatz keinen Steuerbetrag (mehr) und hat i.S. des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG einen höheren Steuerbetrag, als er nach dem UStG schuldet, ausgewiesen.

Die Einbringung von Wirtschaftsgütern eines Einzelunternehmens in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen war nach der im Streitjahr 1988 geltenden Rechtslage steuerbar. Das betrifft hier das Inventar[4]. Soweit H mit der Einbringung seines Einzelunternehmens auch seinen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB auf die GmbH übertragen hat, war dies ein 1988 nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG steuerfrei ausgeführter Umsatz einer Geldforderung, der 1995 wegen Verjährung nicht gemäß § 9 Abs. 1 UStG durch Erteilung einer Rechnung mit gesondertem Steuerausweis als steuerpflichtig behandelt werden konnte. Auch insoweit greift § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG ein.

Die nach § 14 Abs. 2 UStG geschuldete Steuer entsteht gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG rückwirkend im Zeitpunkt der Leistung – hier also 1988. Der BFH meint, die Entstehung – vor dem Ausweis der "höheren" Steuer! – verstoße entgegen der Ansicht des FG nicht gegen Art. 10 Abs. 1 Buchst. a bzw. Art. 10 Abs. 2 und 3 der 6. RL.

 

Praxishinweis

Das Urteil ist m.E. in einigen Punkten "problematisch".

Nimmt man an, eine laut AO verjährte Umsatzsteuer werde gem. § 14c Abs. 1 UStG"nach diesem Gesetz" nicht geschuldet, so ist damit m.E. noch ungeklärt, wie das Verjährungshemmnis im Steuerschuldverhältnis des leistenden Unternehmers einen Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers aus einer verspäteten Abrechnung hindern soll. Denn die ausgewiesene Steuer wird an sich für den Umsatz, wenn er von Anfang an steuerpflichtig war, "gesetzlich geschuldet". Die Versagung des Vorsteuerabzugs verstieße gegen die Steuerneutralität. Dass aufgrund der Berichtigungsmöglichkeit der Steuerausweis beseitigt werden kann, hat mit der zutreffenden Lösung nichts zu tun.

Soweit dies die Steuerentstehung bei § 14 Abs. 2 UStG a.F. betrifft, hat der Gesetzgeber die m.E. unhaltbare Lösung ab 1.1.2004 bereinigt und für § 14c Abs. 1 UStG die Steuerentstehung in § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG"spätestens jedoch im Zeitpunkt der Ausgabe der Rechnung" begründet. Das trifft insbesondere für steuerfreie oder nichtsteuerbare Umsätze zu.

Zutreffend reagiert das Urteil wohl auf die Rechtsprechung des EuGH[5], die es auf die Frage eines Leistungsaustausches aus der Sicht der Gesellschaft reduziert und dem es nicht entnehmen will, dass – entgegen der dargelegten bisherigen Rechtsprechung des BFH – ein Einzelunternehmer, der Wirtschaftsgüter seines Unternehmens in eine Gesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen einbringt, seinerseits keine Leistung gegen Entgelt erbringt, sondern...

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