Leitsatz

  1. Die Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale greift auch dann ein, wenn wegen atypischer Dienstzeiten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zweimal arbeitstäglich erfolgen.
  2. Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, für atypische Dienstzeiten eine Ausnahme von der Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale vorzunehmen.
 

Sachverhalt

Das Finanzamt berücksichtigte bei einem am Staatstheater angestellten Chorsänger für Fahrten zum Dienst im Streitjahr 2001 bei 270 Arbeitstagen und einer Entfernung zur Wohnung von 35 km als Werbungskosten die Entfernungspauschale des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG (7290 DM). Mit der Begründung, seine Dienstzeiten gingen von 10 bis 13 Uhr und von 18 Uhr bis Proben- bzw. Vorstellungsende, machte der Steuerpflichtige für Zwischenfahrten zusätzlich nach Dienstreisegrundsätzen 9396 DM (270 × 30 × 2 × 0,58 DM) geltend. Dazu trug er vor, er sei tarifvertraglich zu Ruhezeiten verpflichtet, müsse den Nachmittag aber zu Hause für Stimmübungen nutzen. Dafür brauche er ein Begleitinstrument. Im Theater stünden Opernchormitgliedern diesbezügliche Räume nicht zur Verfügung. Außerdem müsse er auswärts wohnen, weil im Stadtzentrum Nachbarn belästigt würden. Er müsse auch einen Pkw benutzen, weil bei Proben- bzw. Vorstellungsende keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stünden. Finanzamt und -gericht lehnten den zusätzlichen Werbungskostenabzug ab. Der BFH ließ die Revision gegen das angefochtene Urteil nicht zu, da die Rechtslage eindeutig sei.

 

Entscheidung

Vor Einführung der Entfernungspauschale, also bis zum Jahr 2000, konnten Kosten für zusätzliche Fahrten berücksichtigt werden, soweit sie durch einen zusätzlichen Arbeitseinsatz außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit oder durch eine Arbeitszeitunterbrechung von mindestens vier Stunden veranlasst waren. Diese Ausnahme wurde mit der Neuregelung bewusst nicht übernommen. Vielmehr wurde ab 2001 für Wege zur Arbeit eine abgeltende Pauschale geschaffen, die sich – jedenfalls grundsätzlich – nur noch nach der Entfernung zur Arbeitsstätte und der Zahl der tatsächlichen Arbeitstage bemisst, jedoch nicht mehr danach, mit welchem Verkehrsmittel, mit welchen Kosten und wie oft die Strecke je Arbeitstag zurückgelegt wird. Dies ist nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift eindeutig. Deswegen ist keine Auslegung dahingehend möglich, dass die Regelung auf Arbeitsverhältnisse mit atypischen Arbeitszeiten nicht anzuwenden sei. Insbesondere ist die mittägliche Zwischenfahrt weder eine Dienstreise, noch wie eine Fahrt zwischen zwei regelmäßigen Arbeitsstätten dienstreiseähnlich, selbst wenn der Chorsänger im behaupteten Umfang zu Hause beruflich tätig geworden sein sollte.

Der BFH ist auch der Auffassung, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich der hier streitigen Frage zur Entfernungspauschale im Rahmen des ihm von der Verfassung eingeräumten Ermessens gehalten hat. Insbesondere liegt keine Ungleichbehandlung gegenüber selbständig tätigen Künstlern vor, weil für diese die Entfernungspauschale in gleicher Weise gilt. Wie das BVerfG wiederholt entschieden hat, sind auch generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zulässig, bei denen die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls unberücksichtigt bleiben dürfen. Eine solche Typisierung ist nach Ansicht des BFH jedenfalls hinsichtlich der Abgeltungswirkung bei mehr als einer Fahrt arbeitstäglich zulässig, zumal eine Ausnahme von dieser Regel nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Beschäftigten beträfe und es von den Verhältnissen des Einzelfalls abhängt, in welchem Umfang Fahrtkosten für den betroffenen Steuerpflichtigen zwangsläufig entstehen.

 

Praxishinweis

Zur einfachrechtlichen Rechtslage hält der BFH eine den Anwendungsbereich der Entfernungspauschale einengende Auslegung im Wege einer teleologischen Reduktion nicht für möglich. Das ist aber hinsichtlich der Vorgängerregelung zu außergewöhnlichen Kosten (Motorschaden, Unfall) geschehen, ebenso bei Einsatzwechseltätigkeit, sofern die Arbeitsstätte außerhalb eines Wohneinzugsbereichs von 30 km Radius lag. Ob diese Ausnahmen bei der Entfernungspauschale weitergeführt werden können, erscheint zweifelhaft[1]. Die Verfassungskonformität der Abgeltung hat der BFH nur für Zusatzfahrten bejaht und hinsichtlich Bedenken im Übrigen auf die Literatur[2] verwiesen. Diese Bedenken beziehen sich auf die wenig überzeugenden Ausnahmeregeln, die die bezweckte Vereinfachung unterlaufen, insbesondere auf die Nichtanwendbarkeit bei Benutzung eines Flugzeugs. Angesichts der Abzugsbeträge von 0,36 EUR bzw. 0,40 EUR je Entfernungskilometer brauchte auch nicht darauf eingegangen zu werden, ob die Typisierung vom Abzugsbetrag her sachgerecht ist. Das Problem der Zusatzfahrt wird aber verschärft, wenn die Abzugsbeträge – wie derzeit beabsichtigt – auf 0,15 EUR je Entfernungskilometer gesenkt werden, sofern man nicht der Auffassung ist, Fahrten zur Arbeitsstätte müssten überhaupt nicht berücksichtigt werde...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt WohnungsWirtschafts Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen