Leitsatz

Erhält der anlässlich der Liquidation einer Gesellschaft entlassene Arbeitnehmer, der zugleich deren Gesellschafter ist, für die Aufgabe seiner Versorgungsansprüche eine Abfindung, so ist u. a. Voraussetzung für die Annahme einer Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, dass ein Zwang zur Liquidation der Gesellschaft bestand. Dieser kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft die Liquidation beschlossen hätte.

 

Sachverhalt

Der alleinige Gesellschafter-Geschäftsführer der X-GmbH (Muttergesellschaft) war zugleich alleiniger Geschäftsführer der Tochtergesellschaft (im Folgenden GmbH), die ihm Ende 1984 Versorgungsleistungen in Form einer Alters-, Invalidenund Hinterbliebenenrente zugesagt hatte. Die Anwartschaften blieben auch dann erhalten, wenn das Beschäftigungsverhältnis mit der GmbH vor Erreichen der Altersgrenze durch Kündigung endete. Für den Fall einer nachhaltig wesentlichen Verschlechterung der Lage behielt sich die GmbH vor, die Versorgungsvereinbarung zu ändern bzw. die zugesagten Leistungen zu kürzen. Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und zur Vermeidung drohender Verluste beschloss die Muttergesellschaft die Liquidation der GmbH und hob den Anstellungsvertragmit dem Geschäftsführer auf. Dieser verzichtete gegen Zahlung von 575 000 DM auf alle Ansprüche aus der Versorgungsvereinbarung. Finanzamt und FG versagten die Anwendung des halben Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, weil von einem rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zwang zur Liquidation nicht ausgegangen werden könne.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Sache wegen unzureichender tatsächlicher Feststellungen hinsichtlich eines rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zwangs zur Liquidation und zur Aufgabe der Versorgungsansprüche zurückverwiesen.

Eine Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG kann nur angenommen werden, wenn der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite oder durch den Steuerpflichtigen aufgrund rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Drucks veranlasst wurde; das schadenstiftende Ereignis darf mithin nicht aus eigenem Antrieb initiiert worden sein[1]. Die Liquidation eines Unternehmens führt im Regelfall dazu, dass auf Veranlassung oder Druck des Unternehmens bestehende Arbeitsverhältnisse aufgelöst und Versorgungszusagen abgelöst werden. Ist der anlässlich der Liquidation entlassene Arbeitnehmer allerdings zugleich Gesellschafter der Arbeitgeber-Gesellschaft, muss angesichts der Gesamtumstände geprüft werden, ob tatsächlich ein wirtschaftlicher Zwang zur Liquidation bestand oder ob der Geschäftsführer die Ursachenkette für die Auflösung seines Dienstverhältnisses freiwillig in Gang gesetzt hat.

Dass die GmbH zur Abwicklung der zugesagten Versorgungsansprüche mit ruhendem Geschäftsbetrieb hätte weitergeführt oder auf die Muttergesellschaft verschmolzen werden können, schließt nach Auffassung des BFH einen Zwang zur Liquidation aufgrund der Vermögenslage und Liquidität der GmbH insbesondere unter Berücksichtigung der Auftragslage und der Marktsituation nicht aus. Deshalb ist zu prüfen, ob die Fortführung der GmbH zum Zweck der bloßen Erfüllung der Pensionsverpflichtung oder deren Verschmelzung auf die Muttergesellschaft auch unter Berücksichtigung der damit verbundenen Nachteile von einem fremden Dritten zur Vermeidung der Abfindungszahlung bevorzugt worden wäre.

Da die Muttergesellschaft einen im Wesentlichen gleichen Unternehmensgegenstand hat, muss in diesem Zusammenhang auch untersucht werden, ob der behauptete Auftragsrückgang bei der GmbH mit einer Verlagerung von Aufträgen auf die Muttergesellschaft zusammenhing, so dass die Liquidation der GmbH letztlich freiwillig in Kauf genommen wurde. Dabei wird sich auch die Frage stellen, ob und weshalb die Muttergesellschaft die Abfindungszahlung geleistet hat und ob sie die Versorgungszusage hätte übernehmen können.

 

Praxishinweis

Die erforderliche Zwangslage fehlt nach der Rechtsprechung, wenn der Steuerpflichtige freiwillig eine Ursachenkette in Lauf setzt, die ihm später keinen Entscheidungsspielraum mehr belässt. Veräußert z.B. der Alleingeschäftsführer einer GmbH seine Anteile an einen Dritten und stimmt er in der Folgezeit wegen Meinungsverschiedenheiten über die Geschäftspolitik der Aufhebung seines Anstellungsvertrages zu, kommt es für die Annahme einer Zwangslage darauf an, ob diese Entwicklung bereits bei der Veräußerung der Anteile absehbar war[2]. Die Tatsache, dass ein Dritter nur bei Verzicht auf die Kapitalabfindung von Pensionsansprüchen zum Erwerb der Anteile bereit ist, genügt nicht[3].

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 04.09.2002, XI R 53/01

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